„Ich sehe die vielbeschworene Krise überhaupt nicht“, sagt Markus Eisele, einer der beiden Geschäftsführer der Arena Filmtheater BetriebsGmbH, die 1985 gegründet wurde und seit 2006 im Besitz der beiden Gesellschafter Christian Pfeil und Markus Eisele ist. Neben dem Arena Filmtheater im Münchner Glockenbachviertel betreiben die beiden mit dem Monopol-Kino in München, dem Kino in der Alten Brauerei Stegen in Inning am Ammersee, dem Metropol Kino in Gera und dem Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck eine Reihe weiterer renommierter Programmkinos. Im August 2019 war ich zu Besuch im Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck, wo ich mich mit Markus Eisele über die Programmgestaltung für seine Häuser, Kino als Kunstform und die Zukunft des Arthouse-Kinos unterhalten habe.
Ein Hauch von Nostalgie weht durch das Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck, als ich es im August diesen Jahres zum ersten Mal betrete. Die grüne Farbe der Wände im Foyer ist dieselbe wie vor fast 90 Jahren. Im Kinosaal hängen historischen Leuchten von der Decke, im Foyer findet man das originale Kassenhäuschen, das an die goldenen Zeiten des Kinos erinnert. 1930 wurde das Traditionskino in Fürstenfeldbruck eröffnet und gehört zu den ältesten noch genutzten Filmtheatern in Bayern.
Susanna Mair, die auch das Scala Kino in Fürstenfeldbruck besitzt, stellte den Betrieb des Lichtspielhauses 2013 ein, weil er nicht mehr rentabel für sie war. Der Plan, das Gebäude abzureißen, löste einen großen Protest in der Bevölkerung aus. So wurde das Gebäude 2014 unter Denkmalschutz gestellt – ein Glück für die Stadt Fürstenfeldbruck, die es dadurch relativ günstig erwerben konnte. Mittlerweile hatte sich aus dem Protest der Bürger der Förderverein Lichtspielhaus formiert, unter dessen Mitglieder jedoch keine Einigkeit in Bezug auf die Nutzung des Gebäudes herrschte. Jahrelang lagen die Pläne, den Kinobetrieb im Lichtspielhaus wieder aufzunehmen, auf Eis, bis plötzlich gleich zwei Fördervereine um die Entwicklung des besten Konzepts für „ihr“ Kino wetteiferten. Es kam zur Gründung der Interessensgemeinschaft Lichtspielhaus, die Anfang 2017 auf Markus Eisele zutrat. Da er selbst nicht allzu weit weg von Fürstenfeldbruck wohnt, hatte er die Diskussion um die Nutzung des Lichtspielhauses über die Medien mit verfolgt. Zur selben Zeit fand jedoch die Neueröffnung des Kinos in der Alten Brauerei Stegen in Inning am Ammersee statt und Markus Eisele war gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Christian Pfeil dabei, das Metropol Kino in Gera neu aufzubauen. „Ich habe mir die ganze Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen und der Kinosaal in Fürstenfeldbruck sah auf den ersten Blick sehr spielbereit aus. Letztendlich war hier aber noch einiges zu tun. Die Stadt hat sich sehr engagiert gezeigt, was den denkmalgerechten Umbau des Lichtspielhauses anging“.
Nicht nur die Wandfarbe im Inneren des Kinos entspricht dem Originalzustand von 1930. „Seit rund zwei Monaten ist der Originalzustand des Gebäudes wieder so weit wie möglich hergestellt – den Sommer über wurde unter anderem an der Außenfassade gearbeitet. „Einzig der Linoleum-Boden im Foyer ist ein Kompromiss, denn den gegossenen Steinboden von damals gibt es heute nicht mehr in dieser Form“, so Eisele. „Unsere persönliche Note im Eingangsbereich erkennt man an Einrichtungsgegenständen wie dem Tresen. So charmant die Idee gewesen wäre, aus dem alten Kassenhäuschen heraus die Kinotickets zu verkaufen – mittlerweile gibt es einfach praktikablere Lösungen“.
Nicht nur Markus Eisele, sondern auch ich selbst habe täglich in meiner Arbeit mit Filmen zu tun: Als PR-Managerin des Münchner Independent-Verleihs Prokino versuche ich unsere Spiel- und Dokumentarfilme optimal auf ihren Einsatz in den Programmkinos und bisweilen auch in den Multiplexen vorzubereiten. Vor dem Lichtspielhaus in Fürstenfeldbruck fallen mir sofort die Plakate zu unseren letzten Neustarts UNSERE GROSSE KLEINE FARM und PARANZA – DER CLAN DER KINDER auf. Während ich mit Markus Eisele über die Zukunft des Arthouse-Kinos und die Programmgestaltung für seine Häuser spreche, füllt sich das Foyer an diesem Mittwochabend im Lichtspielhaus immer weiter. Gleich beginnt die Vorstellung von YESTERDAY.
Das Engagement für die Institution Kino finde ich hier in Fürstenfeldbruck wirklich bewundernswert. In München hingegen beenden mit dem Gabriel Kino und den Kinos Münchner Freiheit gleich zwei wichtige Programmkinos ihren Spielbetrieb. Macht dir diese Entwicklung Sorgen?
Mir macht eher die derzeitige Lage auf dem Immobilien-Markt Sorge. Wenn die Preise für Grundstücke in Städten wie München, wo Kinos seit Jahrzehnten in attraktiven Gegenden beheimatet sind, weiterhin steigen, zwingt das einen Programmkino-Betreiber über kurz oder lang, aufzugeben.
Würde die Lösung darin bestehen, dass eine Stadt die Immobilie, in denen ein Kino untergebracht ist, selbst besitzt und vermietet?
Nicht unbedingt. Aber zumindest könnte eine Stadt wie München dafür sorgen, dass es eine Art Bestandsschutz für Kulturinstitutionen gibt. Da gehören meiner Meinung nach nicht nur Theater und Konzerthäuser, sondern auch das Kino ganz klar mit dazu.
Gestern habe ich einen Artikel aus dem Jahre 1975 in der ZEIT entdeckt, in dem es hieß: „Vor fünf Jahren noch wurde das deutsche Kino totgesagt. Der Fernsehboom lief. Mehr als die Hälfte aller Theater musste schließen. Nostalgie- und Katastrophenfilme brachten unverhofft eine Renaissance“. Muss das Kino immer wieder Krisenzeiten durchleben, damit es sich selbst kritisch hinterfragt?
Ich glaube, es ist momentan nicht schlecht, dass die Kinobranche ein wenig wachgerüttelt wird. Es gibt es noch zu viele Leute, die den alten Zeiten hinterher trauern und sich nicht den aktuellen Herausforderungen stellen möchten. Der Kino-Betrieb aber lebt von der ständigen Erneuerung und davon, dass man Dinge immer wieder auf den Prüfstand stellt. Wenn wir das begreifen, dann hat die Institution Kino meiner Meinung nach auf jeden Fall eine langfristige Zukunft.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Zuschazer heute sollte man trotz der vielfältigen Möglichkeiten, Filme zu rezipieren, weiterhin ins Kino gehen?
Neben einem sehr guten Programm müssen wir auch die Kinosäle ansprechend gestalten und dafür sorgen, dass sich die Zuschauer bei uns wohl fühlen. Bei uns im Lichtspielhaus gibt es beispielsweise für zwei Euro Aufpreis ganz hinten eine Loge – die neue A-Klasse im Kino sozusagen. Läuft bombig!
Welche Rolle spielt das Thema Gastronomie in euren Kinos?
Wir haben in keinem unserer Häuser eine angeschlossene Gastronomie und verkaufen Ess- und Trinkbares nur über den Kinotresen. Dabei gehen wir aber einen Sonderweg, indem wir zum Beispiel kein Popcorn oder Nachos anbieten – das ist auch in unseren Münchner Kinos zu unserem Markenzeichen geworden. Darüber hinaus findet man bei uns Getränke in Mehrwegflaschen und im Lichtspielhaus verkaufen wir beispielsweise nur Bio-Snacks und Getränke aus der Region wie die Limo von Lammsbräu. Natürlich stößt man mit so einer Entscheidung nicht nur auf Gegenliebe – es gibt immer wieder Besucher, die gerne ihren 1L-Colabecher neben sich im Kinosaal stehen hätten.
Das Wichtigste am Kinobesuch ist und bleibt für mich aber die jeweilige Film-Vorführung. Nach welchen Kriterien stellt ihr das Programm für eure Häuser zusammen?
Wir versuchen nicht nach Schema F zu arbeiten, da das Publikum und die Gegebenheiten in jedem unserer Häuser sehr unterschiedlich sind. Im Lichtspielhaus, wo wir uns schon in der Peripherie von München befinden, zeigen wir progressivere Filme wie zum Beispiel PARANZA – DER CLAN DER KINDER aus eurem Verleih Prokino im Rahmen der Reihe „Saturday Night Movies“, nicht im allgemeinen Programm. Dafür können die Besucher diese Filme dann auch im Original mit Untertitel sehen. Langsam kristallisiert sich eine kleine Fangemeinde dieser Reihe heraus, die seit einem Jahr regelmäßig am Samstag um 22 Uhr den Weg ins Kino findet. Man muss viel Geduld haben als Kinobetreiber und einiges dafür tun, damit das Publikum ein solches Angebot auf Dauer annimmt.
Definitiv! Ich stelle derzeit fest, dass in vielen Programmkinos zu einem Überangebot an wöchentlich anlaufenden Filmen auch noch ein Überangebot an Sonderveranstaltungen kommt.
Es scheint auf jeden Fall ein Konsens darüber zu herrschen, dass die zunehmende Eventisierung des Kinobetriebs der richtige Weg ist, um wieder mehr Zuschauer ins Kino zu locken. Ich finde einzelne Sonderveranstaltungen als Marketing-Maßnahme wichtig und notwendig – meine Miete kann ich davon aber nicht bezahlen.
Bei welchem Film wusstest du in der letzten Zeit sofort, dass er sich perfekt in das Programm des Lichtspielhauses fügen wird?
Bei YESTERDAY: Danny Boyle ist unserem Publikum als großer Regisseur ein Begriff und die Geschichte ist originell – dazu noch die Musik der Beatles.
Wie wichtig ist euch Kontakt zu den Verleihern, deren Filme ihr in euren Kinos zeigt?
Sehr wichtig! Wir können uns nicht beschweren, da wir meiner Meinung nach ein ganz gutes Standing bei den für uns wichtigen Verleihern haben. Sie vertrauen uns und wissen, dass wir ihre Filme nicht schlecht platzieren. Dabei achten wir darauf, mit renommierten Firmen wie Prokino, Pandora oder StudioCanal zusammenzuarbeiten, die ihre Filme durch eine sehr gute Marketing-Kampagne optimal für den Kinostart vorbereiten. Bei anderen Verleihern ist uns das wirtschaftliche Risiko oft zu zu groß.
Wie ist das Verhältnis von Dokumentar- und Spielfilmen bei euch im Programm?
Im Monopol und im Arena Kino in München sind 1/3 der gezeigten Filme Dokumentarfilme. Rein wirtschaftlich gesehen aber werfen Spielfilme wesentlich mehr Gewinn ab. Daher arbeiten wir im Dokumentarfilm-Bereich sehr viel mit Sonderveranstaltungen.
Der deutsche Kinomarkt hat sich im ersten Halbjahr 2019 nach dem schlechten Kinojahr 2018 leicht erholt. Insgesamt wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres 53,7 Millionen Kinotickets verkauft, was einem Plus von 5,1% entspricht. Allerdings war unter den bisher erfolgreichsten Filmen dieses Jahres kein einziger Independent-Film. Wie sehr ist das Programmkino derzeit in der Krise?
Ich sehe die vielbeschworene Krise überhaupt nicht. Einige ordentliche Filme sind besser, als ein herausragender. Auch wenn zuletzt einige Kinos ihren Betrieb aufgeben mussten – es gibt auch viele Beispiele erfolgreicher Kino-Neueröffnungen wie das Neue Maxim in München vor rund zwei Jahren. Beunruhigend wird es meiner Meinung nach, wenn Kino plötzlich in einer ganzen Region nicht mehr stattfindet. Denn anstatt viele Kilometer mehr auf sich zu nehmen, um das nächstgelegene Kino zu erreichen, bleiben viele Leute lieber zu Hause und sind auf lange Sicht an Netflix und Amazon verloren.
Was ist neben Streaming-Portalen deiner Meinung nach der Hauptgrund, warum potentielle Zuschauer dem Kino fernbleiben?
Für mich spielt das Smartphone und die damit verbundene Rezeption von bewegten Inhalten eine große Rolle. Die Jugend ist es mittlerweile gewohnt, Filme auf den kleinen Bildschirmen ihrer Handys anzusehen. Das klappt bei einem YouTube-Clip sehr gut, aber bei einem 120 Minuten langen Film? Diese Generation verlernt gerade, sich zwei Stunden auf ein Thema zu konzentrieren. Andererseits werden gerade die jungen Zuschauer auf der anderen Seite nicht müde dabei, sich auch noch die 08. oder 09. Staffel einer Serie anzusehen.
Wie muss man auf diese junge Zielgruppe zugehen, um sie ins Kino zu locken?
Mein Geschäftspartner Christian Pfeil formuliert es gerne so: „Gemeinsam mit anderen eine Geschichte zu erleben, ist ein urmenschliches Bedürfnis“. Das muss man den jungen Leuten vermitteln. Ein Weg, sie mit der Institution Kino vertraut zu machen, wäre natürlich über die Schulen. Aber das Medium Film ist kaum in den Lehrplänen verankert und viele Lehrer zeigen zu wenig Engagement, wenn es um Schulvorstellungen und die Auswahl der richtigen Filme für ihre Schüler geht. Daher muss man sich als Kinobetreiber etwas einfallen lassen, um attraktiv für die jungen Leute zu sein. Bei uns im Lichtspielhaus gibt es beispielsweise das U21-Ticket: Alle Filme kosten bis zum 21. Geburtstag nur 5€.
„Wenn man nur auf Deutschland blickt, liegt das Problem meines Erachtens darin, dass der Bildungsbürger das Kino nie als Kunstform akzeptiert hat. Der Bildungsbürger geht ins Theater und nicht ins Kino“, sagt der Regisseur Ulrich Köhler unlängst in einem Interview mit dem Fachmagazin BLICKPUNKT:FILM. Hat er deiner Meinung nach Recht mit dieser Aussage?
Da ist insofern etwas Wahres dran, dass Kinos viel häufiger als Wirtschaftsunternehmen, denn als Kultureinrichtungen angesehen werden. Dabei gibt es kaum eine Institution im Kulturbereich, die leichter zugänglich ist für Menschen – sowohl in finanzieller Hinsicht, als auch, als auch in Bezug auf die eigene Hemmschwelle, was Kultur angeht, betrifft. Wenn ein Film gut ist, kann er vielen Menschen neue Denkanstöße und Impulse mit auf den Weg geben.
Mein erster Kinobesuch war mit 6 Jahren Disneys „Arielle und die Meerjungfrau“. Ich kann mich bis heute daran erinnern, wie überwältigt ich damals im Kinosessel saß und wie unspektakulär ich den Film ein Jahr später in der TV-Ausstrahlung fand. Hat dich der erste Kinobesuch Ihres Lebens ebenso geprägt?
Kino begann bei mir erst als Jugendlicher eine Rolle zu spielen. Mein erster Kinobesuch fand erst mit vielleicht 13 Jahren statt – vorher sind meine Eltern mit mir eher ins Theater und in Konzerte gegangen. Während meines Kulturmanagement-Studiums bin ich als Vorführer in einem Programmkino gelandet und habe Feuer für den Film gefangen.
So sehr ich die Institution Kino schätze: Ich sehe der Zukunft des Programmkinos nicht ganz so optimistisch entgegen, wie du. Denn die Zuschauerzahlen der Independent-Filme in Deutschland in den vergangenen Jahren sind leider alles andere, als erbaulich.
Das Problem ist, dass selbst erfolgreiche Filme lange nicht mehr dieselben Zahlen machen, wie früher. Aufgrund der digitalen Möglichkeiten werden heute viel mehr Filme ins Kino gebracht, was ich für keine gute Entwicklung halte. Denn es fehlt an entsprechender Werbefläche im Online- und Offline-Bereich, um auf die Filme aufmerksam zu machen.
Was war die größte Veränderung, die du in Bezug auf die Besucher eurer Kinos in den vergangenen Jahren festgestellt hast?
Als wir begonnen haben, Kinos zu betreiben, war von der Digitalisierung noch nicht viel zu spüren. Die Ansprüche der Zuschauer waren daher auch noch nicht so hoch, wie heute. Zum Glück haben die meisten Programmkinos mittlerweile ordentlich zugelegt, was die Projektion ihrer Filme angeht. Das Arthouse-Kino muss von der Qualität her mit den Multiplexen mithalten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn in unseren Kinos trotz aller Moderne noch den Hauch von Nostalgie zu spüren ist, dann dürfen wir beruhigt nach vorne blicken.
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