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#Flüstertöne 14 I Der schöne Sinn: Über die Notwendigkeit von Kultur

Für eine funktionierende Demokratie sind Museen, Theater, Opernhäuser, Kabrett- und Kleinkunstbühnen, Konzerthäuser, Kino, Galerien und Bibliotheken gerade in Krisenzeiten unverzichtbar.

Die Zukunftsaussichten sind düster. In dieser Woche verkündeten die großen Berliner Bühnen wie das Berliner Ensemble oder die Schaubühne das Ende der laufenden Spielzeit. Gerade Privattheater wie die Schaubühne sind auf die hohen Einnahmen aus dem Ticketverkauf angewiesen, um ihr wirtschaftliches Überleben langfristig sichern zu können.

Nachdem der Spielbetrieb an der Münchner Staatsoper bereits bis zur kommenden Saison eingestellt wurde, ahnt man, welche Nachricht die Zuschauer voraussichtlich in den kommenden Wochen aus den Münchner Stadt- und Staatstheatern ereilen wird. Immerhin können sie sich in dieser schweren Zeit der finanziellen Unterstützung der Stadt beziehungsweise der bayerischen Staatsregierung sicher sein – wie die freie Theaterszene die nächsten Monate überstehen soll, steht in den Sternen.

Die 1.734 Kinos hierzulande bleiben weiterhin geschlossen, Konzerte finden nicht statt. Immer mehr Kulturfestivals werden abgesagt und ein Ende des analogen kulturellen Shutdowns ist nicht in Sicht. Dass Kultur für unseren bayerischen Landesvater Markus Söder vor allem auf dem Rasen und im Bierzelt stattfindet, war weiter keine große Überraschung für mich.

Im Berliner Ensemble, Februar 2020

Unlängst hat er verkündet, 30.000 freischaffende Künstler*innen mit jeweils 3.000€ über drei Monate hinweg finanziell unterstützen zu wollen. Die Bayerische Landesregierung orientiert sich damit an einem bereits in Baden-Württemberg eingeführten Modell. Ein erster, längst überfälliger Schritt, nachdem das wochenlange Schweigen zur Kultur sowohl bei den Künstlern selbst, als auch bei ihrem Publikum für große Ratlosigkeit gesorgt hatte.

Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie waren im Jahr 2018 265.500 Personen Freiberufler und gewerbliche Unternehmerinnen und Unternehmer im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. Insgesamt gingen rund 1,2 Millionen Personen – also rund 3% der Erwerbstätigen in Deutschland – einem Beruf im Kulturbereich nach. Ihre Arbeit trug in den vergangenen zehn Jahren nicht nur in ideeller, sondern auch in ökonomischer Hinsicht Früchte: So lag die Bruttowertschöpfung in der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland im Jahr 2018 bei schätzungsweise 100,5 Milliarden Euro. Da ist ein neuer Spitzenwert und bedeutet eine Zunahme um 40% Prozent seit dem Jahr 2009.

Dass der Anteil der Bruttowertschöpfung der Kultur- und Kreativwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland derzeit bei rund 3,0 Prozent liegt, ist offenbar zu wenig, um sich dieser durch die Coronakrise in ihrer Existenz bedrohten Branche im Detail zu widmen. Dabei ist der Erhalt einer der vielfältigsten Theater- und Orchesterlandschaften weltweit mit seinen 140 öffentlich getragenen Theatern, 220 Privattheatern, etwa 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchestern, ca. 80 Festspielen, rund 150 Theater- und Spielstätten ohne festes Ensemble und den 100 Tournee- und Gastspielbühnen ohne festes Haus mindestens genauso wichtig wie die Frage, wie viel Spargel wir in diesem Jahr essen können. Die rund 6.800 Museen warten ebenso auf ihre Wiedereröffnung wie die rund 470 Ausstellungshäuser und die über 14.300 Bibliotheken. 

Es gibt ein sehr treffendes Zitat des Schweizer Schriftstellers und Philologen Jakob Bosshart (1862 – 1924), das ist in diesen Tagen wieder entdeckt habe: „Die Empfänglichkeit für Kultur wird künftig den Ausschlag geben und nicht die Gewalt“. Bosshart, ein Sohn kleiner Bauersleute, wusste um den Wert von Kultur als Gegengewicht zum materialistischen Zeitgeist, gegen den er zeitlebens ankämpfte. Wie schnell Kulturlosigkeit in Barbarei umschlagen kann, sehen wir nicht nur am Beispiel unserer eigenen Geschichte, sondern auch aktuell an Ländern wie Ungarn oder Polen, in denen die Kulturschaffenden bereits seit einigen Jahren wieder in erschreckender Art und Weise mit Repressionen zu kämpfen haben. Natürlich sind wir von den dortigen Zuständen im Moment noch weit entfernt: Aber sie sollten eine Mahnung für uns sein, unsere vielfältige Kulturlandschaft im Sinne unseres Verständnisses von Demokratie und gesellschaftlicher Teilhabe unter allen Umständen zu erhalten. Kulturelle Veranstaltungen, Museums-, Bibliotheken- und Kinobesuche sind nicht nur eine schöne Freizeitbeschäftigung: Sie sorgen dafür, dass wir unseren Horizont erweitern und neue Impulse erhalten, durch die wir im Idealfall unser eigenes Handeln hinterfragen und uns aktiv in die Diskussion um eine lebenswerte Gesellschaft einbringen. Kulturarbeit ist immer ein Stück Bildungs- und Demokratiearbeit, die in dieser Form nicht von politischen Institutionen geleistet werden kann und es auch nicht soll. Gerade in der Krise braucht es Orte, an denen unsere derzeitige Realität auf eine andere Art und Weise reflektiert und kritische Fragen diskutiert werden können – ohne Angst vor Repressalien oder vor einer möglichen Schließung der jeweiligen Institution.

Eine berechtige Frage, die im vergangenen Jahr im Rahmen der Ausstellung „Olafur Eliasson: In Real Life“ in der Tate Modern in London gestellt wurde

Gerade die Gefahr eines großen Privattheater- und Kinosterbens ist in der Coronakrise groß. Eine schnelle Wiedereröffnung der Theater, Museen, Galerien, Kabarett- und Kleinkunstbühnen, Opernhäuser, Bibliotheken und Kinos allein wird die Probleme der Kunst- und Kulturschaffenden nicht lösen. Doch die engagierten Mitarbeiter all dieser kulturellen Einrichtungen haben es verdient, möglichst bald klare Ansagen seitens der Politik zu erhalten, wie es mit ihnen in den kommenden Monaten weitergehen soll und und unter welchen Bedingungen zumindest der Probenbetrieb wiederaufgenommen werden könnte. Gerade im digitalen Bereich haben die Kunst- und Kulturschaffenden in den letzten Wochen Großartiges geleistet, um uns in dieser schwierigen Zeit Hoffnung und Trost zu spenden – ihr Beitrag in dieser Krise muss endlich die entsprechende Würdigung erhalten.

 

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