
Ein Interview mit der Münchner POLTologin, Redakteurin und dem Haxn-Mitglied Claudia Pichler über Gerhard Polt, die Bühne und die bairische Sprache…
Als ich im vergangenen Dezember zum ersten Mal im Münchner Literaturhauses auf Claudia Pichler aufmerksam wurde, war es, als würde ich einen junger, weiblicher Gerhard Polt auf der Bühne erleben. Die Matinée im Literaturhaus fand anlässlich des 75. Geburtstags des genialen Kabarettisten und Wortschöpfers und anlässlich der Veröffentlichung von Claudia Pichlers Konversationslexikon „Der große Polt“ im Züricher Kein&Aber Verlag statt.
Claudias Einführungsrede war so intelligent und humorvoll gestaltet – und daneben so uneitel und selbstironisch vorgetragen – dass sie mir wie eine sehr gute Kabarett-Nummer bis heute im Gedächtnis geblieben ist.
Claudia Pichler ist ohne Zweifel Deutschlands versierteste Expertin, was Gerhard Polts Werk und seinen Sprachkosmos betrifft: Nachdem sie bereits ihre Magisterarbeit über ein Theaterstück von Polt geschrieben hatte, promovierte sie an der LMU zu dem Thema “Fremdheit bei Gerhard Polt” und veröffentlichte das daraus entstandene Buch 2017 im Eigenverlag. Die in München geborene Redakteurin und Autorin hatte zuvor ihr Magisterstudium an der LMU in Neuerer deutscher Literatur, Psychologie und Politik beendet, ein Volontariat im Kein & Aber Verlag in Zürich absolviert und zwei Jahre die Theaterleitung im Fraunhofer Theater in München übernommen. Im vergangenen Jahr erschien kurz nach der Beendigung ihres Promotionsprojektes im Kein&Aber Verlag „Der große Polt. Ein Konversationslexikon“. Damit schaffte es Pichler nicht nur in die Feuilletons fast aller regionalen und nationalen Tages- und Wochenzeitungen, sondern auch auf die SPIEGEL Bestseller-Liste.
Claudia Pichler ist neben ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin auch noch eine sehr gute Kulturmanagerin: Begonnen hatte ihre Zusammenarbeit mit der Familie Well 2013, als sie zusammen mit Michael und Stofferl Well die Bildbiografie “Biermösl Blosn. Tokio – Kapstadt – Hausen” im Kein & Aber Verlag herausbrachte. Seither hat sie das Booking und die Organisation der zahlreichen Termine der Agentur Well übernommen. Darüber hinaus ist Claudia als Dozentin bei der Münchner Volkshochschule tätig und tritt regelmäßig mit der Band Die drei Haxn, die sich mit ihren humorigen, direkten und deftigen Gesangs- und Tanzeinlagen ihren ganz eigenen Stil erarbeitet hat, auf Kleinkunstbühnen im gesamten bairischen Raum auf.
Vor einigen Wochen hatte ich das Glück, Claudia in der Brasserie Oskar Maria im Münchner Literaturhaus zu einem Gespräch zu treffen!
Herzlichen Glückwunsch zu deiner Dissertation über Gerhard Polt und zu deinem Buch „Der große Polt. Das Konversationslexikon“, das du im vergangenen Jahr im Züricher Kein&Aber Verlag herausgebracht hast. Hättest du dir das träumen lassen, als du nach einem Magisterstudium als Volontärin dieses Verlags beschäftigt warst?
Nein, das fühlte sich vor einem Jahr wirklich alles surreal an! Aber auch sehr schön.
War Volontariat die erste intensivere Begegnung für dich mit dem Polt’schen Sprachkosmos?
Ich hatte tatsächlich bereits meine Magisterarbeit über eines der Theaterstücke von Gerhard Polt geschrieben. Damals fand ich seine Mailadresse im Internet und ich bat ihn um ein Gespräch. Gerhard Polt lud mich zu sich nach Hause an den Schliersee ein – als er mir die Tür öffnete, hatte er unseren Termin aber total vergessen.
Diese Situation kommt mir bekannt vor. Als ich 2010 meine Diplomarbeit über die Shakespeare-Inszenierungen am Münchner Volkstheater geschrieben hatte, war Christian Stückl auch sehr erstaunt, als er mich in einem Café in Oberammergau sitzen sah. Dann aber blieb er einfach mal 1 ½ Stunden von der Probe für die Passionsspiele fern, ohne seinem Team Bescheid zu geben.
Wenigstens war Christian Stückl grundsätzlich da! Ich hatte damals großes Glück, dass Gerhard Polt überhaupt zu Hause war… Seine Erscheinung flößt einem schon erst einmal Respekt ein, aber das Gespräch lief anschließend sehr gut. Gerhard Polt ist ein sehr kluger Mensch, der mir die Zitate für meine Magisterarbeit damals beinahe druckreif vorformuliert hat. Durch Michael Well, der zu dieser Zeit das Archiv von Gerhard Polt verwaltete, kam ich dann auf die Idee, mich nach meinem Studium im Kein&Aber Verlag zu bewerben.
Warum sind seine Werke ausgerechnet in einem Züricher Verlag erschienen?
Weil Gerhard Polt schon seit langer Zeit eng mit dem Verleger befreundet ist und seinem Urteil sehr vertraut. Da im Verlag vor allem Schweizer und Norddeutsche arbeiten, hat man mich als Bairisch sprechenden Neuzugang gleich mal an die Polt’sche Werkausgabe gesetzt. Eine tolle Herausforderung, die mich aber auch die ein oder andere schlaflose Nacht gekostet hat. Glücklicherweise hat Herr Polt relativ schnell großes Vertrauen zu mir entwickelt – das hat die Arbeit an der Werkausgabe sehr erleichtert.
Die Kabarett-Nummern und Sketche von Gerhard Polt begleiten mich seit meiner frühesten Jugend. Bis vor ein paar Jahren war ich Mitglied einer Lesegruppe und die Polt’schen Texte waren fester Bestandteil unseres Repertoires. Ich erinnere vor allem sehr gerne an „Der rosarote Fertigschmeck“ oder „Herr Tschabobo“. Spätestens bei dem Klassiker „Mai Ling“ wird es meiner Meinung nach aber äußerst schwer, den Meister nachzuahmen.
Das stimmt – Gerhard Polts Texte sind auf jeden Fall von einer zeitlosen Aktualität, wie ich letztens erst wieder bei einer Zugfahrt festgestellt habe. Da saß ein farbiger junger Mann mit Kopfhörern und eine Frau kam auf ihn zu, um ihren Koffer aus dem Gepäckfach über ihm herunterzuholen. Irgendwie hat er seine Kopfhörer ausgezogen und meinte: „Kann ich Ihnen helfen?“, woraufhin sie ganz erstaunt meinte: „Sie sprechen ja gut Deutsch“. Er meinte nur ganz erstaunt „Danke“ und der Dame war absolut nicht bewusst, dass ihr Kommentar bei ihrem Gegenüber merkwürdig ankam.
Was macht Gerhard Polt für dich so einzigartig?
Es hat viel mit seiner Bühnenpräsenz zu tun – niemand anderer kann seine Texte in der Art und Weise präsentieren, wie er selbst. Es gelingt Polt auf eine ganz eigene, unvergleichliche Art und Weise, das Wesen des Menschen in all seinen Facetten und Nuancen einzufangen. Indem er seinen ganzen Körper zum Einsatz bringt, fangen seine Texte auf der Bühne auf eine besondere Art und Weise zu leben an. Was ich aber am meisten an Gerhard schätze, ist die Selbstverständlichkeit, mit der er jedem Menschen auf Augenhöhe begegnet: Egal, welches Alter, welches Geschlecht oder welche Herkunft er oder sie hat.
Das von euch im vergangenen Jahr herausgegebene Konversationslexikon finde ich eine herrliche Idee. Gibt es einen Begriff, der den gemeinen Bayern deiner Meinung nach besten charakterisiert?
Oh da gibt es sehr viele! Ich finde vor allem Polts Typenbeschreibungen sehr schön: Es gibt beispielsweise den „Oiweida“, der immer zum richtigen Zeitpunkt am Ort des Geschehens ist. Oder den „Oiweinoda“ und den „Oiweischoda“. Bei manchen Begriffen frage ich mich, warum es sie nicht vorher schon gegeben hat, weil sie einfach so treffend sind. Wenn jemand „vor sich hin schildkrötelt“, hat man gleich ein entsprechendes Bild im Kopf.
Es gibt deinerseits nicht nur eine Verbindung zu Gerhard Polt, sondern auch zu der bekannter Musiker-Familie Well. Mit Michael und Stofferl Well hast du 2013 Bildbiografie “Biermösl Blosn. Tokio – Kapstadt – Hausen“ herausgegeben.
Genau, die erschien damals ebenfalls im Kein&Aber Verlag und darin kamen knapp 60 Wegbegleiter der beiden zu Wort. Seither arbeite ich als Mitarbeiterin für die Agentur Well und bin für das Management von Gerhard Polt und dem „Wellperium“, zu dem unter anderem die Wellküren, die Well-Brüdern oder die Geschwister Well zählen, zuständig. Wir haben das Buch damals in einer atemberaubenden Geschwindigkeit von zwei Monaten zusammengestellt und ich kann mich noch an ein wunderschönes Fest im Anschluss erinnern, wo ich zum ersten Mal einen richtigen öffentlichen Bühnenauftritt hatte.
Die Bühne ist eh dein eigentliches Element, oder? Ich war jedenfalls im Dezember sehr beeindruckt von deiner Eröffnungsrede zur Matinée mit Gerhard Polt & den Well-Brüdern aus’m Biermoos im Münchner Literaturhaus.
(Lacht) Inzwischen macht es mir großen Spaß, auf der Bühne zu stehen – aber ich musste mich erst daran gewöhnen.
Du trittst seit einigen Jahren erfolgreich mit der Formation Die drei Haxn im bayerischen Raum auf.
Die Entstehungsgeschichte der Haxn ist sehr lustig: Ich habe meinen 29. Geburtstag im Fraunhofer gefeiert und hatte eine kleines Akkordeon meiner Mutter mit dabei, das bei uns zu Hause auf dem Speicher lag. Michael Well hat Bariton gespielt und ich habe den kleinen Hampelmann auf dem Akkordeon zum Besten gegeben. Im Scherz meinten wir: „Jetzt sind wir eine Band“. Meine Freundin Anni, die damals mit der Uni fertig war und noch nicht mit ihrem Lehramts-Referendariat beginnen wollte, war damals ständiger Gast im Fraunhofer. Da sie super singt, meinte ich: „Eine Band hab ich schon, schließ dich uns einfach an. Ich konnte damals kein Instrument spielen und hatte wie schon gesagt auch nicht viel Bühnenerfahrung. Mir war nur klar, dass wir uns den Namen unserer Band, „Die drei Haxn“, unbedingt von Gerhard Polt stibitzen müssen.
Wo fand dann euer erster gemeinsamer Auftritt statt?
Michael, Anni und ich – Michael und Anni kannten sich übrigens damals überhaupt nicht – waren gemeinsam in Dorfen, um uns das Konzert eines Gitarrenquartetts anzusehen. Michael meinte schon am Bahnhof: „Hallo Band!“ – damit war der Startschuss für unsere gemeinsamen Konzerte gefallen. Birgitt Binder, die das Künstlermanagement für das Jakobmayer-Kulturzentrum in Dorfen macht, haben wir von unserer Band-Idee erzählt – und schon hatten wir drei Monate später unseren ersten Auftritt!
Und in diesen drei Monaten hast du denn gleich fünf Instrumente gelernt?
Ich habe mal mit einem angefangen (lacht). Akkordeon konnte ich schon ein wenig – dann hab ich mir die Tuba vorgenommen.
Wenn schon, dann ein ganz leichtes Instrument zu Beginn…
Und es macht so viel Spaß! Wir hatten den großen Vorteil, dass wir nie wirklich aktiv Konzertakquise betreiben mussten, sondern sich die Neuigkeit über die Existenz unserer Band relativ schnell herumgesprochen hat. Wir treten jetzt im dritten Jahr gemeinsam miteinander auf und schauen immer, dass wir die Auftritte irgendwie mit Annis schulischen- und Michaels Konzertaktivitäten unter einen Hut bekommen können.
Wie sieht es eigentlich deiner Meinung nach aus mit dem Kabarett-Nachwuchs in Deutschland?
Eher mäßig. Ich war einige Jahre in der Jury des ScharfrichterBeils im Scharfrichter Haus Passau und in der Jury des Kabarett Kaktus – beides klassische Kabarett-Nachwuchswettbewerbe. Es waren zwar schon immer gute Leute mit dabei, aber eben nichts Herausragendes.
Mir geht heutzutage zu vieles in die Comedy-Richtung, was für mich nicht denselben Reiz hat wie Kabarett. Die Texte jüngerer Kabarettisten sind mir oft zu brav, zu zurückgenommen – ich bewundere Künstler wie Sigi Zimmerschied, bei denen es verbal gerne etwas direkter zur Sache gehen darf auf der Bühne.
Das kann ich sehr gut verstehen. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass es heute auch für etablierte Künstler nicht leicht ist, mit dem Druck, ständig etwas Neues, Innovatives liefern zu müssen, umzugehen.
Gibt es im Moment einen jungen Kabarettisten, den du sehr spannend findest?
Ich finde die Schweizerin Lisa Catena interessant – sie präsentiert eine Art politisches Kabarett auf der Bühne, die sehr außergewöhnlich ist. Ich schätze auch die Österreicherin Lisa Eckhart, weil ihre Programme immer schräg sind. Grundsätzlich begeistert mich alles, was mich überrascht und aus dem Rahmen fällt.
Hast du mal überlegt, selber als Kabarettistin aufzutreten?
Ich habe durch die Haxn gemerkt, wie viel Spaß mir der Kontakt mit dem Publikum macht und wie mein früheres Lampenfieber einer gesunden Anspannung gewichen ist. Kabarett liegt mir glaub ich weniger, ich habe mich eher im Bereich Kleinkunst allgemein ausprobiert. In München gibt es viele Stand-up-Formate wie „Ja und weiter“ im Holzkranich, wo du dich mit kürzeren Formaten ausprobieren kannst – das habe ich auch schon gemacht.
Gerade lief im Bayerischen Fernsehen die Dokumentation „Der Klang von Heimat – Die neue Liebe zum Dialekt“, in der es um die zu beobachtende Renaissance des bairischen Dialekts auf Theaterbühnen, in Konzerthallen sowie in Schulen und Kindergärten geht. In jüngerem Alter war es mir zugegebenermaßen sehr unangenehm, auf meine bairische Sprachfärbung angesprochen zu werden.
Und ich habe mich quasi zweisprachig durch meine gesamte Schulzeit bewegt: Zu Hause wurde Bairisch, in der Schule Hochdeutsch gesprochen. Ich hatte damals fast den Eindruck, dass ich das einzige Kind in ganz München bin, das Dialekt spricht. Ich höre eine sprachliche Färbung auf jeden Fall sehr gerne bei meinem Gegenüber.
Meine Einstellung zu Bayern ist glaube ich recht ähnlich zu der von Gerhard Polt: Einerseits stört mich die Dumpfbackigkeit, die man in vielen Kreisen vorfindet – andererseits verspüre ich eine ganz tiefe Heimatverbundenheit, die mir erst mit zunehmenden Alter bewusst geworden ist.
Ich lebe auch sehr gerne hier und könnte mir einen Umzug an einen anderen Ort in Deutschland gerade schwer vorstellen. Wenn man es schafft, sich eine ironische Distanz zu dem, was um einen herum geschieht, zu bewahren wie Gerhard Polt und die Wells, dann kann dem Begriff „Heimatliebe“ auch wieder etwas Positives abgewonnen werden.
Liebe Claudia, ich danke dir ganz herzlich für dieses Gespräch und freue mich sehr, dass wir uns über meinen Blog kennengelernt haben!
Mehr über Claudia Pichler findet ihr auf ihrer Website:
https://claudiapichler.wordpress.com/
Und hier:
https://www.facebook.com/diedreihaxn/
Eine Antwort auf „#Interview mit Claudia Pichler“
[…] Für a Frau“ quer durch die Lande. Seit ich Claudia im Mai diesen Jahres für meinen Blog interviewen durfte, verfolge ich ihren außergewöhnlichen beruflichen Weg. Da wäre zum einen ein […]