Kategorien
Adventsgeflüster Allgemein Buchgeflüster

Adventsgeflüster #22: Ein Weihnachtsgruß von Lilly Maier zum Beginn des Chanukka-Festes

Chanukka-Leuchter: Jeden Tag wird während des jüdischen Lichterfests eine Kerze angezündet, um an das Wunder der Öllampe zu erinnern, die acht Tage brannte © Privatbesitz Lilly Maier.

Heute beginnt das jüdische Lichterfest Chanukka, das an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr. erinnert. Auf wundersame Weise brannte dort eine Öllampe, die Öl für nur einen einzigen Tag enthielt, ganze 8 Tage lang. 2019 fällt das Chanukka auf die Woche vom 22. bis 30. Dezember – jeden Tag entzündet man während dieser Woche eine neue Kerze. In meinem heutigen Adventskalender-Eintrag geht es um eine ganz besondere Chanukka-Feier und um das eindrucksvolles Buch Arthur und Lilly der Historikerin und Autorin Lilly Maier

Lilly ist einer der außergewöhnlichsten Menschen, die ich in diesem Jahr kennenlernen durfte. Mit 11 Jahren freundete sie sich mit dem Amerikaner Arthur Kern an: Er hatte seine Kindertage in der Wohnung von Lillys Eltern in Wien verbracht und war 1939 von seinen seinen jüdischen Eltern mit einem Kindertransport nach Frankreich geschickt worden.

Die schicksalshafte Begegnung zwischen Arthur und Lilly führte 60 Jahre nach Arthurs Flucht aus Österreich nicht nur zu einer engen Freundschaft zwischen den beiden: Ab 2011 studierte Lilly Maier Geschichte und Journalismus an der LMU München und begann, sich wissenschaftlich mit dem Thema Kindertransporte auseinanderzusetzen. Im November 2018 erschien ihr fantastisches Buch Arthur und Lilly. Das Mädchen und der Holocaust-Überlebende – Zwei Leben, eine Geschichte im Heyne Verlag.

Gerade ist Lilly wieder für längere Zeit in den USA. 2015 absolvierte sie hier ein Masterstudium in Journalismus an der New York University. Vor diesem Studium hatte sie für ihre Bachelorarbeit Arthur Kern und zwölf weitere, mithilfe eines Kindertransports in die USA emigrierten Juden zu ihrer Flucht aus Deutschland und Österreich befragt. Zwei Monate lang reiste Lilly dafür quer durch die USA von Washington bis an die Westküste gereist.

Lilly Maier und Arthur Kern bei Thanksgivvukah 2013 © Privatbesitz Lilly Maier.

Lillys Einfühlungsvermögen gegenüber den Überlebenden der Kindertransporte und ihre Beharrlichkeit in Bezug auf die Erforschung der lange Zeit historisch wenig aufgearbeiteten Kindertransport-Thematik beeindrucken mich sehr. Für meinen Adventskalender hat mir die Autorin diese Textstelle aus ihrem Buch Arthur und Lilly geschickt, in der es um das jüdische Lichterfest Chanukka geht. Es findet jedes Jahr zu einem anderen Zeitpunkt statt – in Arthur und Lilly fiel das Fest gleichzeitig mit Thanksgiving zusammen, was eine Seltenheit ist. Daher nannte man es auch „Thanksgivukkah“.


Los Angeles, November 2013.

„In dem Lande der Chinesen, Chinesen, bin ich zwar noch nie gewesen, gewesen”, singt Arthur mit kräftiger Stimme. „Erstens hatt’ ich keine Zeit, keine Zeit, zweitens ist der Weg zu weit, zu weit.“

Den deutschen Text des Liedes kann seine versammelte amerikanische Großfamilie zwar nicht verstehen, aber sie wippt angeregt mit. Und beim Refrain stimmen dann alle begeistert mit ein: „Ching Chong, Ching Chong Boom-killy-vitsky, Yan Kon Kooly Yan Kann Kow!“

Zum allerersten Mal höre ich den Kern Family Song, die offizielle Familienhymne der Kerns, im November 2013, als ich Arthur und seine Familie an Thanksgiving in Kalifornien besuche. Wegen einer sehr seltenen Verschiebung im jüdischen Kalender (statt Schalttagen gibt es im Jüdischen Kalender ganze Schaltmonate) fällt in diesem Jahr das amerikanische Erntedankfest auf die zweite Nacht von Chanukka, dem Lichterfest, was dem Feiertag den Spitznamen „Thanksgivukkah“ einbringt. Dem Anlass entsprechend schmücken wackelnde Plastik-Truthähne den Tisch, die eine Kippa auf dem Kopf tragen und deren Gefieder mit einem Davidstern verziert sind.

Außer Arthur und Trudie bin ich die einzige im Raum, die den deutschen Text des Liedes versteht. Ich bin auch die einzige, die weiß, dass nicht Grandpa Kern den Song – in dem später noch ein chinesischer Menschenfresser auftritt – erfunden hat, sondern dass es sich dabei um ein altes deutsches Kinderlied handelt. Damit der Rest der Familie mitsingen kann, hat Arthur den Text mit englischen Silben aufgeschrieben. Aus der Zeile „Menschen fraß er wie die Würste, Würste“ wird dann zum Beispiel „Mention Fraas Er Vee Dee Wuerster, Wuerster“.

Anlässlich dieses Thanksgivukkah-Fests treffe ich zum ersten Mal alle Generationen der Kerns an einem Ort versammelt, dabei kenne ich Arthur und Trudie jetzt schon seit mehr als zehn Jahren. Genau wie die beiden habe ich skurrile Kinderlieder über China in der Schule gelernt: „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ war dann aber doch zeitgemäßer als die gelben Menschenfresser in „Im Lande der Chinesen“.

Arthurs Geschichte hat in Wien begonnen. Und auch nach all den Jahrzehnten in Amerika ist die Donaumetropole nach wie vor sehr präsent im Leben seiner Familie. Das zeigt sich in vielen kleinen Details, wie in Trudies nach wie vor schrecklich starkem deutschen Akzent oder eben auch im Kern Family Song. Für Arthurs Kinder und Enkelkinder ist das Lied mit dem schrulligen Refrain eine lustige Familientradition – für ihn selbst eine Erinnerung an seine unbeschwerte Kindheit.

Die Kerns beenden die letzte Strophe des Kern Family Songs und singen eine weitere Runde des unsinnigen Refrains „Ching Chong, Ching Chong Boom-killy-vitsky“. Dann geht es mit dem festlichen Thanksgiving-Dinner weiter.

Neben dem obligatorischen Truthahn und anderen typischen Speisen wie Kürbiskuchen und Süßkartoffelpüree werden auch Rugelach serviert, jüdische Desserthörnchen, die mit Nüssen gefüllt sind. Nachdem der Großteil der Familie gegangen ist, zünden Arthur und sein ältester Sohn Aaron Kerzen an und rezitieren die traditionellen Gebete, um die zweite Nacht von Chanukka zu feiern.

21-22, S. 36, Lilly Maier: Arthur und Lilly. Das Mädchen und der Holocaust-Überlebende.
© Heyne 2018


Chanukka sei im Judentum eigentlich gar nicht so wichtig, meint Lilly. Aber durch die kulturelle Nähe dieses Festes zu Weihnachten habe es einen großen kulturellen Stellenwert bekommen. Aufgrund der Tatsache, dass das Fest in diesem Jahr wieder einmal kurz vor Weihnachten beginnt, wird Chanukka als „Weihnukka“ bezeichnet. Der Begriff entstand im 19. Jahrhundert in Deutschland als Reaktion auf die Bestrebungen gutbürgerlicher Juden, die beiden Feste Weihnachten und Chanukka miteinander zu verbinden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Weihnukka besonders in den Vereinigten Staaten sehr beliebt. Verbreitete Elemente dieses besonderen Weihnachtsfestes sind ein Chanukkabaum oder Chanukkabusch als Gegenstück zum Weihnachtsbaum, der Chanukkamann, der als Gegenpart zum Weihnachtsmann die Geschenke für die Kinder bringt oder der acht Klappen umfassende Chanukkakalender. Große Popularität erlangte Chanukka 2003 in den USA, als der Charakter Seth Cohen in der amerikanischen Fernsehserie O.C., California den Begriff Chrismukkah ins Spiel brachte. Das Wort wurde 2004 vom Time-Magazin in die Liste der Buzzwords des Jahres aufgenommen.

Lilly hat mir für meinen heutigen Adventskalender-Beitrag nicht nur einen Ausschnitt aus ihrem Buch, sondern auch ein Rugelach-Rezept geschickt! Das gefüllte Gebäck hat seinen Ursprung in den jüdischen Gemeinden Polens. Heute gibt es Rugelach das ganze Jahr über in jüdischen Gemeinden, vor allem zu Weihnachten.

Rugelach, die Arthurs Frau Trudie Kern 2013 für das Thanksgivvukah-Fest gebacken hat © Privatbesitz Lilly Maier

Zutaten:

Teig

250g Frischkäse
115g weiche Butter
250g Mehl
50g Zucker
¼ TL Salz
1 TL Vanilleextrakt

Füllung

60g brauner Zucker
1 TL Zimt
60g gehackte Walnüsse oder Haselnüsse
60g dunkle Schokolade
130g Aprikosenmarmelade (Marillen-Marmelade)

Glasur

1 Eigelb
1 El Milch
3 EL Zucker
1 TL Zimt

Alle Zutaten für den Teig einige Minuten im Mixer schlagen bis sie gut verbunden sind. Den Teig auf einer bemehlten Unterlage zu einer flachen Kugel formen, in Folie wickeln und mindestens zwei Stunden kühl stellen.

Währenddessen die Schokolade und Nüsse fein hacken. Sobald der Teig aus dem Kühlschrank kommt, in zwei Hälften teilen und jeweils zu Kreisen von zirka 30 cm Durchmesser ausrollen. Die Kreise mit der Marmelade bestreichen und mit Zimtzucker, den gehackten Nüssen und der Schokolade bestreuen. Mit einem scharfen Messer den Kreis in 12 gleichmäßige Tortentücke schneiden. Jedes Tortenstück von außen nach innen aufrollen, so dass kleine Hörnchen entstehen, danach alle Hörnchen für 30 Minuten kalt stellen. Das Ganze mit der zweiten Teilhälfte wiederholen. (Das Aufrollen kann eine ziemliche Patzerei werden, das Ergebnis ist es aber wert.)

Backofen auf 160°C Umluft vorheizen, 2 Backbleche mit Backpapier belegen. Für die Glasur das Ei mit der Milch verquirlen. Die Hörnchen aus dem Kühlschrank nehmen und damit bestreichen, dann mit der Zimtzuckermischung bestreuen.

Die Rugelach 15 bis 20 Minuten backen. Sollte beim Backen Füllung ausgelaufen sein macht das nichts, einfach mit einem Messer abschneiden und die Rugelach auf einem Teller präsentieren.

 

Lilly, ich danke dir von ganzem Herzen für diesen wunderbaren Gruß aus New York und wünsche dir noch eine schöne restliche Zeit dort! Ich freue mich sehr, wenn wir uns im kommenden Jahr in München wiedersehen!


Mehr Infos über die Autorin: 

https://lillymaier.wordpress.com/

Instagram @lillymaier_author 

Twitter @lillymaier

Mehr über das Buch Arthur und Lilly

https://www.randomhouse.de/Buch/Arthur-und-Lilly/Lilly-Maier/Heyne/e536881.rhd

Kommentar verfassen Antwort abbrechen