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Allgemein Bühnengeflüster

#Interview mit Roman Sladek

 

© Marc Wilhelm/ Fuchsrot Media

Er ist der kreative Kopf einer der erfolgreichsten Big Bands weltweit: 2014 gründete Roman Sladek die Jazzrausch Bigband, der in den vergangenen fünf Jahren ein kometenhafter Aufstieg in der internationalen Musikszene gelang. Am 23. November 2019 findet die Premiere des neuesten Projekts der Jazzrausch Bigband, „Beethoven’s Breakdown“, in der Münchner Philharmonie im Gasteig statt. Anlässlich des großen Beethoven-Jubiläums zum 250. Geburtstag des Komponisten im Jahr 2020 werden die Musiker der Jazzrausch Bigband das Werk Beethovens auf ihre ganz eigene Art und Weise neu interpretieren – und dem Komponisten Anfang nächsten Jahres mit ihrer neuen CD ein Denkmal setzen.

Ich habe mich einige Wochen vor dem großen Auftritt in der Philharmonie mit Roman Sladek zu einem Gespräch über seine musikalischen Anfänge, Freundschaft, Verantwortung, Identifikation und Markenbildung getroffen.

„Jazz ist mehr als nur Musik, Jazz ist eine Lebenseinstellung“, sagte der weltberühmte US-amerikanische Jazz-Saxophonist und Komponist Charlie Parker. Wer zum ersten Mal ein Konzert der Jazzrausch Bigband besucht, hat den Eindruck, als würde er gleich fünfzehn Charlie Parkers auf einmal im Konzertsaal erleben – so leidenschaftlich und mitreißend ist die Energie der 15 Musiker, die ihre Zuhörer ab der ersten Konzertminute zum Tanzen animieren.

Die Idee zur Gründung dieser außergewöhnlichen Jazz-Bigband hatte der Posaunist Roman Sladek, der seine ersten Erfahrungen in Sachen Bigband während seiner Schulzeit in Niederbayern sammelte. Als kleiner Junge improvisierte er am Klavier, bevor er seinen ersten Klavier-Unterricht nahm und diesen einige Jahre später aufgab, um Posaune zu lernen. Es folgte ein musikalisches Intermezzo in der örtlichen Blaskapelle, bevor Roman Sladek Metal-Musik für sich entdeckte und sich ab da an voll und ganz auf das Metal-Schlagzeug konzentrierte. Als er als Jugendlicher am musischen St.-Gotthard-Gymnasium in Niederalteich angenommen wurde und ein Instrument finden musste, das dort im Hauptfach angeboten wurde, fand er den Weg zurück zur Posaune. Gemeinsam mit seinem Lehrer gründete Roman Sladek eine eigene Schulbigband, wurde schnell Mitglied des Bayerischen Jugendjazzorchesters und Jungstudent an der Hochschule für Musik und Theater in München. Nach dem Abitur studierte er sowohl klassische, als auch Jazzposaune und schloss darüber hinaus ein Studium in Kultur- und Musikmanagement an, bevor er 2014 gemeinsam mit dem Komponisten Leonhard Kuhn die Jazzrausch Bigband gründete. Sie avancierte innerhalb kürzester Zeit von einem Münchner Geheimtipp zu einem international gefragten Ensemble.

Ich traf Roman Sladek im Oktober 2019 an einem Freitagabend in einem Café nahe der Münchner Freiheit. Rund 120 Konzerte spielt die von ihm ins Leben gerufene Jazzrausch Bigband pro Jahr weltweit – für Roman Sladek bedeutet das vor allem, rund 30 Musiker so zu koordinieren, dass 15 von ihnen im Wechsel bei jedem Auftritt mit dabei sind, nebenher aber auch noch ihren eigenen Projekten nachgehen können. „Ich fühle mich manchmal nicht nur wie der Kopf, sondern auch wie die Schuhsohle unseres Ensembles. Denn viele Sachen, die weniger spannend sind, bleiben als Bandleader eben auch an dir hängen. Rechnungen bezahlen, Leute für Flüge einchecken, Backlines bestellen zum Beispiel“.

Man spürt schnell, wie ernst Roman seine Rolle als Bandleader nimmt. Während er sich selbst Gedanken um Konzepte für neue Projekte und um deren Umsetzung macht, komponiert sein Partner Leonard Kuhn die Stücke für die Musiker. „Es ist sehr komplex, ein so großes Ensemble zu ‚beschreiben’. Dazu braucht es mehr Handwerk, als gutes Songwriting“, meint Roman Sladek. Man kann nur erahnen, wie viel Engagement, Verantwortungsbewusstsein und Leidenschaft der 29-jährige in den vergangenen Jahren an den Tag gelegt hat, um die Jazzrausch Bigband zu dem zu machen, was sie heute ist: Ein Ensemble, das sich immer wieder neu erfindet und zwischen Technobeats und Jazz-Klängen seinen ganz eigenen Musikstil erschaffen hat, mit dem es das Publikum in den Konzertsälen in Nairobi, Niederbayern oder Austin in Ekstase versetzt. Das Repertoire der Jazzrausch Bigband reicht dabei von groovigen Weihnachtsliedern auf ihrer CD „Still! Still! Still!“ bis hin zu ihrem neuesten Programm „Beethoven’s Breakdown“, mit dem die Musiker am 23. September 2019 die Philharmonie zum Beben bringen werden.

„Ich bin überzeugt davon, dass man nicht bekömmliche Musik machen und dabei sehr gut aussehen muss, um Erfolg zu haben“, sagt Roman Sladek, als wir auf die Wirkung von Jazz-Musik auf das Publikum zu sprechen kommen. Die Statistik der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse in Bezug auf die Beliebtheit von Jazz in den Jahren 2015 bis 2019 in Deutschland macht klar, dass der Jazz derzeit offensichtlich unter einem Image-Problem leidet: 33,28% der deutschsprachigen Bevölkerung hören ihn überhaupt nicht, lediglich 4,79% hören diese Musikrichtung sehr gern, während 19,36% der Befragten angaben, überhaupt nichts mit Jazz anfangen zu können. „Der Jazz kommt heute aus dem Kopf und nicht aus dem Herzen“, sagt der US-amerikanische Pianist und Komponist Kenny Barron.

Auch Roman Sladek beobachtet, dass gerade junge Leute große Berührungsängste haben, wenn es darum geht, ein Jazz-Konzert zu besuchen. Daher machte er 2014 einen großen Schritt auf sein Publikum zu, indem die Jazzrausch Bigband, die ihrem Namen dem mittlerweile geschlossenen Münchner Club „Rausch & Töchter“ verdankt, zur weltweit ersten Resident Big Band des beliebten Technoclubs Harry Klein wurde. Neben Roman zählen so renommierte Musiker wie der Bassist Maximilian Hirning, der ein Teil des 2019 mit dem Europäischen Nachwuchs-Jazzpreis in Burghausen ausgezeichneten Ensembles LBT ist, oder der Saxophonist Moritz Stahl, der zu den Gründungsmitgliedern des Quintetts Ark Noir zählt, zur Jazzrausch Bigband.

Bevor das Publikum diese außergewöhnliche Band am 23.09. in der Philharmonie im Gasteig erleben kann, habe ich Roman Sladek zu einem Gespräch über Freundschaft, Verantwortung, Identifikation und Markenbildung getroffen.

Ich hätte bereits großen Respekt davor, ein Streichquartett mit vier unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten zu gründen. Eine Bigband mit rund 30 Mitgliedern stellt jedoch noch einmal eine ganz andere Herausforderung für einen Bandleader dar. Arbeitest du mit einer extra langen Doodle-Liste oder wie gelingt es dir, die vielen Jazzrausch-Mitglieder zu koordinieren? 

Man muss sich die Bigband wie eine Fußball-Mannschaft vorstellen: Wir sind 15 Leute auf der Bühne und jede Position ist doppelt besetzt. Dadurch, dass wir im vergangenen Jahr rund 120 Konzerte, also im Durchschnitt 2-3 Mal pro Woche, gespielt haben, gibt es bei uns aber keine A- oder B-Mannschaft, sondern die Musiker rotieren ständig. Dadurch hat jede und jeder von uns die Freiheit, neben seiner Verpflichtung für die Jazzrausch Bigband auch noch andere Jobs anzunehmen. Dieses Konzept funktioniert allerdings nur, wenn man als Band eine kritische Masse an Konzerten pro Jahr bestreitet und alle Musiker dadurch ständig in Übung bleiben.

Du selbst bist wahrscheinlich bei allen Konzerten mit dabei? 

Ja, zumindest bei 98%.

Ist es dir wichtig, dass die Big Band für die Jazzrausch-Mitglieder trotz weiterer musikalischer Verpflichtungen immer an erster Stelle steht? 

Als Bandleader habe ich natürlich den Anspruch, dass die Jazzrausch Bigband die Nummer 1 für jedes Band-Mitglied ist. Als Musiker weiß ich aber auch um die Notwendigkeit, sich seine eigene finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren und sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Um das Engagement aller Musiker für die Big Band auf einem hohen Level zu halten, muss ich als Bandleader zum einen dafür sorgen, dass die Anzahl an Gigs und die Gagen stimmen – zum anderen ist es aber vor allem wichtig, dass die Musiker weiterhin so viel Spaß bei unseren Konzerten haben, wie im Moment. Die Identifikation mit einer Band kann (zum Glück) nicht nur durch wirtschaftliche Zwänge erzeugt werden.

Wäre es dein Ziel, dass sich die Bandmitglieder irgendwann nur noch auf die Jazzrausch Bigband konzentrieren können? 

Ich bin momentan sehr froh darum, dass ich nicht für alle Musikerinnen und Musiker die wirtschaftliche Alleinverantwortung trage. 30 Leuten durch die Auftritte mit einer Techno-Bigband ein Einkommen zu beschaffen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist eine große Herausforderung. Eine gewisse ideelle Abhängigkeit zwischen mir und der Band besteht trotzdem. Denn wir wollen auch weiterhin unbedingt alle gemeinsam unsere Vision von Musik auf der Bühne verwirklichen.

Der Aufstieg der Jazzrausch Bigband war in den vergangenen Jahren seit ihrer Gründung 2014 kometenhaft. Wenn man das begeisterte junge Publikum bei euren Konzerten beobachtet, scheint es, als habe es in Bezug auf die Interpretation von Jazz vor eurer Gründung eine riesige Leerstelle gegeben. 

Ich habe die Band ursprünglich ins Leben berufen, da ich im Studium den Eindruck hatte, dass junge Leute durchaus an Jazz interessiert sind. Aber sie wollen diese Musik nicht zu den Rahmenbedingungen hören, unter denen die Konzerte oft stattfinden. Daher habe ich damit begonnen, eine Konzertreihe im Club „Rausch&Töchter“ aufzubauen. Inmitten einer Umgebung, in der sich junge Menschen wohl fühlen, sind sie viel eher bereit dazu, sich auf ungewohnte Musik einzulassen.

Die Konzertreihe im „Rausch&Töchter“ gibt es leider nicht mehr, aber die Jazzrausch Bigband füllt mittlerweile wesentliche größere Säle. Welches Publikum kommt zu euren Konzerten? 

Es zählen nicht nur junge Leute und Jazz-Fans zu unseren Zuhörern. Ich beobachte eher, dass ältere Leute auf einmal wegen uns anfangen, Techno zu hören. Sie genießen es, dass unsere Musik anspruchsvoll ist, sie aber deswegen nicht auf ein lustvolles Konzerterlebnis verzichten müssen. Bei unseren Konzerten kann man mit guten Gewissen einen ganzen Abend lang durchtanzen.

Der Jazz ja per se kein „uncooles“ musikalisches Genre. Ich muss aber zugeben, dass ich bisher auf Jazz-Konzerten fast nie jüngere Leute entdeckt habe. Worin besteht die Hemmschwelle, wenn es um diese Musik geht?

Vielleicht fehlt dem Jazz gelegentlich etwas von seiner ursprünglichen Lockerheit und Unverkrampftheit. Früher hießen Technoclubs Ballsäle und nachdem es zu dieser Zeit noch keine DJs gab, spielten dort Swing-Bands. Mit einer Big Band in einen Technoclub zu gehen und dort etwas Anspruchsvolles zu spielen, empfinde ich daher nicht als etwas Ungewöhnliches.

Heute kann man Jazz im Gegensatz zu früher an Musikhochschulen studieren. 

Einerseits ist es ein Vorteil, dass diese Musikgattung dadurch immer vielfältiger wird. Andererseits gerät man als Musiker aufgrund dieser zunehmenden Komplexität immer mehr in Gefahr, den Kontakt zum Publikum zu verlieren. Dabei ist es keineswegs so, als könnte man seinen Zuhörern keine komplexe Musik nahebringen.

Ich kann mir vorstellen, dass man als Mitglied einer Jazzband im Gegensatz zum Orchestermusiker noch stärker mit der Frage nach dem eigenen Selbstverständnis konfrontiert ist. 

Ja, denn im Orchester gibt es viele Menschen, die sich um die Interpretation der Stücke, die Vermarktung und das Management kümmern. Außerdem findet klassische Musik meistens in prachtvollen Bauten statt, die per se schon zu einem Konzertbesuch einladen.

Und es gehört zum guten Ton, sich in angemessener Robe in regelmäßigen Abständen in der Oper zu zeigen, wenn man einer bestimmten Gesellschaftsschicht angehört. 

Absolut. In ein Jazzkonzert hingegen gehst du nicht, weil das Gebäude so fett ist – da muss die Motivation schon eine andere sein. Vor allem aber hat die Jazzszene nicht so viel professionelles Personal, das sich um das Thema Vermarktung kümmert. Daher müssen wir Jazzmusiker gleichzeitig Unternehmer, Werbetreiber und Künstler sein.

In welchem Alter bist du selbst zum ersten Mal mit Jazz in Berührung gekommen?

Mit improvisierter Musik habe ich schon sehr früh meine ersten Erfahrungen gemacht. Mein Vater setzte mich einfach ans Klavier und ließ mich frei improvisieren, während er dazu Gitarre gespielt hat. Das war quasi meine musikalische Früherziehung. In C-Dur kann man zum Glück wenig falsch machen.

Dann aber kam irgendwann der klassische Klavierunterricht hinzu, oder? 

Ja, nach der Zeit der Improvisation begann mit etwa fünf Jahren der Klavierunterricht. Den habe ich jedoch nach ein paar Jahren beendet und wurde Mitglied der örtlichen Blaskapelle. Dort spielte ich nur aus einem Grund Posaune: Das Instrument war damals das einzige, das noch frei war. Nach einiger Zeit gab ich dann auch das Posaune-Spiel auf, weil meine Heavy Metal-Phase begann. Als ich im Alter von 15, 16 Jahren auf ein musikalisches Gymnasium wechselte und wieder auf Posaune umschwenkte, geschah in den drei Jahren danach sehr viel in meinem musikalischen Leben: Ich wurde Mitglied im Landesjugendjazzorchester und Jungstudent im Fach Posaune an der Musikhochschule in München.

Und das, obwohl dein Instrument ursprünglich eine Zufallswahl war. 

Ich war bestimmt nicht ganz unbegabt, was die Posaune angeht. Aber ich merkte nachher im Studium schnell, dass die meisten um mich herum aus Musikerhaushalten stammten oder deren Eltern zumindest in irgendeiner Weise beruflich mit Musik zu tun hatten und meine Kommilitonen daher aus anderen Gründen Musik machten, als ich.

Vielleicht hast du genau deswegen einen gewissen „missionarischen Eifer“ darin entwickelt, Menschen an eine Musik heranzuführen, die zunächst einmal fremd for sie klingt.

Vielleicht, ja. Ich glaube, dass es grundsätzlich einfacher ist, sich als Zuschauer mit jemandem auf der Bühne zu identifizieren, der genauso alt ist, wie man selbst. Wir jungen Musiker können sehr stark dazu beitragen, dass eine junge Generation wieder Spaß dabei hat, sich mit Jazz zu beschäftigen. Ich betrachte meine „Mission“ aber nicht als Lehrauftrag. Viel mehr treibt mich die Motivation an, Musik für Menschen zu machen, die sich nicht nur mit mir, sondern mit denen ich mich umgekehrt auch selbst identifizieren kann.

Hast du deine ersten Big Band-Erfahrungen wie so viele junge Musiker klassischerweise in deiner Schul-Big Band gemacht? 

An unserem musischen Gymnasium ging es eher traditionell-klassisch zu. Daher habe ich mit meinem damaligen Trompeten-Lehrer – einen Posaune-Lehrer gab es nämlich an meiner Schule nicht – eine Big Band an unserer Schule gegründet. Darin waren vor allem meine Metal-Kollegen zu finden, da sie Instrumente wie Schlagzeug und Bass spielen konnten. Schließlich wurde ich Teil des Landes-Jugendjazzorchesters, das tatsächlich eine Big Band ist. An der Uni habe ich zunächst klassische Posaune studiert, dann aber schnell gemerkt, dass ich mich bei den Jazzern wohler fühle.

Heute bist du quasi ein Big Band-Experte, nachdem du vor fünf Jahren eine der derzeit erfolgreichsten Big Bands weltweit gegründet hast. 

Das bedeutet aber nicht, dass ich mich in diesem Bereich besonders gut auskenne. Ich habe relativ wenig Ahnung von Big Band-Historie, höre wenig Big Band-Musik und bin auch kein ausgewachsener Blechbläser-Fan. Was ich an dem Konzept „Big Band“ spannend finde, ist vor allem der soziale Aspekt. Darüber hinaus erlaubt es diese Ensembleform den Musikern, relativ unterschiedliche Stile zu spielen und trotzdem als eine Band wahrgenommen zu werden. Dadurch, dass ich aber nicht per se ein riesen Fan traditioneller Big Band-Musik bin, habe ich einen sehr hohen Anspruch an das, was wir mit der Jazzrausch Bigband machen. Eine Big Band muss mehr sein, als eine Ansammlung von Musikern mit unterschiedlichen Instrumenten.

Das Label „Big Band“ finde ich trotzdem gut, weil jeder sofort etwas damit assoziieren kann. 

Auf der einen Seite auf jeden Fall, klar! Aber junge Leute denken bei Jazz oft erst mal an Jazz-Frühschoppen und weniger an gute, anspruchsvolle Partymusik. Um einen großen Konzertsaal zu füllen, brauchst du sehr viele Leute im Raum, denen das Wort „Big Band“ erst einmal wenig bis gar nichts sagt. Ich sehe unsere Aufgabe daher eher darin, die Menschen dazu zu bewegen, uns zuzuhören, OBWOHL wir eine Big Band sind.

Da traf es sich sehr gut, dass ihr die erste Resident-Big Band im Harry Klein wurdet…

Das stimmt, denn dadurch ist ein bestimmter Bruch bereits vorgegeben. Viele dachten sich bestimmt: „Big Band ist doch grauenhaft – aber in so einem coolen Techno-Club? Das muss ich mir mal genauer anschauen“.

Und dann auch noch das „Rausch“ in eurem Namen: Das impliziert ja bereits eine bestimmte Wildheit und Andersartigkeit. 

Das ist sehr schön, wenn das bei dir so ankommt. Es gibt nach wie vor diverse Leute in der Musikindustrie, die mir nahegelegen, unseren Band-Namen zu ändern, weil die Worte „Jazz“ und „Big Band“ darin stecken. Dem Begriff „Jazz“ mag zuweilen etwas Traditionelles, fast Spießiges anhaften. Aber mein Ziel war und ist es, ihn wieder mit positiven Inhalten zu füllen.

Zumal „Jazz“ ja auch ein unglaublich vielfältiger, manchmal auch etwas schwammiger Oberbegriff für eine Vielzahl musikalischer Stilrichtungen ist. 

Ich würde sogar noch weiter gehen und Jazz als Funktionsweise beschreiben, die es einem ermöglicht, kreativ und spontan auf die eigene musikalische Umwelt zu reagieren. Genauso bedeutet „Jazz“ für mich aber auch, kreativ mit Besetzungen, Konzertlocations oder Wirtschaftsmodellen umzugehen. Dieser Begriff beschränkt sich nicht nur auf die Musik selbst.

Gibt es etwas, das dich am Jazz stört? 

Ich finde es manchmal schade, dass die Kreativität von Jazzmusikern oft bei ihrem eigenen Instrument endet. Was daraus resultiert, ist viel Frust und Schachteldenken. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Musikerinnen und Musikern gelingt, ihre Kreativität aufs große Ganze zu übertragen. Denn „kreativ sein“ haben Jazzmusiker ja sozusagen studiert.

Apropos Studium: Man hört bei Jazzmusikern meiner Meinung nach sehr deutlich, ob sich jemand dieser Musik als Autodidakt angenähert hat oder darin ausgebildet wurde wie all eure Jazzrausch-Bandmitglieder. Waren diese Lehrjahre die Basis für euer künstlerisches Schaffen? 

Ich würde sagen, jeder von uns hat erst einmal als Autodidakt begonnen und sein Wissen anschließend akademisiert hat, um zu guter Letzt wieder zu einer gewissen Ursprünglichkeit zurückzukehren.

Muss man deiner Meinung nach eine Hochschule besucht haben, um ein guter Jazzmusiker zu werden? 

Nein, das denke ich nicht. Aber wahrscheinlich ist man ohne Studium eher an ein bestimmtes musikalisches Genre gebunden.

Was war dein wichtigstes Ziel, als du 2014 die Jazzrausch Big Band gegründet hast? 

Dass wir uns gemeinsam musikalisch immer weiter entwickeln und dass jeder und jede von uns immer wieder künstlerisch herausgefordert wird. Denn nur dann strahlt man ein gewisses Selbstbewusstsein auf der Bühne aus, das sich auf den Zuhörer überträgt. Und man wird als Band nicht austauschbar und beliebig.

Ich stelle es mir spannend, aber nicht immer einfach vor, aus 15 so begabten und eigenwilligen Künstler-Individuen wie dem Saxophonisten Moritz Stahl oder eurem Komponisten Leonhard Kuhn ein Ensemble zu formieren. Wie demokratisch kann eine Big Band organisiert sein, damit das Identifikationspotential der eigenen Musiker auf Dauer hoch genug ist? 

Es gibt Momente, in denen man als Bandleader wichtige Entscheidungen alleine trifft. Das liegt aber auch daran, dass die anderen Bandmitglieder bestimmte Dinge gar nicht mit entscheiden wollen. Und dann gibt es wieder diejenigen Momente, in der jeder Musiker gerne mitreden möchte. Meinen Führungsstil als Bandleader musste ich in den vergangenen Jahren immer wieder hinterfragen und weiter entwickeln. Die Musikerinnen und Musiker müssen das Gefühl bekommen, dass sie nicht nur ein Teil einer Band, sondern die Band selbst sind. Und dieses Gefühl bekommen sie nur, wenn ich bereit bin, Verantwortung an sie abzugeben.

Die musikalischen Fähigkeiten der einzelnen Band-Mitglieder sind für das Funktionieren einer Big Band am allerwichtigsten, oder?  

Ich würde sagen, sie sind die Grundvoraussetzung. Aber die besten Solisten auf der Bühne sind nicht zwangsläufig diejenigen, die vor dem Konzert Tickets verkaufen oder nach dem Konzert den LKW beladen. Viele Musikerinnen und Musiker, die in den Konzerten vermeintlich in der 2. Reihe stehen, sind oft genug unverzichtbar für das Weiterbestehen einer Band. Ohne sie würden Ensembles wie die Jazzrausch Bigband nicht existieren können.

Wie geht man bei der Gründung eines solch musikalischen Großunternehmens als Bandleader vor? 

Am Anfang habe ich einfach diejenigen Musiker, die ich am besten kannte und die ich am nettesten fand, in die Band geholt. Über die Musikhochschule kannte ich darüber hinaus noch weitere Leute und so hatte sich schnell ein Kreis an Leuten zusammengefunden, der etwas größer war als eine normale Big Band-Besetzung. Irgendwann – und an diesem Punkt scheitern die meisten Bands – ist es dann aber an der Zeit, sich von einem rein freundschaftlichen Verhältnis hin zu einem professionelleren Verhältnis zu bewegen.

https://m.soundcloud.com/two-in-a-row/two-in-a-row-podcast-32-jazzrausch-bigband

Was bedeutet das mittelfristig für die Freundschaft? 

Dass sie eine ganze Zeit lang zugunsten der kollegialen Zusammenarbeit hinten angestellt werden muss. Das kostet einen Haufen Kraft, ist aber unabdingbar, wenn man als Band kollegial, flexibel und beweglich auftreten möchte. Und das muss man unbedingt, denn die erste Reaktion von Konzertveranstaltern ist oft: „Was, so viele Leute?“

Je größer der Erfolg, desto mehr Entscheidungsträger aus der Musikindustrie nehmen Einfluss auf die künstlerische Weiterentwicklung. Wie kann es einem gelingen, sich in diesem Spannungsfeld als Band treu zu bleiben?

Wenn man wie wir starke Partner an unserer Seite hat, muss man auch damit rechnen, dass diese eigene Ideen und Vorschlägen einbringen möchten. Als Künstler durchläuft man eine Art zweite Pubertät, in der man lernt, die eigene Arbeit von Zeit zu Zeit zu hinterfragen, ohne dabei die Liebe zur Musik zu verlieren. Ich finde es sehr bereichernd und notwendig, wenn Leute von außen auf unsere Band schauen und wir nicht die ganze Zeit um uns selbst kreisen.

Apropos Selbstverständnis und Vermarktung: Ihr tretet seit einiger Zeit mit einer speziellen „Eye Black“-Bemalung über eueren rechten Augen auf, die ich sonst nur aus dem Sport kenne. Eine Kampfansage an den Jazz?  

Nein, überhaupt nicht. Die Idee zu dieser Bemalung stammt von der Zugabe ab, die wir oft spielen: „Punkt und Linie zur Fläche“. Die Inspiration für dieses Stück fand unser Komponist Leonard Kuhn in einem fast gleichnamigen Buch von Wassily Kandinsky. Ganz konkret auf unser Make-Up bezogen ist die Pupille der Punkt, der aufgezeichnete Strich die Linie und das Gesichts die Fläche. Darüberhinaus ist es ein „Dresscode“, der überaus einfach anwendbar ist.

© ACT / Josy Friebel

 

Diesen hohen künstlerischen Ansatz an eure Arbeit erkennt man auch, wenn man euren Instagram-Feed durchscrollt. „This is not a band, this is art!“, schrieb ein Fan in einem der Kommentare.  

Ein sehr schönes Kompliment. Kunst zu machen und andere von dem künstlerischen Wert der eigenen Arbeit zu überzeugen, ist ein wichtiges Ziel: Aber diese Arbeit und sich selbst entsprechend zu vermarkten, fällt uns manchmal immer noch sehr schwer. Für mich besteht eine wesentliche Herausforderung darin, dass unsere Musik von außen als etwas Lustvolles und Schönes wahrgenommen wird, wir uns aber künstlerisch deshalb nicht einschränken müssen.

Verleitet einen der wachsende Erfolg nicht dazu, die eigene Musik leichter genießbar zu machen? 

Noch nicht, dafür bedeutet uns das „Musik machen“ selbst noch zu viel.

Was ist deiner Meinung nach der Hauptgrund für die Skepsis vieler Leute in Bezug auf außergewöhnlichere, ungewohnte Musik? 

Ich kann gut nachvollziehen, dass manche Menschen durch das Anhören von Musik eher von ihren Alltagssorgen abgelenkt werden möchten, anstatt dadurch herausgefordert zu werden. Die Frage ist also, ob man will, dass Kunst und Kultur eine Parallelwelt darstellt, in der vieles weichgespült und geglättet ist. Ich würde die Jazzrausch Bigband in ihrem Grundwesen eher als Teil des echten Lebens bezeichnen. Womöglich ist der Weg zum Erfolg dadurch aber ein etwas längerer und mühsamerer.

Ihr begebt euch immer wieder auf Konzertreisen rund um den Globus und wart in den vergangenen Jahren unter anderem in Kenia, den USA oder China zu Gast. Wie hat das Publikum in China zu euren Jazz- und Elektrobeats getanzt – und wie in Afrika? 

Die Kombi „Herz und Hirn“ funktioniert wirklich überall auf der Welt sehr gut – egal ob in Peking oder in Niederbayern. Die Chinesen mögen zwar etwas kontrollierter eskalieren, als viele Afrikaner – aber sie eskalieren trotzdem!

Euer neues Album, das im Januar 2020 erscheint, wird den Titel „Beethoven’s Breakdown“ tragen. War Beethoven im Grunde seines Herzens ein Jazzer?  

Von seinem Spirit her auf jeden Fall! Denn er wollte nicht einfach nur Funktionsmusik komponieren. Ich würde sogar soweit gehen, da fast alle Musiker, die man heute als „klassisch“ bezeichnet, Jazz im Blut hatten. Die wenigsten von ihnen lebten damals in gesicherten finanziellen Verhältnissen, sondern mussten sich über ihre Auftragskompositionen über Wasser halten. Und den Zwang, das eigene Überleben durch kommerzielle Stücke zu sichern, kannten sie allzu gut.

Inwiefern würdest du sagen, dass sich „Beethoven’s Breakdown“ von euren vorherigen Alben unterscheidet?

Wir untersuchen unseren „Techno-Jazz“ ständig auf seine Publikumswirkung. Dadurch fließen bei jeder neuen Produktion unzählige Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Vorgängeralben mit ein. Bei „Beethoven’s Breakdown“ ging es uns aber natürlich auch darum, musikalische Themen und Ideen von Ludwig van Beethoven authentisch auf ein Genre zu übertragen, das erst einmal gar nichts mit dem Komponisten zu tun hat. Zugegebenermaßen gibt es aber einfachere Kombinationen, als Beethoven und Techno!

Es muss immer wieder Herausforderungen geben im Leben…

Und Jubiläen wie den 250. Geburtstag von Beethoven. Das lädt natürlich umso mehr zu einer differenzierten Betrachtung seiner Musik ein.

Was wünscht du der Jazzrausch Bigband für die kommenden Jahre? 

Natürlich würde es mich freuen, wenn die Band immer mehr Aufmerksamkeit in der Musiklandschaft auf sich zieht. Dabei darf aber das, was uns zusammenhält und was uns ausmacht, aber nicht verloren gehen. Ich wäre sehr glücklich, wenn sich die Band so weiterentwickeln darf, wie sie es bisher getan hat. Das schließt auch mit ein, dass noch ganz viele Überraschungen auf uns und die Zuhörer zukommen werden.

 

Lieber Roman, mein Terminkalender ist ja schon immer recht voll – aber deiner toppt wirklich alles 😉 Umso mehr freut es mich, dass du dir die Zeit für dieses ausführliche Interview für meinen Blog genommen hast! Ich freue mich sehr auf den 23.11. und bin gespannt darauf, den Gasteig an diesem Abend einmal ganz anders zu erleben!


Mehr Infos über die Jazzrausch Bigband:

https://jazzrauschbigband.de/

Instagram @jazzrauschbigband

Facebook @jazzrauschbigband

Karten für das Konzert am 23.11. in der Philharmonie im Gasteig gibt es hier zu kaufen.

Im 6. Dezember 2019 könnt ihr die Jazzrausch Bigband gleich wieder im Gasteig erleben mit ihrem Weihnachtsprogramm „Still! Still! Still“ im Gespäck! Tickets gibt es hier.

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