Diese entsetzliche Leere, von der gerade alle sprechen: War sie nicht schon lange vor der Coronakrise da?
“Built to be lonely
to love the absent.
Find me
Free me
from this
corrosive doubt
futile despair
horror in repose.
I can fill my space
fill my time
but nothing can fill this void in my heart.”
Sarah Kane
Liebes Tagebuch,
diese Zeilen habe ich vor ein paar Tagen in 4.48 Psychose, dem letzten Stück der britischen Dramatikerin Sarah Kane, gelesen. Kane schrieb diese Aneinanderreihung von Monologen, Zahlenketten und Dialogen ohne klare Rollenverteilung unmittelbar vor ihrem Tod im Jahr 1999. Kurz nachdem sie das Manuskript an ihren Verleger übergeben hatte, nahm sich der Star der britischen Theaterszene mit nur 28 Jahren das Leben.
„4:48“ steht symbolisch für eine Uhrzeit am Morgen, wo die Tablettenwirkung zwischen zwei Medikamentendosen in den Hintergrund tritt und eine gewisse Klarheit inmitten eines wahnhaften Zustands zulässt. Diese Uhrzeit markierte den Beginn einer kurzen Phase am Tag, in der die an Depressionen erkrankte Schriftstellerin Sarah Kane im Winter 1998/99 ihre Gedanken zu Papier brachte.
Die existenzielle Einsamkeit ihrer Figuren war eines der Grundthemen ihrer Stücke wie Zerbomt oder Gesäubert. Kane beschreibt darin die Zerrissenheit einer Gesellschaft, deren Mitglieder nur noch Fragmente ihrer selbst sind. In einer Welt voller Grausamkeit, Gewalt und Zerstörung leben sie ohne Empathie und ohne die Fähigkeit, sich selbst und andere zu lieben. Kanes Figuren kommunizieren nicht miteinander – sie werfen sich verletzende Sätze und Worte an den Kopf, als wären es Waffen.
„I can fill my space, fill my time, but nothing can fill this void in my heart“: Dieser Satz aus Sarah Kanes letztem Stück 4:48 Psychose bringt mich zum Nachdenken. Viele Menschen um mich herum beschreiben derzeit einen Zustand innerer Leere, die sie lähmt und handlungsunfähig macht. Vielleicht kommt mit der Coronakrise das Bewusstsein, dass man sich inmitten einer auf Leistung und Perfektion getrimmten Gesellschaft längst selbst verloren hat.
War diese entsetzliche Lücke, von der man derzeit in Bezug auf so ziemlich alle Lebensbereiche spricht, nicht schon lange vor dem Virus da? Haben wir sie nicht einfach nur mit Terminen gefüllt, um nicht darüber nachdenken zu müssen? Und worauf kommt es im Leben wirklich an?
“to feed, help, protect, comfort, console, support, nurse, or heal
to be fed, helped, nursed, protected, comforted, consoled, supported, nursed, or healed
to form mutually enjoyable, enduring, cooperating and reciprocating relationship with Other, with an equal
to be forgiven
to be loved
to be free”
Die hoffnungslose Romantikerin Sarah Kane verlor ihr Leben letztendlich an ihre Depression. Ihr Glauben an die Liebe als Rettungsanker aber blieb bis zum Schluss unerschütterlich. Dieser Glaube kann uns auch während dieser gegenwärtigen Krise retten, wo wir unsere Freunde und Familie über Monate hinweg nicht sehen dürfen. Es bleibt die Hoffnung und die Freude darauf, sie bald wieder in die Arme zu schließen.
Deine Lena