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Adventsgeflüster #5: Alles außer gewöhnlich

Redab Kateb (l.) und Vincent Cassel (r.) als Malik und Bruno mit Valentin (Marco Locatelli) in ALLES AUSSER GEWÖHNLICH © Prokino/ Carole Bethuel

Selten wurde das Thema Autismus in einem Film mit so viel Humor und Ernsthaftigkeit zugleich behandelt: Alles außer gewöhnlich, die Sozialkomödie des französischen Erfolgsduos Olivier Nakache und Éric Toledano („Ziemlich beste Freunde“), erzählt die Geschichte von zwei engagierten Männern, denen es allen Widerständen und Problemen gelingt, die Welt ihrer autistischen Schützlingen jeden Tag ein Stückchen besser zu machen.

„Irgend jemand hat die Notbremse gezogen“, sagt Joseph (Benjamin Lesieur), nachdem sein Betreuer Bruno (Vincent Cassel) ihm auf einem Bahnsteig mitten in Paris zu Hilfe geeilt ist. Nur noch wenige Stationen fehlen dem Autisten bis zur Haltestelle Saint-Lazare. Im Gegensatz zu den aufgebrachten Polizisten hat Bruno großes Vertrauen in seinen Schützling Joseph und weiß, dass er die gesamte Strecke bald ohne seine Hilfe fahren wird.

Ein Film über zwei Sozialarbeiter und die von ihnen betreuten autistische Kinder und Jugendlichen: Das hört sich erst einmal nach sehr schwerer (Kino-)Kost an. Daher war ich etwas skeptisch, als ich vor einigem Monaten von Hors Normes, dem neuesten Projekt meines Arbeitgebers Prokino, erfuhr. Doch dann sah ich das Herzensprojekt der Großmeister der französischen Sozialkomödie, Olivier Nakache und Éric Toledano, zum ersten Mal auf der großen Leinwand. Die beiden Regisseure und Drehbuchautoren bewiesen nicht nur mit ihrem Sensationserfolg Ziemlich beste Freunde aus dem Jahr 2013, sondern auch mit ihrem darauffolgenden Film Heute bin ich Samba (2015) ihr besonderes Gespür bewiesen, mit den Mitteln der Komödie auf soziale Ungleichheiten und Missstände aufmerksam zu machen.

Bereits vor 20 Jahren lernten die Filmemacher Olivier Nakache und Éric Toledano die Sozialarbeiter Stéphane Benhamou und Daoud Tatou kennen. In Saint-Denis – einer Stadt nördlich von Paris, die heute einen Teil des sogenannten Banlieu bildet – gründeten Banhamou und Tatou damals Vereine für die Betreuung von schwer autistischen Kindern. Die Idee, einen Spielfilm über diese beiden hochengagierten Männer zu drehen, ließ Nakache und Toledano seit ihrer ersten Begegnung mit den beiden Männern nicht mehr los. Zunächst inszenierten die Filmemacher 2015 einen dokumentarischen Kurzfilm mit dem Titel „Man müsste einen Spielfilm daraus machen“, bevor sie sich rund zwei Jahre auf den Dreh von Alles außer gewöhnlich vorbereiteten.

Dieses ehrliche, aufrichtige Interesse der Regisseure an Stéphanes und Daouds Arbeit spürt man in jeder Minute dieser mit sehr feinem Humor erzählten Komödie. Schnell wird klar, warum die Sozialarbeiter Bruno und Malik – gespielt von den beiden renommierten französischen Schauspielern Vincent Cassel und Reda Kateb – trotz des täglichen Kampfes mit Ämtern und Behörden nicht müde werden, für eine bessere Zukunft ihrer autistischen Schützlinge zu kämpfen. Denn jedes dieser Kinder ist in seiner Art und Weise ein einzigartiger Mensch, der mit viel Zutrauen imstande ist, über sich hinaus zu wachsen. Doch der Weg zu diesen außergewöhnlichen Leistungen ist hart und langwierig – auch das verschweigt Alles außer gewöhnlich nicht.

Alles außer gewöhnlich ist kein belehrender Film, sondern eine Hommage an zwei mutige Männer, die ihre Mission, die Welt jeden Tag ein Stück besser zu machen, mit der richtigen Mischung aus Menschlichkeit, Toleranz und Strenge verfolgen. Denn den jugendlichen Betreuer der autistischen Kinder und Jugendlichen aus den Banlieues, denen Bruno und Malik in ihrer Einrichtung die Chance auf eine Ausbildung als Pfleger gehen, mangelt es oft an Disziplin und Durchhaltevermögen. Aber nicht an Empathie und Mitgefühl, das für ihren Job als Sozialarbeiter wichtiger ist, als alles andere.

Éric Toledano und Olivier Nakache präsentieren mit Alles außer gewöhnlich eine sehr menschliche, zutiefst berührende Sozialkomödie, die ohne falsches Pathos mit viel Herzenswärme und französischem Humor vom Engagement zweier selbstlos agierender Männer erzählt. Ein großer Coup ist den Regisseuren mit der Wahl ihrer Darsteller gelungen: Selten hat man in einem Film ein Zusammenspiel zwischen etablierten Darstellern und Laienschauspielern erlebt, in dem sich alle Beteiligten so auf Augenhöhe bewegen, wie in Alles außer gewöhnlich. Einige Darsteller wie Benjamin Lesieur sind tatsächlich autistisch – andere wie Marco Locatelli („Valentin“) leben mit einem autistischen Angehörigen zusammen und fanden über ihre Mitwirkung in diesem Film einen Zugang zu der für einen Außenstehenden oft schwer zugänglichen Gedankenwelt der Betroffenen.

Alles außer gewöhnlich nimmt die Zuschauer nicht nur auf der schauspielerischen, sondern auch auf der musikalischen Ebene mit auf eine ganz besondere Reise: Der Song Bloodflow der Grandbrothers ruft als Leitmotiv des Films in den entscheidenden Szenen starke Emotionen beim Publikum hervor.

Ich wünsche mir, dass dieser wichtige Film, der heute am Internationalen Tag des Ehrenamts in den deutschen Kinos startet, ein großes Publikum findet.

Hier habe ich noch einige Fotos für euch vom Nachmittag und Abend des 28.11.2019: An diesem Tag waren Vincent Cassel, Reda Kateb und einer der Regisseure von Alles außer gewöhnlich, Éric Toledano, zu Gast bei der Französischen Filmwoche in Berlin, um ihren Film vor dem deutschen Publikum zu präsentieren.


Weitere Infos über AlLES AUSSER GEWÖHNLICH findet ihr hier:

http://alles-ausser-gewoehnlich-derfilm.de/#/

https://www.prokino.de/

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