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Perspektivenwandel I Blogparade #KultBlick

Über Hochkultur, die PR-Brille und kulturelle Glücksgefühle…

In meiner Jugend konnte ich kulturelle Ereignisse vor allem dann genießen, wenn sie meine niedrige Toleranzschwelle nicht überschritten. Ich erinnere mich an eine (zugegebenermaßen) sehr konservative Schülertheater-Aufführung von Shakespeares Othello am Neuburger Stadttheater. Dort wagte es der Darsteller des Iago, sich während einer der Szenen ganz fünf Minuten unbekleidet vor uns Pubertierenden in der ersten Reihe zu präsentieren. Meine Mutter, die als Englischlehrerin an meinem Gymnasium arbeitete und uns ins Theater begleitet hatte, amüsierte sich köstlich über meine anschließende Moralkritik.

Ein paar Jahre später saß ich mit ihr in der Schaubühne Berlin und sah mir meine erste Sarah Kane-Inszenierung an. Ein komplettes Kontrastprogramm zu all dem, was ich bisher auf der Bühne gesehen hatte. Ein lauter, verstörender, manchmal auch abstoßender Theaterabend. Aber diese Inszenierung war auch berührend, voller Traurigkeit, Melancholie und Poesie. Zerbombt in der Regie von Thomas Ostermeier hat mich wachgerüttelt, mich von meiner kulturellen Engstirnigkeit befreit. Seit diesem alles entscheidenden Abend ist mein Kulturblick offener, wacher, aber auch wesentlich kritischer geworden.

Grandios und unvergessen: Ulrich Mühe in Thomas Ostermeiers „Zerbombt“-Inszenierung an der Schaubühne Berlin 2005 ©Schaubühne Berlin

„Das, was den großen Künstler ausmacht, ist ein Wille, aber ein Wille, der gewollt ist, nicht der will“, hat Hugo von Hofmannsthal einmal gesagt. Es ist heute schwierig für mich geworden, zeitgenössische Theaterschaffende, bildende Künstler oder Filmemacher zu finden, die mich mit ihrer Kunst wirklich berühren und mir neue Denkanstöße liefern. Vieles ist mir zu sehr im Mainstream- und Spektakelhaften verhaftet, zu Möchtegern-progressiv und zu wenig provokant. Und zahlreiche von mir sehr geschätzte Kulturschaffende wie der Theaterregisseur Jürgen Gosch, die Jahrhundertchoreographin Pina Bausch oder der Dramatiker Tankred Dorst, die sich allesamt durch ihren intellektuellen Scharfsinn auszeichneten und mit ihrer Arbeit immer wieder künstlerische Grenzen überwunden haben, sind in den vergangenen Jahren bedauerlicherweise verstorben.

 

1. Über Hochkultur

Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur fand ich schon immer schwierig. In Zeiten von sozialen Netzwerken und dem zunehmenden Selbstdarstellungsdrang vieler Künstler und Kulturschaffender sind die Grenzen zwischen beiden Sparten fließend. Für den Moderator einer TV-Kultursendung sind beispielsweise heute Hipster-Dutt und weiße Sneakers Pflicht. Performerqualitäten können bei der Erweiterung des Zuschauerkreises um ein bisher nicht-kulturaffines Publikum ebenfalls nicht schaden. Auf den Facebook- und Twitter-Kanälen der Sendungen schließt man gerne mal übers Ziel hinaus, wenn man satirische Beiträge postet – stört ja vermeintlich eh nur die spießige, ältere Generation.

Damit man mich nicht falsch versteht: Die Verbindung zwischen Social Media und Hochkultur halte ich im Kulturbereich für eine der wichtigsten Errungenschaften des letzten Jahrzehnts. Es kommt darauf an, welche Inhalte eine Kulturinstitution auf ihren Facebook-, Twitter- und Instagram-Kanälen verbreitet und welchen Stellenwert die sozialen Netzwerke innerhalb der Öffentlichkeitsarbeit eines Theater- und Opernhauses oder ein Museums einnehmen.

Ich finde es großartig, dass sich das neue Ensemble des Berliner Ensembles vor Beginn der ersten Spielzeit von Oliver Reese auf dem Vimeo-Kanal des Theater sowie auf dessen Facebook-Seite dem Publikum in kurzen Videos vorgestellt hat. Oder dass die Bayerische Staatsoper ihre Zuschauer unter dem Hashtag #BSOontour mit auf ihre Asien-Tournee in diesem Herbst nahm.

Wie positiv sich sehr gute Pionierarbeit in diesem Bereich auf die Wahrnehmung eines Kulturbetriebs auswirken kann, durfte ich in diesem Sommer selber erfahren. Erstmals hatten die Bayreuther Festspiele mit Hannes Richter einen Social Media-Beauftragten für die Festspiel-Zeit beauftragt, der uns im Rahmen eines Instawalks einen exklusiven Blick hinter die Kulissen des Festivals gewährte.

Dieser Nachmittag hatte etwas Magisches für mich. Dass sich mein eher skeptischer Blick auf die Kunstform Oper durch solch die Backstage-Tour derart in Erstaunen und Neugier wandeln würde, hätte ich vor dem Instawalk nicht für möglich gehalten. Bayreuth, ich werde wiederkommen!

P.S.: Ich habe natürlich keine Dutt-Phobie – schließlich liebe ich die Dutt-Fotos auf dem Instagram-Account der österreichischen Schauspielerin Stefanie Reinsperger:

 

2. Über die PR-Brille

Es ist schwer, sie ganz ablegen, wenn man im Kino sitzt oder sich ein Theaterstück ansieht. Seit ich 2013 meinen ersten Job im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit angenommen habe, ist die PR-Brille mein ständiger Begleiter. Mich interessieren beispielsweise nicht mehr nur die Kinofilme an sich, sondern auch die dazugehörigen Marketing-Kampagnen. Ich finde es spannend zu beobachten, wie unterschiedlich Schauspieler mit den Themen Eigen-PR und Social Media umgehen. Und ich habe die Newsletter verschiedener Theater abonniert, um mir einen Überblick über die Möglichkeiten zielgruppengerechter Kommunikation zu verschaffen.

Vernetzung, Sparten-übergreifendes Denken unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer jeden Kulturbetriebs: Das ist mein Verständnis von Kultur-PR. Vor lauter Marketing-Strategien, gesponserter Beiträge in den sozialen Netzwerken und bis ins Kleinste ausgeklügelte Online-Strategien vergisst man aber oft, wie entscheidend der Faktor Mensch für eine gelungene Öffentlichkeitsarbeit ist. Als meine ehemalige Kommilitonin Helena Hufnagel, die wie ich an der Hochschule für Fernsehen und Film München studiert hat, in diesem Sommer mit Einmal bitte alles ihren ersten Film ins Kino brachte, trug ihre authentische Persönlichkeit entscheidend dazu bei, dass es dieser Debütfilm bis in die Tagesschau schaffte.

Eines habe ich in all den Jahren, in denen ich in der PR arbeite, nicht verlernt: Im Kino oder im Theater zu sitzen und eine Inszenierung oder einen Film einfach auf mich wirken zu lassen. Immer mit kritischem Blick, aber mit einer grundsätzlichen Offenheit für alles, was ich dabei zu sehen bekomme.

 

3. Kulturelle Glücksgefühle 

Seit ich begonnen habe, viel zu fotografieren, hat sich mein Kulturbegriff geweitet. Spannende Architektur, ein rötlicher Abendhimmel, ein Graffito an einer Hauswand oder ein beeindruckendes Bergpanorama: All das löst bei mir kulturelle Glücksgefühle aus, die ich in Bilder festzuhalten versuche.

Gerade in München, wo ich seit 2010 wohne, fallen mir plötzlich Dinge auf, an denen ich früher einfach vorbeigelaufen bin. Aufkleber mit markanten Sprüchen an Straßenlaternen, besondere Wolkenformationen, kreativ beklebte Briefkästen und philosophische Sprüche an Toilettentüren in Museen und Theatern. Mein Leben ist seither reicher, intensiver, spannender geworden.


Zum Schluss noch ein paar Blogs, auf die sich mein Kulturblick immer wieder gerne richtet:

https://www.residenztheater.de/blog

blog.lithausmuc.de/

Kultur – Museum – Talk

-unterwegsinsachenkunst

MUC to go

Infopoint Museen&Schlösser in Bayern

Inside Munich

 

Viel Spaß beim Lesen 🙂

16 Antworten auf „Perspektivenwandel I Blogparade #KultBlick“

Liebe Lena,

sooo wunderschöööön – danke, dass du unserem Ruf gefolgt bist und uns deinen #KultBlick erzählst, der facettenreich ist. Auch merci für den Linktipp zu mir – das freut mich sehr.

Ja, mit der Kamera Kultur-Glücksgefühle erleben finde ich sehr spannend, so wird dem Medium doch immer das Ephemere, Oberflächliche unterstellt. Ein Selfie hier in der Ausstellung, eines dort vor der Architektur und das war’s. Dass sich hier vielleich auch Reflexionen und Aneignungsprozesse widerspiegeln können, wird dabei ganz außer Acht gelassen.

Du nimmst mich wunderbar an die Hand, mit dir durchs Theater mental zu stöbern, auch dafür ein ganz herzliches Dankeschön!

LG, Tanja

Liebe Lena,
etwas verspätet auch von uns noch ein herzliches Dankeschön für diesen großartigen #Kultblick! Da ich selber fast 10 Jahre im Marketingbereich von Theatern gearbeitet habe, kenn ich diesen kritischen Blick auf die ÖA-Arbeit und andererseits die Suche nach provokanten Inszenierungen und neuen Blickwinkeln! Ich freue mich, dass unsere Blogparade so viele unterschiedliche Themenbereiche aufgreift!
Herzliche Grüße aus Hamburg in den Süden,
Katrin Schröder

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