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Kulturgeflüster der Woche #10: Zu Gast in Bayreuth

Die Bayreuther Festspiele und Sprechtheater? Die perfekte Kombination, wenn man das Leben des eigenen Großvaters zum Anlass für ein Auftragswerk nimmt. Gestern Abend wurde mit SIEGFRIED, einem Monolog des renommierten Dramatiker-Duos Feridun Zaimoglu und Günther Senkel, zum ersten Mal ein Schauspiel im Rahmen der Festspiele in der Kulturbühne „Reichshof“ uraufgeführt. Im vergangenen Jahr waren die beiden Autoren von der Festspielleiterin Katharina Wagner beauftragt worden, ein Werk über das Leben von Siegried Wagner zu schreiben. Ich durfte am vergangenen Samstag bei einer der Hauptproben der Inszenierung von Philipp Preuss mit dabei sein.

Nicht nur ich bin ein wenig aufgeregt, als ich an diesem Samstagabend die Kulturbühne Reichshof in Bayreuth betrete, sondern auch Feridun Zaimoglu, einer der Autoren des Monologs SIEGFRIED. Seit Ende der 1980er Jahre arbeitet er als freier Schriftsteller und wurde unter anderem durch seine kontroversen Werke wie den Roman Leyla (2006) – eine Geschichte über das Erwachsenwerden eines Mädchen in einer anatolischen Kleinstadt in den fünfziger Jahren – oder durch seine Theaterstücke wie Lulu Live und Alpsegen, die Zaimoglu gemeinsam mit Günter Senkel schrieb und die 2006 und 2011 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurden, bekannt.

Im Gegensatz zu mir lebt Zaimoglu absolut offline und besitzt keinen Computer – dafür aber ein Faxgerät und ein altes Handy. Er brauche in Bezug auf seine Arbeit so wenig Ablenkung wie möglich, um sich ganz in eine Materie hineinvertiefen zu können, erzählt er mir. Es ist das erste Mal, dass er bei einer Probe seines neuesten Theaterstücks anwesend ist – denn Zaimoglu möchte sich stets überraschen lassen, was ein Regisseur aus seinen Texten macht. Beim Anblick dieses einzigartigen Theaterraums kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das pompöse Festspielhaus auf dem Grünen Hügel ist zwar nicht weit entfernt: Das künstlerische, alternative Flair der Kulturbühne „Reichshof“ in der Bayreuther Innenstadt erinnert jedoch eher an ein Off-Theater und bildet einen wohltuenden Kontrast zu der sakralen Atmosphäre des Festspielhauses. Die Bühne des ehemaligen, 1928 eröffneten Kinos bildet den perfekten Rahmen für eine Inszenierung, die den Zuschauer mit auf eine Reise durch die Gedankenwelt eines höchst gespalteten Menschen nimmt.

Er war Komponist, Dirigent, Regisseur, Szenograf und leitete die Bayreuther Festspiele von 1903 bis 1930: Siegfried, der einzige Sohn des Komponisten Richard Wagner, war eine schillernde, aber auch höchst zerrissene Persönlichkeit. Auf den privaten Nachlass des 1930 an einem Herzinfarkt verstorbenen Siegfried Wagner konnten die Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel im vergangenen Jahr nicht zurückgreifen, als sie von der Festspielleiterin Katharina Wagner den Auftrag erhielten, einen Monolog über ihren Großvater zu schreiben: Denn diesen hält die Familie bis heute unter Verschluss.

Zaimoglu und Senkel nehmen diesen Umstand aber nicht zum Anlass für wilde Spekulationen oder eine pseudo-dokumentarische Annäherung an den Komponisten und Dirigenten. SIEGFRIED ist vielmehr das Psychogramm eines Menschen, der sowohl in beruflicher, als auch in privater Hinsicht um seine Rolle innerhalb einer sehr fest gefügten Ordnung kämpfen musste, sich dabei offensichtlich selbst verlor und eine große Faszination für den aufkeimenden Nationalsozialismus entwickelte.

Zweimal Felix, zweimal Siegfried: Es ist die große Stärke der Inszenierung des Regisseurs Philipp Preuss, dass er die Rolle des Thronfolgers von Bayreuth doppelt besetzt hat. Preuss begreift den Monolog von Zaimoglu und Senkel als spielerisch-kämpferischen Dialog des ehemaligen Festspielleiters mit seinen inneren Stimmen und Dämonen. Die Schauspieler Felix Axel Preissler und Felix Römer bilden ein kongeniales Siegfried-Duo auf der Bühne, dem es trotz aller ironischen Distanz zu ihrer Rolle gelingt, die Figur des Siegfried Wagner nicht ins Lächerliche zu ziehen.

Feridun Zaimoglus und Günter Senkels Monolog SIEGFRIED konzentriert sich auf zwei entscheidende Punkte in der Mitte und am Ende von Siegfried Wagners Leben: Zum Zeitpunkt der deutschen Kriegserklärung 1914 lebte er noch als Junggeselle, 1930 stand Wagner kurz vor seinem Tod. Die Zeit unter Kaiser Wilhelm II. und der Nationalsozialismus spielen in SIEGFRIED eine ebenso bedeutende Rolle wie Siegfrieds Homosexualität, seine Ehe mit Winifred Wagner sowie der Druck, der durch das Familienerbe auf dem Komponisten und Dirigenten lastete.

SIEGFRIED ist ein Theaterabend, der mich nachdenklich stimmt und sehr bewegt. Das liegt vor allem an der perfekten Symbiose zwischen Schauspiel, Musik sowie Licht- und Videokunst, die ich so derzeit nur noch selten auf deutschsprachigen Bühnen erlebe. Wenn sich der aufgeblasene Riesen-Globus des Wagner-Imperiums am Ende über die gesamte Bühne erstreckt und die beiden Siegfrieds in ihn hineinkriechen und verschwinden, ahnt man, welche Last damals auf seinen Schultern gelegen haben muss. Besonders als Regisseur hatte er es schwer, seinen eigenen Weg zu gehen – denn seine Mutter Cosima und die orthodoxe Wagner-Gemeinde wachten streng über jedes Kulissenteil.

Eine mutige Entscheidung der derzeitigen Festspielleiterin Katharina Wagner, ihrem Großvater mit SIEGFRIED diese Hommage der etwas anderen Art in der Kulturbühne „Reichshof“ in Bayreuth zu widmen.

Lieber Karl Sawatzki, lieber Jonathan Danigel von den Bayreuther Festspielen: Ich danke euch ganz herzlich für die Einladung nach Bayreuth beziehungsweise die Betreuung am Samstagabend und wünsche euch viel Erfolg für die weiteren Vorstellungen der Inszenierung im August! 


Mehr Infos über die Inszenierung SIEGFRIED: 

https://www.bayreuther-festspiele.de/programm/diskurs-bayreuth/siegfried/

15./19./21. August, jeweils 20 Uhr

Kulturbühne „Reichshof“
Maximilianstraße 28
95444 Bayreuth

 

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