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Adventsgeflüster #21: Thomastag

Am heutigen Thomastag gedenkt man in der evangelischen und anglikanischen Kirche des Apostels Thomas, einer der zwölf Apostel Jesu. Ich möchte euch anlässlich dieses Tages vier Thomasse vorstellen, die mich seit längerem auf der Theater-, Lese- und der Konzertbühne begeistern…

Die heutige Thomasnacht ist die längste Nacht des Jahres. Sie ist dem „ungläubigen Thomas“ gewidmet, einem der zwölf Apostel Jesu. Der Überlieferung nach wollte der Apostel das Wunder der Auferstehung erst glauben, als Christus vor ihm erschien. Ihm, der sich in der längsten Nacht des Jahres am längsten mit seinen Zweifeln beschäftigte, wurde daher die längste Nacht des Jahres als Feiertag zugewiesen. Einer Überlieferung nach bildet die Wintersonnenwende den Auftakt der heiligen Rauhnächte, die zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar liegen. Die Thomasnacht wurde und wird teilweise heute noch mit volkstümlichen Bräuchen begangen. In Altbayern beispielsweise probierten früher ledige Frauen in dieser Nacht einen Blick auf ihren Zukünftigen zu erhaschen. Dieser sollte ihnen im Traum erscheinen, wenn sie nackt auf einem Schemel einen Gebetsspruch aufsagten…

Für mich ist dieser Feiertag vor allem eine Gelegenheit, euch drei Schauspieler und einen Musiker mit dem Vornamen Thomas vorzustellen, die mich seit längerem auf der Theater-, Lese- und Konzertbühne begeistern:

1. Thomas Lettow 

© Peter Kaaden

„Meine Männer haben ihnen ein Andenken hinterlassen, an dem sie neun Monate zu schleppen haben werden“. Dieser Satz von Thomas Lettow als Speigelberg in Ulrich Rasches Inszenierung „Die Räuber“ hat sich tief bei mir eingebrannt. Es sind Worte von grausamer Klarheit, mit denen der Räuber Spiegelberg von dem Überfall auf ein Nonnenkloster berichtet. Bei Thomas Lettow ist dieser junge Mann, der sich im Laufe von Friedrich Schillers 1782 uraufgeführtem Drama zu einem intriganten Gegenspieler des Hauptmanns Karl Moor entwickeln wird, ein abgebrühter Karrierist, der den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung ausschließlich für sich selbst führt.

© Thomas Dashuber

Thomas Lettow gelingt es in jeder Inszenierung, in der ich ihn bisher erleben durfte, meisterlich, seine Zuschauer durch wenige Gesten und Blicke und vor allem durch ein einzigartiges Sprachgefühl in seinen Bann zu ziehen. In einem weiteren sehr starken Theatermoment, in dem ich Thomas erleben durfte, hat er als König Ödipus in Mateja Koležniks gleichnamiger Inszenierung gerade vom Tod seiner Frau Iokaste erfahren. Verblendet ist Ödipus in seiner Weigerung, den Weissagungen des blinden Sehers Teiresias (Hans-Michael Rehberg) zu glauben – mit Iokaste ehelichte er schließlich seine eigene Mutter. In einem grausamen Akt der Selbstbestrafung sticht sich Ödipus nach Iokastes Tod die Augen aus – Thomas Lettow nutzt diese Szene nicht für einen effekthascherischen Auftritt, sondern präsentiert seinen Ödipus als einen Herrscher, dessen Sicht auf die Welt mit einem Mal vollständig ins Wanken geraten ist.

Seit 2014/15 ist Thomas Lettow, der vor seiner Schauspielkarriere beinahe Profi-Fußballer geworden wäre, Ensemblemitglied am Residenztheater. 2016 wurde er mit dem Bayerischen Kunstförderpreis sowie mit dem Nachwuchsförderpreis für Darstellende Künste der proskenion Stiftung ausgezeichnet. 2017 bekam er den Förderpreis der Freunde des Residenztheaters.

Thomas Lettow ist nicht nur ein großartiger Tragödien-Mime, sondern kann auf der Bühne auch sehr komische Seiten von sich zeigen. Das bewies er in der Spielzeit 2016/ 2017 als Titelheld in Robert Gerloffs „Robin Hood“-Inszenierung. Sein vorwiegend junges Publikum nimmt er jedoch sehr ernst und präsentiert ihnen keinen Kinderquatsch auf der Bühne. Sein mit einem erfrischenden Sinn für Selbstironie dargestellter Robin Hood ist nicht frei von Fehlern und Schwächen – aber er hat das gewisse Etwas, um die Welt ein Stück besser zu machen.


2. Thomas Grässle

„Jupieduuu, jupieduuu, jupieduujuu…“: Wie habe ich es geliebt, als es Thomas Grässle als Guy of Gisbourne ganz „juppie du“ zumute wurde in Rorbert Gerloffs „Robin Hood“-Inszenierung am Residenztheater in der Spielzeit 2016/2017! Denn Maid Marian und ihre Amme hatten zuvor einen Trank gebraut, der das Gute im Menschen zum Vorschein bringen sollte. Aufgrund einer Spinatallergie landete der Trank jedoch nicht in der Kehle des Sheriffs, der die Maid begehrt, sondern in Gisbourne Kehle – Thomas Grässle stürzte sich daraufhin ins Parkett und wusste gar nicht mehr, wie ihm als Gisbourne zumute wurde vor lauter liebevoller Regungen und Gedanken.

Thomas Grässle Wandlungsfähigkeit begeistert mich immer wieder auf der Bühne. Nach seinem Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig trat er in der Spielzeit 2002/03 am Pfalztheater Kaiserslautern sein erstes Engagement an. Es folgten weitere Engagements an der Württembergischen Landesbühne Esslingen und am Theater Lübeck. Seit 2010 ist er Ensemblemitglied am Residenztheater, außerdem ist er regelmäßig in Film- und TV-Produktionen wie zuletzt in Eva Trobischs hochgelobtem Regiedebüt „Alles ist gut“ zu sehen und arbeitet als Sprecher für den Hörfunk.

© Thomas Grässle in „Foxfinder“ 2017

2017 erlebte ich Thomas Grässle als Samuel Covey in Mirjam Loibls Inszenierung „Foxfinder“. Er spielte diesen vom Schmerz über den Tod seines Kindes gezeichneten Mann mit einer Intensität, die einen erschaudern ließ. Einen ganz anderen Thomas Grässle sah ich in der irrwitzigen, sehr gelungenen Stückentwicklung „Kongress der Autodidakten“ von Corinna Rad, in er als undurchschaubarer Jean-Luc Perrac  auf der Bühne zu erleben war. Corinna von Rads Inszenierung, die im März 2016 Premiere am Residenztheater feierte, handelt von einem halben Tag im Leben des Siegfried Sigor – ein bekennender Autodidakt, Kenner der Ameisen und überhaupt ein Freund sozialer Insekten. Fünf Bekannte mit Interessensüberlappungen lud er sich während des Theaterabends ein, um gemeinsam mit ihnen eine Wissensstufe zu erreichen und so Verbesserungen für die Gesamtsituation zu erwirken. Thomas Grässles Jean-Luc Perrac ist ein Prothetiker mit einem düster-poetischen Verhältnis zu Weichtieren. Außerdem spricht er mit russischem Akzent und leidet unter einer seltsamen Inkontinenz, die zu milchweißen Spuren führt. Eine herrlich skurrile Rolle für diesen sehr vielseitigen Schauspieler.


3. Thomas Loibl

Er ist Ensemblemitglied am Residenztheater und war unter anderem 2016 in dem Erfolgsfilm „Toni Erdmann“ von Maren Ade und 2017 in der hochgelobten ARD-Serie „Charité“ zu sehen: Ich sehe Thomas Loibl aber nicht nur gerne auf der Theaterbühne sowie in Film- und Fernsehproduktionen. Welch ein Meister des gesprochenen Wortes dieser Schauspieler ist, lässt sich am besten beobachten, wenn man Thomas Loibl bei einer Lesung erlebt. Am indrucksvollsten war seine Lesung aus dem »Schnee-Kapitel« aus Thomas Manns Roman „Zauberberg“ im Literaturhaus München 2016. Der Protagonist Hans Castorp begibt sich darin auf eine Wanderung durch die winterliche Hochgebirgswelt und verliert sich im undurchdringlichen Weiß der metaphysischen Landschaft. Wie Loibl den Zuhörer auf eine Reise durch die höchst eigenwillige Gedanken- und Gefühlswelt des Hans Castorp nahm, war einzigartig.

© Peter Kaaden

2017 war er gemeinsam mit dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk auf der Bühne des Herkulessaal zu erleben:

Der Schauspieler erhielt seine Ausbildung an der Schauspielschule Bochum und arbeitete in seinem ersten Engagement am Düsseldorfer Schauspielhaus unter anderem mit Werner Schroeter und Urs Troller. Nach Stationen am Münchner Volkstheater und Schauspielhaus Zürich war er von 1998 bis 2000 Ensemblemitglied am Staatstheater Stuttgart. 2001 wechselte er an das Bayerische Staatsschauspiel und blieb bis 2009 Ensemblemitglied. Anschließend war er unter anderem freischaffend am Schauspiel Köln und Schauspielhaus Zürich tätig und spielte in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen. 2016 kehrte er als Ensemblemitglied ans Residenztheater zurück. 2017 erhielt er den Kurt-Meisel-Preis der Freunde des Residenztheaters für besondere künstlerische Verdienste.

Wer Thomas Loibl auf der einer Lesebühne lauschen darf, wird stets ein Zeuge davon, mit welch großem Respekt und welcher Anerkennung der Schauspieler den Autoren des jeweiligen Werkes, aus dem er liest, begegnet. Er macht aus jeder Lesung ein Fest seiner Sprechkunst, ohne dafür seine eigene Show neben dem eigentlichen Bühnengeschehen abliefern zu müssen. Auch 2019 wird es wieder diverse Gelegenheiten geben, Thomas Loibls außergewöhnliche erzählerische Fähigkeiten im Literaturhaus München und an anderen literarischen Orten innerhalb Münchens und darüber hinaus zu erleben.


4. Thomas Hutchinson

Photo: Daniel Delang

Er schrieb 2017 ein Stück neuseeländischer Musikgeschichte, als er beim 66. Internationalen Musikwettbewerbs der ARD den zweiten Preis im Fach Oboe gewann: Der 1992 in Neuseeland geborene Thomas Hutchinson studierte bei Martin Lee an der School of Music der University of Auckland. Ein Jahr später zog er nach Melbourne, um dort an der Australian National Academy of Music bei Jeffrey Crellin zu studieren. Von 2012 bis 2015 setzte er seine Studien am am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris fort. Seit 2015 hat er die Stelle als Solo-Oboist beim Melbourne Symphony Orchestra inne. Zwischen 2010 und 2015 trat er zusammen mit dem New Zealand Symphony Orchestra und dem Auckland Philharmonia Orchestra auf. Als Solist konzertierte er bereits mit dem Tasmanian Symphony Orchestra, dem Orchestra Victoria, dem Dubrovnik Symphony Orchestra und der Bach Musica NZ.

Ich sah mir 2017 im Livestream an, wie stilsicher und virtuos Thomas Hutchinson das Oboenkonzert von Richard Strauss interpretierte. Seither verfolge ich den Weg des jungen Musikers und wer weiß: Vielleicht treffe ich ja zufällig in Neuseeland auf ihn in den kommenden Wochen :).

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