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#Interview mit Aleksandar Radenković

© Linda Rosa Saal

Er ist Ensemblemitglied am Maxim Gorki Theater, spielt seit kurzem eine durchgehende Hauptrolle in der ZDF-Krimiserie Letzte Spur Berlin und ist gerade im Kino in der Tragikkomödie Rü­cken­wind von vorn zu sehen: Ein Interview mit dem Schauspieler Aleksandar Radenković…

Marco (Aleksandar Radenković) ist in Rückenwind von vorn eher der Durchschnittstyp. Nett anzusehen, freundlich, ein bisschen spießig vielleicht. Aber alles in allem ein Mann, mit dem man sich sehr gut vorstellen könnte, das Thema Familienplanung anzugehen. Schließlich hat man mit Anfang, Mitte 30 seine wilde Phase hinter sich. Doch Marcos Freundin Charlie braucht noch keine Familie, keine Verantwortung, keinen Alltagstrott. Mit ihrem Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit stößt sie ihren langjährigen Freund immer wieder vor den Kopf…

Im Februar habe ich Aleksandar Radenković im Rahmen der Berlinale in diesem zauberhaften Film von Philipp Eichholtz erleben dürfen, der in einer berührenden, unsentimentalen Art und Weise von der Komik und der Tragik des Erwachsenwerdens erzählt. Auch im letzten Jahr war Radenković in Kinofilm zu sehen, der sich ähnlich wie Rückenwind von vorn durch seine klugen, improvisierten Dialoge auszeichnet: Beat Beat Heart ist eine Geschichte über Selbstfindung, die große Liebe und das Zerplatzen von Lebensträumen.

Es ist schon jetzt klar, dass 2018 das Jahr für den 1979 im serbischen Novi Sad geborenen Aleksandar Radenković werden wird: Derzeit ist er nicht nur auf der Kinoleinwand zu sehen, sondern ermittelt auch in durchgehenden Hauptrollen als Kommissar in der ZDF-Krimiserie Letzte Spur Berlin und in der RTL-Serie Tatverdacht.

Vor allem aber ist Radenković ein leidenschaftlicher Theaterschauspieler und seit 2013 am Berliner Maxim Gorki Theater engagiert. Ich wurde vor allem 2015 verstärkt auf ihn aufmerksam, als er Interview anlässlich der Inszenierung von Yael Ronens Theaterstück Common Ground am Gorki Theater gab. Die israelische Regisseurin befragte in ihrem zum Theatertreffen 2015 eingeladene Stück SchauspielerInnen, die in Belgrad oder Sarajevo, Novi Sad oder Prijedor geboren und aufgewachsen sind, rund 25 Jahre nach dem Beginn der Jugoslawienkriege zu ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden.

Nach seiner Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig wurde Radenković zunächst an das Schauspiel Leipzig engagiert und wechselte später ins Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Ab 2011 war er am Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert, ab der Spielzeit 2013/ 2014 dann am Maxim Gorki Theater.

Zum allerersten Mal habe ich deinen Namen 2009 in einem Programmheft des Münchner Volkstheaters gelesen, als ich für meine Diplomarbeit über die Shakespeare-Inszenierungen an diesem Haus recherchiert habe. Zwischen 2001 und 2002 warst du als Regieassistent am Volkstheater beschäftigt: Inwiefern hat dich diese Erfahrung geprägt?

Man könnte sagen, meine Zeit am Münchener Volkstheater war der Beginn der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Schauspielerberuf. Während meiner Schulzeit war ich in der Theater-AG und habe hier und da kleine Sachen fürs Fernsehen gemacht. Ich hatte nach dem Abitur aber noch nicht so recht den Mut, mich auf einer staatlichen Schule zu bewerben. Deswegen der Umweg über eine Regieassistenz und die Erkenntnis, dass die gestandenen Schauspieler auf der Bühne auch immer wieder bei null anfangen und positives Scheitern und das Nicht-weiter-wissen durchaus zum Beruf gehören. Das hat mir Mut gemacht.

War dir schon damals klar, dass du das Regiepult irgendwann gegen die Bühne tauschen würdest?

Lustigerweise prophezeien mir meine Eltern seit Jahren, dass ich irgendwann Regisseur werde. Ich sehe mich so gar nicht darin. Im Gegenteil, die Vorstellung, viele unterschiedliche Schauspieler unter einen Hut bringen zu müssen, auf sie einzugehen, ihnen gerecht werden, um dann – wie es ein berühmter Regisseur mal gesagt hat – 40% von dem, was man sich vorgenommen hat auf die Bühne zu bringen: Nein, da bin ich dankbar, dass es bereits viele tolle Regisseure gibt. Das war mir damals auch schon bewusst, obwohl ich von sehr viel von Christian Stückl gelernt habe. Er ist ein Paradebeispiel eines Intendanten und Regisseurs, der jungen Menschen eine Chance gibt und an dessen Haus es sehr flache Hierarchien gibt.

Du hast seit dem Abschluss deines Studiums im Jahre 2006 an vielen großen Theaterhäusern wie dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg oder dem Düsseldorfer Schauspielhaus gearbeitet. Nirgendwo aber warst du so lange engagiert wie am Maxim Gorki Theater in Berlin. Was ist das Besondere an diesem Haus?

Gorki bedeutet auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten.

Ohne Angst und ohne den Erfolgsdruck, unbedingt Hits produzieren zu müssen.

Gorki ist eigentlich nicht Arbeit, auch wenn es knochenharte Arbeit ist. Gorki ist Freundschaft und Vertrauen.

Gorki ist Familie.

Aber im Grunde hatte ich an allen Theatern, an denen ich engagiert war, immer Glück, was meine Rollen, die Zusammenarbeit mit den Kollegen und die Atmosphäre am Haus anging. Ich war aber immer der Meinung, dass man es sich als junger Schauspieler nicht zu gemütlich machen sollte. Nach zwei, drei Jahren ist die Gefahr groß, man hat sich im besten Fall seine Lorbeeren verdient, die Zuschauer kennen einen und man hat sich eingelebt, eingerichtet in der Stadt und seinem Leben.  Die unterschiedlichsten Theaterhäuser, Städte, Regiehandschriften und Kollegen: All das war viel zu spannend, viel zu herausfordernd, um nur an einem Ort zu bleiben. Man darf nicht vergessen: Du kommst nach vier Jahren aus der Schauspielschule, in der du auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt wurdest. Ein unbeschriebenes Blatt. Ich wusste nicht einmal welche Spielweise, welcher Regiestil, welche Programmatik eines Hauses mir eigentlich gefallen. Das wollte ich herausfinden. Jetzt bin ich 38 und will nicht mehr weg aus Berlin. Genug des Umziehens. Berlin ist’s jetzt! Vielleicht liegt’s auch am Alter. 🙂

Mit dem Stück „Common Ground“ wurdest du zusammen mit dem Ensemble des Gorki-Theaters 2015 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Inwiefern war diese Arbeit eine der wichtigsten Stationen deines bisherigen Schauspielerlebens?

Als man mir damals ein halbes Jahr vor Probenbeginn sagte, dass wir ein Stück über die Balkankriege machen würden, dachte ich nur: Wen zur Hölle soll das heutzutage noch interessieren? Aber unabhängig davon, dass das Projekt dann erfolgreich wurde und zum Theatertreffen eingeladen war, viele Gastspiele folgten – wir spielten sogar in China – war letztendlich unsere eigene Auseinandersetzung mit dem Konflikt das Entscheidende und „Heilende“. Offensichtlich haben menschliche Konflikte und Kriege einen gemeinsamen universellen Kern: Wir scheitern am Mensch-Sein und drehen uns im Kreis.

Zum Spiel auf der Bühne: Plötzlich war Theater nicht mehr Theater, Spiel nicht mehr Spiel – und doch spielten wir. Die Begegnung mit Yael Ronen ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig für mich gewesen. Diese Gratwanderung auf der Bühne zwischen privater Person und ausgedachter Figur. Für mich ein Regiestil, den ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte.

Vor einiger Zeit habe ich mich mit Nuran David Calis über dessen Projekt „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ am Residenztheater unterhalten, in dem er 2016 Deutsche, Türken und Armenier gemeinsam auf der Bühne auftreten ließ, was durchaus zu Konflikten und Spannungen führte. Wie herausfordernd waren die Probenarbeiten zur Inszenierung „Common Ground“ von Yael Ronen, in der du dich zusammen mit deinen ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Schauspielkollegen auf eine biographische Spurensuche begeben hast, für dich? 

Viele von uns leben mit einem immensen Vorrat an Halbwissen und irgendwo mal Gehörtem /Aufgeschnappten – „als Kind hat man mir gesagt, dass…“ und so weiter. Dieses Halbwissen, unsere Erziehung, unsere eigenen, aber vor allem die Erfahrungen unserer Eltern machen zu dem, was wir sind. Wir mussten sehr schnell feststellen, dass wir mit diesem Halbwissen nicht sehr weit kommen und den Krieg in seiner Gänze und Komplexität nicht in zwei Stunden auf der Bühne verständlich machen können. Es interessiert auch niemanden. Dafür gibt es Geschichtsbücher. Also haben wir von uns erzählt. Was wir erlebt haben. Aber auch das war gar nicht so einfach. Komischerweise fühlt man sich sofort verantwortlich für das eigene Land. Was bei näherer Betrachtung ja völliger Quatsch ist. Ich war 11, als der Krieg begann, und wollte damals nur Sega spielen.

Bei den Proben haben wir uns viel gestritten, aber noch mehr zusammen geweint!

Du wurdest im serbischen Novi Sad geboren, lebst aber seit deiner Kindheit in Deutschland. Wie erlebst du das Land heute, als Tourist?

Sommerurlaub.

Winterurlaub.

Sehnsuchtsort.

Vaterland.

Gibt es einen serbischen Film- oder Theaterregisseur, mit dem du gerne einmal zusammenarbeiten würdest?

Ich wollte unbedingt mal in Belgrad spielen. Der Wunsch ist mir vor ein paar Jahren in Erfüllung gegangen im Rahmen eines Gastspiels mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Als Hamlet im Nationaltheater zu spielen war großartig 🙂 Ausserdem habe ich am Gorki mit dem tollen, jungen Belgrader Regisseur Miloš Lolić gearbeitet.

Neben deiner Theaterkarriere sieht man dich derzeit auch in vielen Film- und TV-Produktionen. Was ist ausschlaggebend für dich, damit du ein Rollenangebot zusagst?

Ich habe jetzt knapp 15 Jahre Theater gespielt. Da ist der Film eine willkommene Abwechslung. Am Theater bekommt man als festangestellter Schauspieler meistens gesagt, in welcher Rolle man demnächst auf der Bühne zu sehen sein wird. Die Freiheit, beim Film entscheiden zu können, was man als Nächstes spielen will, ist herausfordernd. Ausschlaggebend ist das eigene Interesse an der Geschichte.

Mit dem Film „Rü­cken­wind von vorn“ von Phil­ipp Eich­holtz, in dem du eine der Hauptrollen übernommen hast, hat die Sektion Perspektive Deutsches Kino ihr diesjähriges Programm bei der Berlinale eröffnet. Inwiefern unterscheidet sich diese Coming of Age-Geschichte deiner Meinung nach von anderen Filmen desselben Genres?

Ich habe zum Glück nicht allzu viele Coming-of-Age-Geschichten gesehen, um das beurteilen zu können. Generell gilt: Probleme und Geschichten mögen sich ähneln – ausschlaggebend ist aber, das Interesse des Zuschauers zu wecken. Und dies geschieht, wenn sich der Zuschauer angesprochen fühlt, wenn er sich in der Figur wiederfindet bzw. dem Schauspieler glaubt.

Wir haben nicht damit gerechnet, dass ein improvisierter Low-Budget Film die Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale eröffnen würde. Wohl besser so. Mein Spiel wäre vielleicht um Einiges steifer geworden.

Du warst bereits 2015 in einer weiteren Coming-of-Age-Geschichte zu sehen. „Beat Beat Heart“ von Luise Brinkmann ist kein gewöhnliches Beziehungsdrama, sondern zeichnet sich durch seinen lakonischen Wortwitz aus, der sich aus den improvisierten Dialogen der Darsteller entwickelt. Würdest du dir mehr Filmprojekte wie dieses in der deutschen Filmlandschaft wünschen?

Grundsätzlich kann Improvisation ja etwas sehr Schönes, Überraschendes sein – bei den Theaterproben macht man ja sechs Wochen lang nichts Anderes. Es hält dich als Schauspieler konstant auf Trab. Und manchmal können daraus wunderbare Szenen und Filme entstehen. Leider kann ich das nicht pauschalisieren. Ich habe schon viele Projekte gesehen, die sich in der Improvisation verlieren, sie zelebrieren, besonders sein wollen. Die Gratwanderung vom lakonischen Wortwitz zum witzigen Gelaber ist sehr schmal.

Wie wichtig ist dir der Erfolg eines Films, bei dem du mitspielst?

Glücklicherweise ist man als Schauspieler beim Film nur ein Teil eines riesigen Apparats. Ich bin verantwortlich für mein Spiel und habe schnell gelernt, loszulassen. Wie ein Film geschnitten wird, welche Musik eingesetzt wird, welche Szenen rausfliegen oder eben nicht – all das hat man dann nicht mehr in der Hand. Man versucht einfach, den eigenen Job gut zu machen. Alles andere ist Popcorn und Überraschung.

Könntest du dir vorstellen, die Theaterbühne für einen längeren Zeitraum zu verlassen, wenn sich die Film- und TV-Rollenangebote weiterhin so häufen, wie bei dir im Moment?

Momentan ist das so. Ich werde dieses Jahr leider nicht die Zeit finden, ein neues Theaterprojekt zu machen. Ich würde aber nicht von verlassen sprechen, eher von unterbrechen und eine Unterbrechung ist noch lange kein Ende!

Lieber Aleksandar, ich danke dir ganz herzlich für dieses wunderbare Gespräch und wünsch dir weiterhin viel Erfolg bei all deinen anstehenden Theater- und Filmprojekten!

© Linda Rosa Saal

Mehr über Aleksandar Radenković: 

https://www.radenkovic.de/

https://www.zdf.de/serien/letzte-spur-berlin

http://www.gorki.de/de/ensemble/aleksandar-radenkovic

https://www.instagram.com/aleksandarradenkovic/

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