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Adventsgeflüster #9: Meine erste Begegnung mit Anne Frank und der Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“

Der Leiter des JewishChamber Orchestra Munich, Daniel Grossmann © Thomas Dashuber

Als Mahnmal gegen das Vergessen schuf Alain Resnais 1955/56 mit „Nacht und Nebel“ nicht nur die erste, sondern eine der bis heute eindringlichsten Dokumentationen über das Geschehen in den Konzentrationslagern. Am kommenden Dienstag, 11. Dezember, bringt das Jewish Chamber Orchestra Munich den Film mit Livemusik im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Zentrums Münchenzur Aufführung. Dieser Konzert war der Anlass für mich, eine Passage aus „Das Tagebuch der Anne Frank“ einzulesen, durch die ich als Kind zum ersten Mal mit dem Thema Holocaust in Berührung gekommen bin.

Beim Vorlesen meines Lieblingsweihnachtsbuchs „Kinderweihnacht“ von Sybil Gräfin von Schönfeldt kam ich als Kind zum ersten Mal in Berührung mit dem Thema Holocaust. Denn am 28. Dezember sind zwei Briefe aus dem weltberühmten „Tagebuch der Anne Frank“ abgedruckt. Obwohl ich nicht im Ansatz dieselben Probleme wie Anne Frank als Jüdin ab 1942 in ihrem Versteck in einem Hinterhaus der Amsterdamer Prinsengracht 263 hatte, konnte ich ihren Gefühlszustand zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ in meinem jungen Alter sehr gut nachempfinden. Meine Eltern – beide Geschichtslehrer – nahmen mich und meine Rückfragen über die Umstände, die zu Anne Franks Ermordung durch die Nationalsozialisten führten, damals sehr ernst und erklärten mir die historischen Zusammenhänge auf eine Art und Weise, die ich als Kind sehr gut nachvollziehen und begreifen konnte.

Ausschnitt aus "Das Tagebuch der Anne Frank" by Lena Kettner

Das Gedenken an den Holocaust und daraus zu ziehenden Lehren für die Gegenwart und Zukunft ist meinen Eltern bis heute ein sehr großes Anliegen. Da sie es nie bei der reinen Erinnerungsarbeit belassen wollten, luden sie die Klezmer-Band „Mazel tov“ anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar in das Schyren-Gymnasium Pfaffenhofen ein. Darüber hinaus wurde meine Mutter im Zuge ihrer Recherchen nach Zeitzeugen des Holocaust irgendwann auf Otto Schwerdt, den 2007 verstorbenen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Regensburg, und auf sein Buch „Als Gott und die Welt schliefen“ aufmerksam. Es gelang ihr, Herrn Schwerdt regelmäßig für Lesungen an unserem Gymnasium zu gewinnen. Dieser Mann, seine großen erzählerischen Fähigkeiten und sein Wille zur Versöhnung trotz der schmerzlichen Erfahrungen, die er im KZ Auschwitz-Birkenau und im KZ Theresienstadt machen musste, beeindrucken mich bis heute tief. Selten habe ich einen so fröhlichen, positiven Mahner für den Frieden auf der Bühne erleben dürfen.

Es war eine sehr glückliche Fügung, dass ich 2017 durch die damalige Orchestermanagerin Simone Theilacker mit der Arbeit des Jewish Chamber Orchestra Munich in Verbindung kam. 2005 als Orchester Jakobsplatz München-OJM von dem Dirigenten Daniel Grossmann gegründet, hat es sich seither unter seiner künstlerischen Leitung ein einzigartiges Profil erarbeitet: Das Jewish Chamber Orchestra Munich versteht sich als vielfältige, zeitgenössische jüdische Stimme und geht als internationales Kammerorchester mit immer neuen Aufführungsformaten ungewöhnliche Wege, um jüdische Gegenwartskultur lebendig und für jeden hör-, erleb- und sichtbar zu machen. Die Musiker kommen aus über zwanzig Ländern, sind jüdisch und nicht-jüdisch und leben überwiegend in Deutschland. Ihre Konzerttourneen führten sie unter anderem bereits nach Israel, Polen, Ungarn, Rumänien, Moldavien, Ukraine, Usbekistan, Tschechien, Schweden, Nordamerika und China. 

Ein ganz besonderes Highlight sind die regelmäßig stattfindenden Filmpräsentationen mit Livemusik. Am kommenden Dienstag, 11. Dezember, findet um 19 Uhr im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Zentrum München das wohl wichtigste Konzert der Saison statt: Das Orchester präsentiert die eindrucksvolle Dokumentation „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais aus dem Jahre 1956.  Als Mahnmal gegen das Vergessen schuf Alain Resnais 1955/56 mit Nacht und Nebel nicht nur die erste, sondern eine der bis heute eindringlichsten Dokumentationen über das Geschehen in den Konzentrationslagern.

Neben seiner Bedeutung als zeitloses Zeugnis über den unmenschlichen Lagerkosmos stellt der Film ein herausragendes Kunstwerk dar: Einprägsame Bilder verbinden sich mit der Musik des jüdischen Komponisten Hanns Eisler und Texten, die weit mehr sind als ein Kommentar. Verfasst wurden sie von zwei Holocaust-Überlebenden – im Original von dem französischen Schriftsteller Jean Cayrol und in der deutschen Nachdichtung von dem Lyriker Paul Celan.

Bevor es am 11. Dezember im zweiten Teil des Abends zur Aufführung des rund 30-minütigen Dokumentarfilms kommt, wird Daniel Grossmann ein Zeitzeugen-Gespräch mit Dr. Eva Umlauf führen. Die in München lebende und als Psychotherapeutin tätige Eva Umlauf beschäftigte sich Zeit ihres Lebens mit der Last der Nachgeborenen und damit, wie Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Liebes Jewish Chamber Orchestra Munich, eure Konzerte sind jedes Mal etwas ganz besonderes für mich! Ich freue mich auf das neue Konzertjahr mit euch und wünsche schon einmal erholsame Feiertage allerseits!  


Nacht und Nebel (FR, 1956)

Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Zentrum Jakobsplatz
Sankt-Jakobs-Platz 18, 80331 München

REGIE Alain Resnais
MUSIK Hanns Eisler
TEXT Jean Cayrol, in der deutschen Nachdichtung von Paul Celan
SPRECHER Janus Torp
JEWISH CHAMBER ORCHESTRA MUNICH
DIRIGENT Daniel Grossmann
Zeitzeugen-Gespräch mit Dr. Eva Umlauf

Weitere Termine im Januar und Februar:
Donnerstag, 31. Januar 2019, Schlosssaal, Schloss Dachau
Freitag, 1. Februar 2019, PUC Puchheimer Kulturcentrum

Weitere Informationen über das Jewish Chamber Orchestra Munich: 

https://www.jcom.de/

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