Die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari hat Frank Wedekinds „Lulu“ bei den Salzburger Festspielen neu interpretiert – mit gleich drei Lulus auf der Bühne der Pernerinsel in Hallein…
Mit einer Mischung aus Emotionslosigkeit und Faszination sitze ich am Ende eines denkwürdigen Theaterabends in der Alten Saline auf der Perner-Insel, einem der Spielorte der Salzburger Festspiele. Fasziniert bin ich, weil ich an diesem Ort eine ganz andere Dynamik und Energie spüre, als zum Beispiel im Salzburger Landestheater zu Festspielzeiten. Die Atmosphäre ist entspannter, das Publikum gemischter als im 15km entfernten Salzburg. Nachdem der Salzabbau in Hallein 1989 eingestellt wurde, funktionierte man die Sudhalle auf der Salzachinsel zu einem Aufführungsort für experimentelles Theater und Konzerte zeitgenössischer Musik um. In dieser inspirierenden Umgebung inszenierte die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari Wedekinds ewiges Skandalstück Lulu über den Aufstieg und Fall einer allzu freizügigen, egoistischen wie mutigen jungen Frau, die sich über alle bürgerlichen Moralvorstellungen hinwegsetzt, doch sich letztendlich dem Diktat ihrer dominanten männlichen Umwelt beugen muss.
Fasziniert bin ich zu Beginn des Theaterabends in Hallein auch von den 28 überdimensionalen grauen Kugeln, die federleicht über dem Bodenboden zu schweben scheinen, dabei aber in ihrer Monstrosität etwas Bedrohliches an sich haben. In einem der wenigen starken Momente dieser Inszenierung schälen sich die drei Lulus, gespielt von Isolda Dychauk, Anna Drexler und Ariane Labed, aus je einer der Kugeln wie aus einem Uterus. Der Teufel steckt in diesen drei aufgerüschten jungen Frauen, die in Athina Rachel Tsangaris Interpretation von Wedekinds 1895 uraufgeführten Drama alle menschlichen Regungen und Züge verloren zu haben schienen. Roboterhaft wirken die Bewegungen der Schauspielerinnen, die keine Möglichkeiten haben, aus Tsangaris starrem Regiekorsett auszubrechen. Beinahe hat man den Eindruck, als würde die Regisseurin ihre drei Protagonistinnen zwei Stunden lang wie Marionetten an einem unsichtbaren Faden über die Bühne leiten. Diese Lulus haben nichts Verführerisches, Geheimnisvolles an sich – manisch und voller Zerstörungswut gehen sie auf die Männer in ihrer Umgebung, die sie als reine Projektionsflächen ihrer Begierden ansehen, zu. Tsangaris Interpretation des Wedekindschen Dramas hätte in einem kleineren, intimeren Theaterraum meiner Meinung nach einiges an Kraft und Dynamik dazu gewinnen können. Ich erinnere mich an das ungewöhnliche Projekt „Eurydice : Noir Désir“ im Residenztheater, wo die Zuschauer 2013 in die dunklen Katakomben des Münchner Cuvilliés-Theaters entführt wurden und sich für kurze Zeit jeweils alleine in einem Raum mit einem der vier Darsteller befanden. Vielleicht hätte mich das Ringen der Lulus um ihre weibliche Identität in solch einer außergewöhnlichen Situation mehr berührt und bewegt. In Hallein sitze ich jedoch in der 17. Reihe und lasse diesen Theaterabend innerlich distanziert an mir vorbeiziehen. Wohl auch, weil sich die Vielschichtigkeit der Lulu-Figur für mich nicht durch eine Dreiteilung der Rolle transportieren lässt.
Auch die Leistung des überragenden Schauspielensembles um die drei Lulu-Darstellerinnen, dem unter anderem Rainer Bock als Ganove Schigolch und Medizinalrat Dr. Goll, Christian Friedl als Alwa Schöning und Fritzi Haberlandt als Martha Gräfin von Geschwitz angehören, ist kein Ausgleich für das Fehlen eines für mich schlüssigen dramaturgischen und inszenatorischen Ansatzes in Bezug auf diesen Theaterabend. Einzig die geniale Bühnenkonzeption von Florian Lösche wird mir im Gedächtnis bleiben.
In der Stadt Hallein habe ich übrigens vor dem Besuch der Lulu-Vorführung einige sehr schöne Fotomotive gefunden, die ich euch nicht vorenthalten möchte: