Wie eng der Kosmos, in dem man sich täglich bewegt, bisweilen ist, wird einem oft erst bewusst, wenn man eine Begegnung der besonderen Art hat: Im März 2020 lernte ich den Autor und Regisseur Emre Akal auf Instagram kennen.
Fast hätte es vor dem ersten Corona-Lockdown am 10.12.2020 noch mit einem persönlichen Kennenlernen im Kulturbunt Neuperlach geklappt, wo Emre Akal gemeinsam mit dem Schriftsteller Max Dorner im Rahmen einer Podiumsdiskussion über das Thema „Diversität im Kulturleben“ sprach. Meine Unsicherheit in Bezug auf eine Infizierung mit dem Virus war damals jedoch so groß, dass es vorerst beim digitalen Kontakt mit dem Autor und Regisseur blieb. Zu Beginn des Jahres 2020 hatten Emre und ich zum ersten Mal Kontakt miteinander, nachdem ich die besagte Podiumsdiskussion in Neuperlach auf Instagram beworben hatte.
Über mehrere Monate hinweg schrieben Emre und ich uns während des ersten Lockdowns auf Instagram, bis wir uns im Juli 2020 zu einem Interview vor den Münchner Kammerspielen trafen.
Emre, der mittlerweile als Artist in Residence an den Kammerspielen arbeitet, konfrontiert seine Zuschauer*innen in seinen Arbeiten mit vollkommen neuen Perspektiven und Sichtweisen auf ein Thema und lässt ihnen dabei viel Raum für eigene Assoziationen. Seine Art, Theater zu begreifen, zu schreiben und zu inszenieren, lässt sich nicht auf ein bestimmtes Schlagwort reduzieren. Wie ein Musiker komponiert Emre, der es liebt, in Bilder zu denken und zu arbeiten, seine eigenen Texte und betrachtet seine Regiearbeiten als Partitur, deren Rhythmus und Dynamik sich im Austausch mit den jeweiligen Spieler*innen immer wieder verändern können. Dabei lässt er sich in Bezug auf die Entwicklung seiner Dramen und seiner Regiearbeiten genauso von klassischer Literatur, wie von zeitgenössischer Kunst inspirieren.
Emres Arbeiten als Autor und Regisseur waren in den vergangenen Jahren am WERK X in Wien, dem Bakirköy Belediye Tiyatrosu in Istanbul, an den Münchner Kammerspielen und am Maxim Gorki Theater in Berlin zu sehen. Mit seinem Stück Ostwind, für das er 2015 den Tanz- und Theaterpreis der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg erhielt, gastierte er 2016 an den Münchner Kammerspielen. Im selben Jahr entwickelte er mit Nurkan Erpulat das Stück Love it or leave it! am Maxim Gorki Theater und mit Hakan Savaş Mican ein Stück am Landestheater Niederösterreich. Im Mai 2017 gewann Emre den Jurypreis beim Nachwuchswettbewerb des Theaters Drachengasse in Wien und brachte darüber hinaus das Stück Heimat in Dosen zur Uraufführung. 2017 inszenierte er Mutterland…stille, 2019 Frau F. hat immer noch Angst auf der Bühne der freien Spielstätte HochX in München.
Im November 2019 fiel dann der Startschuss für ein langfristig angelegtes Projekt von Emre Akal und seinen Mitstreiter*innen: Mit Ayşe X Staatstheater entwarfen sie das Modell eines Theater der Zukunft als integrativem, gesellschaftspolitisch relevantem Ort. Das Theater als Gegenraum, in dem die Möglichkeit besteht, Menschen und ihre konträren Meinungen und Sichtweisen zusammenzubringen.
Das Pandemie-Jahr 2020 sollte zu dem erfolgreichsten Jahr in Emres bisheriger Karriere werden: Sein Stück „Hotel Pink Lulu – Die Ersatzwelt“ wurde mit dem exil-DramatikerInnenpreis der Wiener Wortstätten ausgezeichnet. „Das Werk von Emre Akal zeigt, dass sich große künstlerische Vision und flache Hierarchie nicht ausschließen. Dass akribische Recherche und konzentrierte Formensprache kein Widerspruch sind. Dass es so nicht weitergehen kann am Theater, aber dass es weitergehen kann“: So hieß es unter anderem in der Jury-Begründung.
Als Regisseur erhielt Emre 2020 auch den Förderpreis für Theater der Stadt München. Darüber hinaus verfasste er den großartigen Text „Plattenbauphilosophie“ für die literarische Hörspielreihe „Kopfkino“ des HochX und realisierte erste Projekte an den Münchner Kammerspielen.
Immer wenn ich in den vergangenen 2 Jahren auf Emre traf, stellte er mir spannende Menschen vor, mit denen ich bis heute in einem sehr engem künstlerischen und persönlichen Austausch stehe: So wie Melisa Kaya, die persönliche Referentin von Barbara Mundel, der Intendantin der Münchner Kammerspiele. Oder die Künstlerin Gülbin Ünlü und den Schauspieler und Performer Çaglar Yigitoğulları. Ich lernte nicht nur neue Perspektiven auf vermeintlich Bekanntes kennen, sondern ging plötzlich mit viel offeneren Augen durch meine Heimatstadt München. Ich entdeckte die Vielfalt von Stadtteilen, in denen ich nie zuvor gewesen war – wie Neuperlach, wo Emre aufgewachsen ist. Und mir wurde bewusst, wie sehr ich mich bisher in einer weißen Oberschichtsblase bewegt hatte – und wie bereichernd es war, diese immer wieder zu verlassen.
Mit Emre konnte ich immer offen und ehrlich über viele Themen, die mich in Bezug auf das Thema Diversität beschäftigen, sprechen. Nicht immer sind wir in unseren Diskussionen derselben Meinung: Gerade deshalb schätze ich Emres Fähigkeit, die Sichtweisen und Meinungen anderer Menschen anzunehmen und im besten Sinne Aufklärung zu betreiben, ohne sein Gegenüber belehren zu wollen, sehr.
Lieber Emre: Ich danke dir dafür, dass du mir in vielerlei Hinsicht in den vergangenen zwei Jahren immer wieder die Augen geöffnet hast. Dass du mir so viele Leute vorgestellt hast, die mittlerweile gute Bekannte und sogar Freunde wurden. Ich bewundere dich für deine Zielstrebigkeit – und ich wünsche dir, dass es die nächsten Jahre immer weiter beruflich aufwärts geht für dich!
Emres Stück „Hotel Pink Lulu – die Ersatzwelt“, das im November 2021 seine Uraufführung am Schauspiel Leipzig feierte, ist übrigens gerade als Stück des Monats in der Fachzeitschrift „Theater heute“ nachzulesen.
Mehr Informationen über Emre Akal:
https://www.fischer-theater.de/agentur/kuenstlerin/emre-akal/t6129602
https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/wir/3268-emre-akal
Instagram @rasim_emre_akal