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Allgemein Reisegeflüster

Zwischen Ararat und Kaukasus

Zehn Tage quer durch Armenien und Georgien – ein Traum!

„Jede Gruppenreise ist auf ihre Art und Weise einzigartig. Es gibt Gruppen, an dich du dich als Tourguide sehr gerne zurückerinnerst – und dann gibt es Gruppen wie eure, die du nie vergessen wirst“. Diesen Satz sagte unser armenischer Reiseleiter Aramayis Mnatsakanyan über unsere aus verschiedenen Altersgruppen zusammengesetzten Truppe, nachdem er uns fünf Tage lang durch sein Heimatlande begleitet hatte.

Bevor ich in diesem Jahr meine Rundreise durch Armenien und Georgien bei Marco Polo buchte, verfolgte ich schon seit ein paar Jahren den Plan, die beiden Länder näher kennenzulernen. Vor allem das zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei liegende Land Armenien war mir seit meiner Kindheit ein Begriff. Eine Freundin meiner Mutter stammt aus Armenien und ich erinnere mich noch gut daran, als ich bei einer Geburtstagsfeier bei ihr im Alter von sieben oder acht Jahren zum ersten Mal Tolma – in Weinblätter eingewickeltes Hackfleisch – aß. Ein ganz neues Geschmackserlebnis für ein Kind wie mich, das sich bis zu diesem Tag hauptsächlich von Pommer frites, Schnitzel und Maultaschen ernährt hatte.

2015 richtete sich der Blick der deutschen Presse anlässlich des 100. Jahrestags des Völkermordes der Türken an den Armeniern wieder einmal verstärkt auf Armenien. 2016 verständigten sich sämtliche Bundestagsfraktionen nach vielen Diskussionen  darauf, dass die Übergriffe gegen Armenier im Osmanischen Reich vor etwa 100 Jahren als Völkermord bezeichnet werden. Bei Massakern und Todesmärschen, die im Wesentlichen in den Jahren 1915 und 1917 stattfanden, kamen je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Menschen zu Tode. Über den von der türkischen Regierung bis heute nicht anerkannten Völkermord hinaus weiß man aber hierzulande recht wenig von diesem ausgeprägten Gebirgsland, dessen Fläche etwa so groß wie die des Landes Brandenburg.

Mich erwartete vor zwei Wochen frühmorgens am Flughafen in Yerevan die erste und vermutlich größte Überraschung des gesamten Urlaubs: Ich war der festen Meinung, dass ich meinen Urlaub bei Marco Polo Young Line Travel, die Reisen für junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren anbieten, gebucht hatte. Doch als ich die deutlich älteren Damen und Herren um mich herum sah, ahnte ich, dass es sich wohl um eine ganz normale Marco Polo-Rundreise handelte 😉

Dieser Buchungsfehler sollte sich schnell als absoluter Volltreffer herausstellen: So viele spannende Menschen wie in diesen zehn Tagen habe ich lange schon nicht mehr kennengelernt. Da waren beispielsweise eine Reisejournalistin, die in ihrem Leben bereits 137 Länder bereist hat und mir vor allem von ihren Erfahrungen in Ländern wie Libyen, die derzeit aufgrund der aktuellen politischen Lage nur schwer angesteuert werden können, erzählte. Oder ein Ehepaar, das seit Ende der 1970er Jahren am Rande von New York lebt und arbeitet. Und eine aus Moskau stammende Mitfahrerin, die seit langer Zeit mit ihrem Mann in Deutschland lebt und wie keine andere das Wort bei Tisch erheben konnte, wenn sie die Zeit für einen Trinkspruch gekommen sah! Und dann lernte ich auch noch Lisa und Viktoria kennen – zwei Mitfahrerinnen in meinem Alter, die mit ihren Müttern Urlaub machten und die mir in dieser kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen sind.

Dass ich mit Armenien so viele positive, bunte und vielfältige Erinnerungen verbinde, ist vor allem unserem Guide Aram zu verdanken. Im Gegensatz zu vielen anderen gut ausgebildeten jungen Menschen ist er mit seiner Familie in seiner Heimat geblieben. Drei Millionen Einwohner hat das Land laut offizieller Angaben derzeit, aber Aram schätzt, dass die Zahl aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven wohl eher um rund eine Mio. Menschen nach unten korrigiert werden muss.

​An unserem ersten Tag nahm er uns mit auf einen Streifzug durch die armenische Hauptstadt Yerevan. Die Reste sozialistischer Plattenbau-Architektur stehen hier neben hochmodernen Gebäuden wie dem Marriott-Hotel am zentralen Republikplatz. Besonders beeindruckend ist die Aussicht auf die Stadt mit ihren rund 1,1 Mio. Einwohnern vom Haghthanak-Park („Siegespark“) aus. Die seit 1967 dort befindliche, von Ara Harutyunyan entworfene Mutter Armenien-Statue thront monströs über der Stadt. Ein sehr eigenwilliges Friedenssymbol aus Sowjetzeiten, in dessen Innerem sich das Museum des Zweiten Weltkriegs befindet. Im benachbarten Vergnügungspark für Kinder machen wir vor dem Klohäuschen die Bekanntschaft mit einer armenischen Reinigungsfrau, die uns begeistert vor ihrem Jahre zurückliegenden Deutschland-Besuch erzählt. Diese Herzlichkeit und Offenheit haben wir vom ersten Tag in Armenien an überall im Land erleben dürfen.

„Frage an Radio Jerewan: Darf man die Partei kritisieren? 

– Im Prinzip ja, aber es lebt sich besser in den eigenen vier Wänden“

Immer wieder stellt Aram während unserer Busfahrten „Fragen an Radio Jerewan“, einen fiktionalen Radiosender, der unter dem sozialistisch-kommunistischen Sowjetregime Zuhörerfragen beantwortete. In der DDR kursierten die Witze mit der typischen Einleitung „Anfrage an den Sender Jerewan: …?“, in der Bundesrepublik mit „Frage an Radio Eriwan: …?“ Die Antworten auf die Fragen beginnen zumeist mit „Im Prinzip ja, aber …“ In Deutschland verbreiteten sich die Radio-Jerewan-Witze nicht zuletzt durch die Zeitschrift Sputnik, einem ab 1967 von der russischen Presseagentur RIA Novosti europaweit in verschiedenen Sprachen veröffentlichtem Hochglanzmagazin. Mit den Witzen wurde ohne direkten politischen Bezug die Funktionsweise und staatliche Einflussnahme in sozialistischen Systemen angeprangert.

Unser Weg führt uns während unserer Rundreise durch Armenien immer wieder in die zahlreichen Klöster des Landes. Die armenisch-apostolische Kirche gilt als älteste Staatskirche der Welt. Im Jahre 301 nahm das damalige Königreich unter König Trdat III. das Christentum offiziell an. Die wahre Christianisierung und Gründung der Nationalkirche wird aber dem heiligen Grigor zugeschrieben. Als frommer Christ kam er an den Hof des heidnischen Königs Trdat, der ihn durch Folterqualen zur Abkehr von seinem Glauben zwingen wollte. Nach Jahren der Gefangenschaft konnte Grigor den aufgrund seiner Freveltaten krank gewordenen König der Legende nach heilen, worauf sich Trdat zum Christentum bekehren ließ und anordnete, dass die christliche Religion auch die des ganzen armenischen Volkes sein sollte.

Jede der zumeist im frühen Mittelalter erbauten armenischen Kirchen hat ihren ganz eigenen Reiz. Von ihrer erhobenen Lage aus hatte man stets einen überwältigenden Blick auf eine landschaftlich einmalige Umgebung. Besonders beeindruckt hat mich das Kloster Chor Virap, weil man sich dort direkt an der türkischen Grenze befindet. Unser Guide Aram erzählt uns, dass beide Grenzübergänge zur Türkei seit dem Konflikt zwischen den Staaten Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach geschlossen sind. Der Konflikt trat im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen der beiden Staaten nach 1918 erstmals auf und brach während der Endphase der Sowjetunion ab 1988 neu aus. Die Republik Bergkarabach erklärte sich für unabhängig, wird bisher international aber von keinem Mitgliedstaat der UN anerkannt. Zwei Jahre hat Aram in der armenischen Armee gedient. Nicht, weil er sein Land unbedingt verteidigen wollte – sondern weil er anschließend kostenfrei die Universität besuchen und sein Lehramtsstudium absolvieren konnte. Viele unschöne Dinge habe er dort gesehen und viel Gewalt und Leid erlebt. Man spürt, wie sehr Aram die beiden Jahre geprägt haben. Er ist jedoch nicht an diesen Erfahrungen zerbrochen, sondern zu einem Brückenbauer und Mittler zwischen den Kulturen geworden.

Neben dem Kloster Chor Virap hat mich auch das von Touristen eher wenig besuchte Kloster Akhtala im Norden des Landes sehr fasziniert. Man kann nur hoffen, dass diese einzigartige Freskenkunst in den nächsten Jahrzehnten erhalten wird und die Gemälde nicht aufgrund fehlender Budgets und Restaurierungsmöglichkeiten vom baldigen Verfall bedroht sind.

Mit Armenien verbinde ich aber nicht nur die Klosteranlagen und eine überwältigende Landschaft zwischen kargen Berglandschaften im Süden und üppig begrünten Hügeln im Norden des Landes, sondern vor allem die Begegnungen mit sehr herzlichen Menschen wie im russischen Dorf Lermontowo, wo ein Gemeinschaft von Molokanen lebt und arbeitet. Diese Gemeinschaft des spirituellen Christentums, die sich von der Russisch-Orthodoxen Kirche getrennt hat, musste ab 1830 gemäß einem Plan der zaristischen Regierung in den Süden des Kaukasus auswandern. Eigentlich leben die Mitglieder dieser Sekte sehr abgeschieden – doch vor einigen Jahren haben sich einige Touristen während eines Wanderausflugs plötzlich auf der Hauptstrasse von Lermontowo wiedergefunden. Wenig später war die Idee geboren, größeren Touristengruppen einen Einblick in das Leben der Molokanen zu gewähren. Es gibt gefüllte Teigtaschen und Borschtsch und die Gastgeberin versorgt uns mit Gurken und Tomaten aus ihrem riesigen Garten.

An langen Tafeln zusammensitzen, reden, essen, das Leben genießen: Das macht unsere Gruppe bis zum letzten Abend in Armenien, wo wir auf der Terrasse unseres Hotels in Alaverdi mit dem Busfahrer Lipo und Aram schließlich auch noch zusammen zu armenischer Live-Musik tanzen. „Das einzige, was uns trennt, ist die Sprache“, meinte Aram, der laut eigener Aussage einen ähnlichen Abend noch nie zuvor mit einer Reisegruppe erlebt hat.

Der Abschied von diesem Land fällt uns nach den fünf intensiven Tagen sehr schwer. Nicht nur Aram und Lipo haben beinahe Tränen in den Augen, als sie uns am Grenzübergang zu Georgien an unseren georgischen Reiseleiter David übergeben. Die Stimmung in unserer Gruppe bessert sich erst nach ein paar Stunden, als wir die überwältigende Landschaftsroute entlang der Georgischen Heerstrasse passieren. Die Heerstrasse ist der historische Name einer Fernstraße im Großen Kaukasus, 213 Kilometer lang und sie durchquert das Gebirge zwischen Russland und Georgien. Sie verbindet Wladikawkas im russischen Nordossetien-Alanien mit der georgischen Hauptstadt Tiflis.

„Die Bergluft ist für mich wie Balsam. Der ganze Weltschmerz geht zum Teufel, das Herz schlägt und die Brust weitet sich, man ist in dieser Minute wunschlos glücklich. Ich könnte ein Leben lang so dastehen und nur schauen.“

Dies schrieb der russische Schriftsteller Michail Jurjewitsch Lermontow im Sommer 1837 nach einem Bergsteigerabenteuer an einen Freund über die Kaukasus-Region.

Viele Fotostopps mussten wir einlegen bei der Fahrt über den sogenannten Kreuzpass in die Stadt Stepanzminda in der Region Mzcheta-Mtianeti, da ein traumhafter Blick den anderen ablöste! Im Ortszentrum von Stepanzminda thront vor der malerischen Kulisse des auf 5047m gelegenen Berges Kasbek das Denkmal für den georgischen Schriftsteller Aleksandre Qasbegi, der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Stadt geboren wurde und sich für die georgische Unabhängigkeit eingesetzt hatte. Der Weg hinauf zur Dreifaltigkeitskirche war zwar nicht steil, aber sehr staubig. Denn alle – aber wirklich ALLE Touristen außer uns bevorzugten es, den Wallfahrtsort mit dem Jeep zu erreichen. Ich freute mich über die willkommene Bewegung nach all dem reichhaltigen Essen und vor allem über den Anblick der Kirche vor einem wolkenlosen Himmel, als ich nach 1 1/2 Stunden oben eintraf.

Es gab ein Ereignis in Georgien, das so außergewöhnlich war, dass ich das Fotografieren ganz vergaß: Unser georgischer Busfahrer lud unsere 22-köpfige Gruppe zu seiner Familie, die in der Wein-Region Kachetien lebt, zum Essen ein. Dort gab es nicht nur mein Lieblingsgericht Chatschapuri – ein ausgerollter, mit Käse belegter und anschließend im Backofen gebackener Hefeteig – sondern auch Schaschlik von einem Schwein, das die Familie am Tag davor nur für uns geschlachtet hatte. Und Sulguni (härterer Käse in Salzlake, mit unterschiedlichen Mengen an Salz hergestellt), frische Tomaten und Gurken, Schotis Puri (Fladenbrot), selbstgemachten Honig und viel selbstgebrannten Schnaps und georgischen Wein 🙂 

Traditionell reift der übrigens seit 7000 Jahren in Amphoren, sogenannten Quevris.  

Die Weinanbau-Gegend Kachetien gehört zwar nicht zu meinen Lieblingsregionen in Georgien – landschaftlich hat sie relativ wenig zu bieten – aber allein wegen des Besuchs auf dem Weingut des deutschen Unternehmers Burkhard Schuchmann haben sich die beiden Tage dort gelohnt! Zusammen mit einem georgischen Geschäftspartner hat Schuchmann hier ein Kleinod geschaffen, in dem Weine nach traditioneller georgischer und nach europäischer Art und Weise hergestellt werden.

Am Ende unserer Reise durften wir noch einige Zeit in Tiflis verbringen. Das Leben pulsiert in dieser Stadt am Ufer des Flusses Mtkwari, die über 20 Male zerstört worden ist. Wir passieren auf unserem Rundgang eine Moschee, eine Synagoge, mehrere Kirchen – alles in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Kaum zu glauben, dass in dieser Umgebung mit den vielen zauberhaften Cafés und Restaurants zwischen Dezember 1991 und Januar 1992 während des Tbilisser Kriegs ein Militärputsch gegen Präsident Swiad Gamsachurdia gestartet wurde, bei dem die Innenstadt um den Rustaweli-Boulevard durch Panzer, Artillerie und Raketen stark beschädigt wurde. Unser Guide David erzählt uns vom schwierigen Aufbau einer echten Demokratie in Georgien – und von seiner Hoffnung, dass bald nicht mehr nur eine Partei das Sagen im Land hat.

Diese Stadt Tiflis mit allem, was ich in ihr gesehen habe, mit allem, weswegen ich aus ihr hinausfuhr und mit allem, was ich in sie einbrachte, wird für mich zu dem werden, was Chopin, Skrjabin, Marburg, Venedig und Rilke für mich geworden sind: es wird zu einem Kapitel des „Sicheren Geleits“ werden, das mein ganzes Leben stützt.

Besser als der russische Schriftsteller Boris Leonidowitsch Pasternak, der international durch seinen Roman Doktor Schiwago bekannt wurde, hätte man es nicht ausdrücken können.

Diese Stadt ist eine absolute Entdeckung, weil hier ein Weg gefunden wurde, eine städtebauliche Symbiose zwischen den Gebäuden aus Sowjetzeiten, den historischen und hochmodernen Bauten zu schaffen. Mein Tipp: Fahrt unbedingt mit der Standseilbahn auf den Berg auf den Mtazminda und genießt von dort den Blick auf die rund 1,2 Mio. Einwohner zählende Hauptstadt Georgiens!

Ich kann euch eine Reise nach Armenien und Georgien wirklich wärmstens empfehlen – in rund 5 Stunden seid ihr in einer ganz anderen Welt! Mit vielen neuen Eindrücken und Empfindungen bin ich nun nach Deutschland zurückgekehrt und weiß, dass ich bald wieder in die Region zwischen Ararat und Kaukasus reisen möchte…

მადლობა (georgisch) und շնորհակալություն (armenisch) für die schöne Zeit, lieber Aram und David!


Meine Empfehlungen:

Das Hotel Qefo in Alaverdi: http://www.hotels.am/qefo-hotel

Unser Hotel in Tiflis: https://www.booking.com/hotel/ge/hotel-kmm-tbilisi.de.html (im Zimmer 501 hat man eine riesige Dachterrasse mit Panoramablick über die Stadt)

Das Höhlenkloster Geghard in Armenien: http://www.weltkulturerbe.com/weltkulturerbe/asien/kloster-geghard.html

Fladenbrot essen – immer und überall

Die vierzig Tage des Musa Dagh lesen – in dem 1933 erschienenen Roman des österreichischen Schriftstellers Franz Werfel wird der Völkermord an den Armeniern und der armenische Widerstand auf dem Musa Dağı unter der Führung von Moses Der Kalousdian literarisch verarbeitet.

Musik von Charles Aznavour anhören – der Chansonnier, Liedtexter, Komponist und Filmschauspieler zählt zu den weltweit berühmtesten Armeniern. Seine Eltern waren aufgrund des Völkermord an den Armeniern 1915 aus ihrer Heimat Armenien nach Frankreich geflüchtet.

Und wer die Marco Polo-Reise einmal gerne selber machen möchte: http://bit.ly/2xmA89m

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