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#Interview mit der Schauspielerin Stefanie Reinsperger

© Katharina Poblotzki

Sie war 2017 die allererste Gesprächspartnerin, die ich für meinen Blog interviewte. Seither durfte ich die österreichische Schauspielerin Stefanie Reinsperger sowohl im Berliner Ensemble, wo sie seit der Spielzeit 2017/ 18 engagiert ist, als auch im Rahmen zweier Lesungen in Salzburg und in Bad Vöslau erleben. Ein FaceTime-Interview über ihre Liebe zum Theater, Radtouren durch Berlin, Eis essen in Österreich und die Suche nach einer neuen Form von Nähe auf der Bühne und vor der Kamera.

Es fühlte sich alles so leicht und so unbeschwert an, als die musikalische Lesung von Stefanie Reinsperger und Noah Saavedra im Rahmen der Veranstaltungsreihe Schwimmenden Salon an einem lauen Sommerabend im August 2018 begann. In dem rund 40km von Wien entfernten Ort Bad Vöslau organisiert die Journalistin und Autorin Angelika Hager – besser bekannt unter ihre Pseudonym Polly Adler – seit 2011 jedes Jahr im Sommer inmitten des dortigen Thermalbades Lesungen mit hochkarätigen Gästen, zu denen in den vergangenen Jahren unter anderem Claus Peymann, Caroline Peters, Maria Happel, Philipp Hochmair und Harald Schmidt zählten.

Stefanie Reinsperger und Noah Saavedra lasen an jenem Abend im August Texte von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka, den bedeutendsten bildenden Künstlern der Wiener Moderne, und ließen die Zuschauer tief in die Gedanken- und Gefühlswelt der weltberühmten Maler eintauchen. Dazu sangen Steffi und Noah Lieder über die Liebe, über Leidenschaft, Sehnsucht und Schmerz – und begeisterten das Publikum mit ihren ganz eigenen Versionen von bekannten Songs wie Rainhard Fendrichs „Weus’d a Herz hast wia a Bergwerk“.

Wenige Monate vor meinem Besuch in Bad Vöslau war ich Stefanie Reinsperger zum ersten Mal persönlich begegnet. Im Berliner Ensemble, wo sie seit der Spielzeit 2017/ 2018 als festes Ensemblemitglied engagiert ist, tauchte sie als Stargast in der ersten Ausgabe der Late-Night-Show „BEnvenidos“ ihrer Schauspielkollegen Annika Meier und Sascha Nathan auf. Steffi rockte die Bühne im Dirndl zur Musik der Band Tante Polly und freute sich darüber, dass es zur Feier des Tages endlich einmal Brezen und richtiges Bier in ihrer neuen Heimat Berlin gab. Im Juni 2018 erlebte ich sie dann gemeinsam mit ihrem Ensemblekollegen Nico Holonics im Rahmen des Literaturfest Salzburg, wo die beiden aus „ich lerne: gläser + tassen spülen“, einem Briefwechsel zwischen Bertolt Brecht und seiner großen Liebe Helene Weigel aus den Jahren 1923–1956, lasen. Diese Texte gewähren einen sehr spannenden Einblick in das Leben des berühmtesten Künstlerehepaars, das sowohl in beruflicher, als auch in privater Hinsicht immer wieder große Krisen bewältigen musste. Trotz aller Souveränität und Selbstbestimmtheit von Helene Weigel führte in diesen Briefen vor allem Bertolt Brecht das Wort – Ansporn genug für Stefanie Reinsperger, der 1971 verstorbenen Theatermacherin, Regisseurin und Schauspieler auf der Bühne der SZENE Salzburg denjenigen Platz einzuräumen, der ihr gebührt.

Die Schauspielerin liebt es, Erwartungen zu brechen und den Zuschauer hinter die Fassade ihrer Figuren blicken zu lassen. Stefanie Reinspergers Buhlschaft in der Jedermann-Inszenierung der Salzburger Festspiele 2017 und 2018 war weit mehr, als ein schmückendes Beiwerk – die Schauspielerin befreite die mit vielen Klischees und Vorurteilen aufgeladene Rolle aus dem Korsett des wildes, durchtriebenen Superweibs. Und die österreichische Monarchin Maria Theresia, die bis heute vor allem mit Attributen wie Schönheit, Jugend und Hilflosigkeit in Verbindung gebracht wird, verkörperte sie in Teil 3 und 4 der hochgelobten österreichisch-tschechischen Miniserie von Robert Dornhelm als kämpferische, feministische Frau zwischen ehelicher Pflichterfüllung und politischen Ambitionen.

Die Seele eines Menschen – seine Abgründe, sein innerer Antrieb, seine Sehnsüchte – ist das, was Stefanie Reinsperger an ihren Figuren interessiert. Egal, ob sie als Titelrolle in Ersan Mondtags Baal-Inszenierung oder als Magd Grusche in Michael Thalheimers Inszenierung von Brechts Der kaukasische Kreidekreis am Berliner Ensemble brilliert oder sich als Postenkommandantin Franziska Heilmayr nach dem Mord an einem Callgirl im Salzburger Landkrimi Das dunkle Paradies auf Spurensuche begibt.

Seit sie 2015 in gleich zwei Inszenierungen beim Berliner Theatertreffen zu sehen war – zum einen in Robert Borgmanns Inszenierung die unverheiratete und zum anderen in der Inszenierung Die lächerliche Finsternis ihres Lieblingsregisseurs Dušan David Pařízek – hat sich Stefanie Reinsperger als eine der spannendsten, vielseitigsten Darstellerinnen im deutschsprachigen Raum etabliert. Nach der Matura studierte sie am renommierten Max Reinhardt Seminar in Wien und begann anschließend ihr erstes Festengagement am Schauspielhaus Düsseldorf. 2014/15 wechselte sie an das Burgtheater Wien, bevor sie eine Spielzeit darauf Ensemblemitglied am Wiener Volkstheater wurde. Im selben Jahr wurde sie von der Zeitschrift „Theater heute“ als „Nachwuchsschauspielerin des Jahres“ und als „Schauspielerin des Jahres“ ausgezeichnet. 2015 erhielt sie darüber hinaus den österreichischen Theaterpreis Nestroy in der Kategorie Bester Nachwuchs weiblich für ihre Darstellung in Die lächerliche Finsternis.

Steffi ist trotz ihres großen Erfolgs immer sie selbst geblieben: Eine selbstbewusste, sehr herzliche und emotionale junge Frau mit einem einer großen Liebe für ihren Beruf und einem echten Interesse an den Menschen um sie herum. Als ich sie zuletzt Anfang März 2020 nach der Vorstellung von Max und Moritz in der Kantine des Berliner Ensemble traf, ahnte keine von uns beiden, dass unsere Welt zwei Wochen darauf eine vollkommen andere sein würde. „Wie baut man die derzeitige Realität in einen Film ein? Spielen wir, dass wir ohne Maske irgendwo reingehen?“, fragt mich Steffi, als wir uns nach den Wochen des Lockdowns im Mai 2020 zu einem Interview auf FaceTime verabreden. „Ich dachte am Anfang noch: Irgendwann kommt der Tag X, an dem alles vorbei ist und an dem wir uns alle auf der Straße in den Armen liegen“. Mitte März war sie noch beim Deutschen FernsehKrimifestival in Wiesbaden zu Gast: „Dort hatten schon alle Leute Desinfektionsmittel dabei und niemand gab sich mehr die Hand“. Wir sprechen auf FaceTime über ihr neues Hobby „Schaufenstersitzen“ und darüber, wie traurig sie der Anblick eines Theaters ohne Zuschauer stimmt. Aber auch darüber, wie schön es für sie ist, die Stadt Berlin gerade noch einmal vollkommen neu zu entdecken.

 

Als ich dich in meinem ersten Interview überhaupt für meinen Blog vor drei Jahren fragte, wie du deine damalige Tagesstimmung in einem Hashtag beschreiben würdest, lautete deine Antwort: #aufgeregtneugierigundwissbegiergaufdiezukunft.

Eine sehr gute Aussage, die sich eins zu eins auf die den heutigen Tag übertragen lässt (lacht)!

Gibt es noch einen anderen Hashtag, den du mit dieser Corona-Krise verbindest?

#GemeinsamEinsam. Als wir neulich ein Jahrgangstreffen meiner ehemaligen Schauspielklasse auf Zoom gemacht haben, wurde mir so richtig bewusst, dass wir gerade alle überall auf der Welt dasselbe erleben – egal ob in Israel, London oder in Berlin.

Mitte März hast du deine Instagram-Fangemeinde mit sehr witzigen Video-Stories aus deinem Homeoffice-Alltag erfreut. Kamen dir die ersten Tage des Lockdowns nicht wie ein surreales Theaterstück vor?

Absolut! Zu Beginn konnte ich die Situation sehr gut annehmen, weil ich ein sehr intensives Jahr hinter mir hatte. Nach dem ersten Schock habe ich das gemacht, was vermutlich die meisten Menschen zunächst einmal gemacht haben: Mich um meine Steuererklärung gekümmert, den Kleiderschrank ausgemistet, die Abstellkammer auf Vordermann gebracht. Nach so viel Aufräumwahn wäre ich nun dazu bereit, wieder die Bühne zu stürmen!

Wie hart hat dich die Nachricht getroffen, dass das Berliner Ensemble bis zum Ende der Spielzeit Ende Juni geschlossen bleibt?

Natürlich ahnte man bereits im Vorherein etwas. Als wir dann aber in unserer Ensembleversammlung hörten, wie sehr sich unser Alltag als SchauspielerIn künftig verändern wird, hat es mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Diese Krise ist für mich manchmal schwer greifbar, wenn ich sehe, wie viel zum Beispiel seit Wochen hier in Berlin gebaut wird. Auf den Baustellen gelten scheinbar keine Abstandsregeln – auf der Bühne dagegen sehr strenge.

In dieser Krise tritt mehr als deutlich zutage, was schon immer ein großes Problem der Kultur war: Ihre fehlende Lobby innerhalb des Politik.

Absolut. Ich erlebte eine absurde Situation auf Netflix, als ich einen Film in der deutschen Fassung ansah. „Weil die Sicherheit unserer Synchronsprecher vorgeht, kann es sein, dass nicht alle Dateien vollständig synchronisiert sind“, wurde dort eingeblendet. Was machen wir, wenn uns der Content in dieser Krise ausgeht? Es ist schwer zu ertragen, wenn man hört, dass man nicht systemrelevant ist, aber gleichzeitig unter anderem die Kunst in Form von Filmen, Serien, Musik und Büchern dafür sorgt, dass die Menschen in der Krise nicht komplett durchdrehen.

Es geht für mich weniger darum, euch ein konkretes Datum zu nennen, an dem ihr das Theater wieder jeden Tag in Vollbesetzung bespielen dürft. Aber zumindest braucht es klare Vorgaben seitens der Politik, welche Hygiene- und Sicherheitsvorgaben eine Bühnenbetrieb erfüllen muss, um das Theater zumindest für einen Teil des Publikums wieder zugänglich zu machen.  

Nicht einmal für die Schauspielschulen gab es eindeutige Vorgaben, wie ihre Ausbildung unter diesen Umständen fortgesetzt werden kann. Ich unterrichte an der Ernst Busch und habe schon nach kürzester Zeit festgestellt, dass beispielsweise der Monolog-Unterricht nicht in digitaler Form möglich ist.

Triffst du dich also dazu persönlich mit den Studenten?

Ja, im Park und auf Abstand klappt das ok.

In mancherlei Hinsicht mag diese Krise aber auch eine Chance für euch Schauspieler sein – gerade was die Erwartungen an eure permanente Leistungsfähigkeit angeht.  

Ich gehörte bisher auch zu denjenigen Darstellern, die eine Vorstellung mit ihrem Kopf unterm Arm spielen. In Zukunft wird man sicherlich nicht mehr erkältet auf der Bühne stehen dürfen. Das ist sehr gut so und das hätte schon vor Corona nicht der Fall sein sollen.

Wie nimmst du Berlin, wo du seit Mitte 2018 lebst, in dieser Krise wahr?

Manchmal dachte ich: „Hier gibt’s gar kein Corona!“ Die Stadt ist wirklich schwer in den Zaum zu kriegen und gefühlt hat eh alles zu jeder Tages- und Nachtzeit auf. Ich jedenfalls lerne die Stadt gerade auf eine Art und Weise kennen, für die ich unter normalen Umständen gar keine Zeit hätte.

Auf deinem Instagram-Kanal sieht man die wunderschönen Fotos deiner zahlreichen Tagesausflüge.

Ich habe sehr viele Radtouren gemacht und hatte plötzlich die Zeit, mitten unter der Woche auf einem Handtuch im Gras zu liegen. Es war zugegebenermaßen ein extrem privilegierter Lockdown, den ich in den vergangenen Wochen erlebte.

Die vielen Proteste gegen unsere angebliche Freiheitsberaubung kann ich schwer nachvollziehen, wenn man die Situation in Ländern wie Italien oder Spanien sieht.

Vor allem unsere Generation ist es einfach überhaupt nicht gewohnt, etwas nicht tun zu dürfen. Aber in einer Stadt wie Berlin, die jahrzehntelang geteilt war, kann man die Sorge vor dem eigenen Freiheitsentzug zu einem gewissen Teil auch nachvollziehen. Die wechselvolle Geschichte Berlins immer noch die Identität der Stadt.

Wie erlebst du den Umgang deiner österreichischen Familie und Freunde mit der Krise?

Während ich ihnen erzähle, dass ich Stressattacken im Park bekomme, weil alles so voll ist – mein persönliches Highlight war übrigens der Schweiß eines anderen Joggers auf meinem Ellbogen – berichteten mir Freunde vor einigen Tagen, dass sie nun endlich einmal wieder beim Eis essen waren. Ich hingegen habe in den vergangenen Wochen so viel Eis gegessen wie noch nie!

Hast du eigentlich zu Beginn dieser Krise überlegt, sie bei deinen Eltern in der Nähe von Wien zu verbringen?

Nein, so sehr ich meine Eltern und meine Schwester im Moment auch vermisse. Dazu waren die Quarantäne-Bestimmungen einfach zu extrem. Und ich dachte Mitte März nicht im Traum daran, dass dieser Zustand so lange andauern könnte. Letzte Woche habe ich übrigens auf der Website des Flughafen Wien folgenden Satz gelesen: „Der Flughafen Wien wird derzeit leider nicht angeflogen“. Wahnsinn!

Der große Traum von Sebastian Kurz wurde wahr – Österreich first, geschlossene Grenzen…

Das ist nicht nur sein großer Traum… Es bleibt für mich ein bitterer Beigeschmack aus der Zeit des Lockdowns: Überwinden wir die Krise am Ende nur gemeinsam, wenn sich jedes Land nach außen hin abschottet?

Wann warst du nach deinem letzten Auftritt auf der Bühne des Berliner Ensemble wieder zum ersten Mal vor Ort im Theater?

Ende April, als ich nach fünf Wochen spielfreier Zeit meine Aufnahme für die FAZ-Reihe „Mein Fenster zur Welt“ gemacht habe. Mir schossen die Tränen in die Augen, als ich vor dem BE stand. Ein leeres Theater ist wirklich ein sehr trauriger Zustand.

Mir fällt übrigens gerade auf, dass hinter dir auf deinem Schrank „On Stage“ geschrieben steht.

Haha ja, das ist meine Lampe!

Was ist in dieser theaterlosen Zeit momentan für dich am schwersten zu ertragen?

Dass man nicht weiß, wie lange diese Krise noch andauern wird. Nicht spielen zu dürfen, fühlt sich ein bisschen an wie Liebeskummer. Zuerst gibt es die Phase der Stagnation, in der du die Trennung gar nicht fassen kannst. Dann folgt eine Zeit, in der du einfach nur wütend bist – ohne genau zu wissen, auf was oder wen. Und dann bist du einfach nur traurig und kann dich zu nichts mehr motivieren.

Fehlt dir das Theater vor allem als Ort der Selbstreflektion?

Ja, aber vor allem auch als ein Ort der Selbstentäußerung. Was ich gesamtgesellschaftlich sehr bedenklich finde, ist, dass das Theater als ein Spiegel der Gesellschaft und der aktuellen politischen Entwicklungen gerade keine Möglichkeit hat, seine Rolle in aller Umfänglichkeit auszufüllen.

Andererseits muss sich das Theater derzeit auf der digitalen Ebene noch einmal völlig neu erfinden, um den Kontakt zu seinem Publikum in der Coronakrise nicht zu verlieren.

Ein paar Neuerungen in diesem Bereich sollte man unbedingt nach der Krise beibehalten. Wir haben beispielsweise am BE ein digitales Publikumsgespräch zu Max und Moritz gemacht und ich würde mir wünschen, dass man zukünftig analoge Publikumsgespräche parallel dazu aus dem Theater streamt.

Und ich hoffe auch in Zukunft auf so herzerwärmende Videos wie „Love and Art in Times of Lockdown“ am 12. April auf deinem Instagram-Account.

Das war wirklich ein sehr schönes Projekt mit Wojo van Brouwer und Nikolaus Barton – zwei Freunden und ehemaligen Kommilitonen am Max Reinhardt Seminar, die gerade in Wien und Frankfurt leben. Wir haben uns sehr gefreut über das Feedback zu dieser kleinen Geschichte über Kafka. Unter normalen Umständen hätten wir wahrscheinlich gar nicht die Zeit gehabt für so eine spontane Aktion.

Ein solcher Kurzfilm spendet sehr viel Trost und Zuversicht in dieser schwierigen Zeit. Die Sehnsucht nach dem Live-Erlebnis auf der Bühne wird man dem Publikum dadurch nicht nehmen.

Absolut! Die Menschen werden hoffentlich nach dieser Krise eine solche Sehnsucht nach der persönlichen Begegnung und nach dem Austausch mit anderen Theaterbegeisterten haben.

Was hatte ich nicht schon für lustige Gespräche im Zuschauerraum…

Zu mir meinte eine Dame mal nach einer Vorstellung, dass sie in den neun Stunden der „Les Misérables“-Inszenierung von Frank Castorf richtig Freundschaft mit ihrer Sitznachbarin geschlossen hat.

Inwiefern trägt einen ein fester Zusammenhalt innerhalb des Ensembles wie am BE durch eine Krise wie diese?

Ich bin sehr froh, dass wir in den vergangenen zwei Spielzeiten so gut als Team zusammengewachsen sind. Wichtig finde ich, dass man jedem Kollegen und jeder Kollegin seinen ganz persönlichen Umgang mit dieser Krise zugesteht. Ich zum Beispiel halte mich gerne an Regeln. Als ich von einer älteren Schauspielerin am BE hörte, dass sie auf der Straße angehustet und nachgeäfft wurde, weil sie einen Mundschutz trug, fehlten mir wirklich die Worte.

Der Virus und sein Umgang damit bringen einfach das Schlechteste und das Beste in den Menschen hervor.

Definitiv. Ich bin sehr gespannt darauf, wie es sich anfühlen wird, wieder mit meinen Kollegen zu proben. Denn jeder trägt seinen Erfahrungsrucksack der vergangenen Monate mit sich herum, der sich nicht einfach so abstreifen lässt.

Liegt in dieser Krise nicht auch eine große Chance, festgefügte Strukturen am Theater zu überdenken?

Ja, durchaus. Die Herausforderung wird vor allem darin liegen, dass nicht jeder Abend gleich aussieht. Quarantäne, Isolation, Social Distancing (wer hat dieses Wort eigentlich erfunden?), die Vereinzelung in unserer Gesellschaft: Das alles wird in irgendeiner Form in unsere Inszenierungen einfließen. Ich finde es wichtig, in die Zukunft zu denken und zu lernen, wie man auf Dauer in der Kunst mit den Herausforderungen, vor die uns dieses Virus stellt, umgeht.

Du bist eine Schauspielerin, die sehr gerne körperlich arbeitet. Wie groß ist derzeit deine Angst vor zu viel Nähe auf der Bühne?

Ich glaube, man muss nach einer neuen Form des Umgangs miteinander suchen, mit der sich alle Beteiligten wohl fühlen. Vorgaben von außen können bis einem bestimmten Punkt helfen: Irgendwann aber sollte es in meiner eigenen Verantwortung liegen, wie nah ich einem Spielpartner oder eine Spielpartnerin kommen möchte.

In „Max&Moritz“ könntest du einfach die gesamte Vorstellung über im Hühnerkostüm bleiben.

Darunter ist es leider sehr heiß (lacht)! Außerdem würde sich die Kostümbildnerin Viktoria Beer am Ende nicht darüber freuen, wenn uns die Federn in Scharen ausfallen.

BE backstage: „Max und Moritz“ from Berliner Ensemble on Vimeo.

Viel schwieriger als die Kostümfrage stelle ich mir Kussszenen vor – die sind vermutlich im kommenden Jahr einfach tabu.

Ich glaube allerdings nicht, dass ich mir das Virus einfange, wenn mir ein Kollege das Knie küsst (lacht). Das mag jetzt vielleicht etwas überspitzt klingen und ich bin natürlich dafür, dass man sich in der gegenwärtigen Situation an die Hygiene- und Sicherheitsstandards hält. Auf Dauer aber besteht die Gefahr, dass von außen bestimmt und kontrolliert wird, was auf der Bühne gezeigt werden darf und was nicht.

Ich beneide gerade keinen Intendanten, der unter diesen Umständen eine neue Spielzeit planen muss.

„Auf Sand planen“: So bezeichnet Oliver Reese sehr treffend diesen jetzigen Zustand. Wer weiß schon, was im September sein wird?

Für ein Haus wie die Münchner Kammerspiele, an dem im Herbst der Neustart unter den Intendantin Barbara Mundel beginnt, könnten die Zeiten kaum schwieriger sein.

Und auch für Theater wie die Berliner Schaubühne, die sehr viel international arbeiten. An die Tanzszene darf man erst gar nicht denken!

Ich hoffe auch, dass es die freie Theaterszene nach Corona noch geben wird.

So dankbar ich bin, an einem Haus wie dem Berliner Ensemble engagiert sein zu dürfen: Die freien Theater haben oft noch einmal ganz andere Möglichkeiten, Themen auf der Bühne zu verhandeln. Daher muss man alles dafür tun, um den dortigen Spielbetrieb auch weiterhin zu ermöglichen.

Der letzte Theaterabend, an dem man dich am Berliner Ensemble auf der Bühne erleben konnte, war ironischerweise „Selbstbezichtigung“.

Vielleicht wird Selbstbezichtigung auch die erste Vorstellung sein, die ich nach der Sommerpause wieder spiele! Schließlich bin ich allein auf der Bühne (lacht).

Könntest du dir vorstellen, eine „Selbstbezichtigung“-Vorstellung auf Zoom zu spielen?

Nein, auf keinen Fall. Das ist ein derart intimer Abend, der sehr stark davon lebt, wer mir in welcher Sekunde im Publikum in die Augen sieht – gerade am Ende, wo das Ganze beinahe in ein gemeinsames Meditieren zwischen den Zuschauern und mir ausartet.

© Ulrike Rindermann/ Volkstheater Wien

Vielleicht gibt es in der kommenden Spielzeit nur noch Solostücke von und mit Stefanie Reinsperger.

Um Gottes Willen, das will keiner sehen (lacht)! Jetzt waren wir so lange alleine zu Hause gesessen, da möchte ich nicht auch noch alleine auf der Bühne stehen müssen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich jeden einzelnen von meinen BE-Kollegen vermisse. Und ich merke gerade, wie kostbar jede Umarmung ist!

Mir fällt es gerade auch sehr schwer, Menschen nicht umarmen zu dürfen. Gerade deshalb finde ich es spannend, wie man sich in einem Beruf verhält, in dem Nähe ein fester Bestandteil des Berufsbildes ist.

Schauspieler und Abstand: Das geht normalerweise gar nicht zusammen. Man sollte meiner Meinung nach als Spieler auch immer mit sich selbst und mit seinem Innenleben in Kontakt stehen. Bei aller Vorfreude auf meinen ersten Auftritt am Berliner Ensemble habe ich auch großen Respekt davor. Was wird es mit mir machen, wenn ich von der Bühne aus in einen Raum blicke, in dem nur wenige Leute mit Masken sitzen?

BE „Der kaukasische Kreidekreis“ from Berliner Ensemble on Vimeo.

Auch auf der Zuschauerseite bin ich mir gerade nicht sicher, wie viel mir diese neue Art des Theaterbesuchs tatsächlich geben kann. Eine Begegnung mit anderen Theaterinteressierten und dem Ensemble nach der Vorstellung ist ja von vornherein ausgeschlossen.

Um noch einmal auf den Liebeskummer von vorher zurückzukommen: Diese neue Form, Theater zu erleben, ist für mich so etwas wie die erste Beziehung nach einer langen Phase des Leidens. Es fühlt sich alles unglaublich aufregend und neu, aber auch komisch an. Man muss diese Zeit nutzen, um sich ausprobieren: Dann hat man eine Chance, dass die Beziehung danach richtig gut wird!

Was wünscht du dir für den Neustart am Berliner Ensemble?

Dass man zu einer neuen Normalität findet, die nicht alles ausschließt, was einmal da war.

 

Liebe Steffi, du bist nicht nur eine leidenschaftliche Schauspielerin, sondern auch eine wunderbare Freundin. Ich freue mich sehr, dass wir uns durch meinen Blog kennengelernt haben und ich danke dir für all die besonderen Begegnungen mit dir in den vergangenen Jahren! Auf bald wieder im Theater und alles Liebe nach Berlin! 


Mehr Informationen über Stefanie Reinsperger: 

https://www.berliner-ensemble.de/stefanie-reinsperger

http://www.agenturvogel.de/vita.php?uid=93

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