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Flüstertöne #15: Social Embracing

„Social Distancing“ ist das Wort der Stunde: Dabei müssen sich soziale Nähe und physische Abwesenheit nicht ausschließen. Ein Hoch auf die vielen positive zwischenmenschliche Erfahrungen, die ich während des Corona-Lockdowns machen durfte. Liebes Tagebuch,

Unter normalen Umständen wäre mein Terminkalender vielleicht auch an diesem Wochenende wieder aus allen Nähten geplatzt vor lauter Verabredungen zum Frühstücken, Kaffeetrinken und Abendessen. Ich habe mich in den Zeiten des Corona-Lockdowns oft gefragt, ob es für mich tatsächlich immer der physischen Anwesenheit eines Menschen bedarf, um mich ihm oder ihr nah zu fühlen. Geht es nicht vielmehr um die Inhalte der Gespräche, als um die Tatsache, dass man gemeinsam im Café sitzt?

Zugegebenermaßen bedeutete es für mich eine große Umstellung, in den vergangenen Wochen von persönlichen Treffen auf Telefon- und Skype-Verabredungen wechseln zu müssen. Denn ich nehme den Hörer äußerst ungern zur Hand. Das liegt unter anderem auch daran, dass  Telefonate für mich oft wirken wie die Parallelmontage zweier monologischer Erzählstränge:

Wie läuft es im Beruf? Gut, und bei dir?
Habt ihr schon eine neue Wohnung? Ja, und hast du deine Küche nun neu gestrichen?
Wie gefällt es deinem Kind in der Kita? Hervorragend, und bei dir ist wie immer noch kein Mann in Sicht, oder?

Ein intensiver Austausch zwischen zwei Menschen sieht für mich anders aus. 

„Die höchste Form der Kommunikation ist der Dialog“, sagte der Regisseur und Kulturpolitiker August Everding einst bei einem Vortrag im Rahmen des Europäischen Kulturforums in Baden-Baden 1992. Seit dem Beginn des Corona-Lockdowns in Bayern am 20.03.2020 verabrede ich mich mindestens einmal am Tag zu einem Gespräch mit einem meiner engsten Freunde. Mit manchen von ihnen bin ich sogar mehrmals die Woche in Kontakt, was unter normalen Umständen in der Hektik des Alltags gar nicht möglich wäre. Der Kontakt zu ihnen ist enger, als je zuvor – und das, obwohl ich die meisten von ihnen seit mindestens zwei Monaten nicht mehr gesehen habe.

Was mich jedoch noch mehr erstaunt, ist die große Herzlichkeit, mit der mir die Menschen derzeit in den sozialen Netzwerken begegnen. Für mich sind mein Instagram-, mein Facebook– und mein Twitter-Kanal in diesen Tagen nicht nur Plattformen, auf denen ich auf spannende Kunst- und Kulturprojekte hinweise. Die vielen Trost spendenden und Mut machenden Nachrichten, die mich in den vergangenen Wochen erreicht haben, geben mir viel Kraft in einer von einer großen Unsicherheit geprägten Zeit.

Natürlich ersetzen ein Telefonat, eine Videokonferenz auf Zoom oder eine Direktnachricht auf Instagram nicht den persönlichen Kontakt mit der jeweiligen Person: Aber die telefonischen und virtuellen Begegnungen ermöglichen es uns, Kontakt mit denjenigen Menschen aufzubauen oder zu halten, die uns in dieser merkwürdigen Situation zwischen Stillstand und vorsichtiger Hoffnung zuhören und dabei ein ehrliches und aufrichtiges Interesse an uns zeigen.

Und sie lehrt uns den Wert der persönlichen Begegnung endlich wieder mehr zu schätzen: Vier Freunde habe ich seit den Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen in Bayern vor zwei Wochen zu einem Spaziergang getroffen. Die Freude, sie wiederzusehen, war unbeschreiblich.

Deine Lena

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