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Kulturgeflüster der Woche #13: Die Kunst des David Wojnarowicz

David Wojnarowicz with Tom Warren „Self-Portrait of David Wojnarowicz“, 1983–84 © Courtesy the Estate of David Wojnarowicz and P.P.O.W, New York

Das Werk des 1954 in New Jersey geborenen und 1992 an den Folgen einer AIDS-Erkrankung in New York verstorbenen Künstlers, Schriftstellers und Aktivisten David Wojnarowicz lässt mich nicht mehr los, seit ich die Ausstellung History Keeps Me Awake at Night im Musée d’Art Moderne (MUDAM) der Stadt Luxemburg gesehen habe. Ein Porträt eines politisch wachen, sozial engagierten und sehr kreativen Mannes.

“Transition is always a relief. Destination means death to me. If I could figure out a way to remain forever in transition, in the disconnected and unfamiliar, I could remain in a state of perpetual freedom.” So äußerste sich einer der unbeugsamsten, kritischen Künstler seiner Zeit kurz vor seinem Tod in seinem 1991 erschienen Essay-Band Close to the Knives: A Memoir of Disintegration.

David Wojnarowicz lehnte es ab, dem Publikum den Einstieg in sein künstlerisches Universum durch einen bestimmten Wiedererkennungwert in seinen Werken zu erleichtern. Im Laufe seines kurzen Lebens entstanden unzählige faszinierende wie verstörende Fotos, Skulpturen, Bilder, Collagen, Filme, Gedichte, Peformances und Manifeste und Wojnarowicz wurde zu einem führenden Vertreter der New Yorker Underground-Szene der 1980er Jahre. Auf eine beinahe unerträglich schmerzhafte Art und Weise hielt der Autodidakt der amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vor – denn er wusste aus eigener Erfahrung, was Ausgrenzung und Stigmatisierung bedeuten.

1987 erkrankte der Multimedia-Künstler David Wojnarowicz an HIV. Im selben Jahr starb sein langjähriger Lebensgefährte, der Fotograf Peter Hujar, wie viele Vertreter einer ganzen Generation Kunst- und Kulturschaffender in den USA an den Folgen von Aids. Die sehr berührenden Fotos seines sterbenden Freunden zählen zu den Highlights einer einzigartigen Retrospektive, die David Wojnarowicz noch bis 09. Februar im Musée d’Art Moderne (MUDAM) der Stadt Luxemburg gewidmet ist. Sie bietet einen umfassenden Einblick in Wojnarowicz’ fotografisches, malerischer, musikalisches und aktivistisches Schaffen.

“Sometimes I come to hate people because they can’t see where I am. I’ve gone empty, completely empty and all they see is the visual form: my arms and legs, my face, my height and posture, the sounds that come from my throat. But I’m fucking empty. The person I was just one year ago no longer exists, drifts spinning slowly into the ether somewhere way back there.”

Die Hochphase von Wojnarowicz‘ künstlerischem Schaffen ist eng verbunden mit einer großen gesellschaftlichen Krise innerhalb der amerikanischen Geschichte: Im Juni 1981 wurden in Los Angeles die ersten Aids-Fälle identifiziert. Die Frühgeschichte der Epidemie war geprägt von Stigmatisierung, Ausgrenzung, Hass und dem sicheren Tod der Betroffenen. In einigen Jahren starben während der 1980er und der 1990er Jahre in den USA mehr Menschen an Aids, als an anderen Krankheiten.

Das Gefühl der Entfremdung und der Isolation war David Wojnarowicz nicht erst seit seiner HIV-Infektion bekannt. Als Teenager lebte er einige Jahre auf der Straße und verdiente sich seinen Lebensunterhalt auch als Stricher. Später reiste er als Landstreicher quer durch die USA und studierte zeitweise an der High School of Music and Art in Manhattan. Nach Aufenthalten in San Francisco und Frankreich kehrte er in den 1970er Jahren zurück nach New York, um dort als Künstler zu arbeiten. Prägend waren für ihn in diesem Zusammenhang die Begegnungen mit Peter Hujar, Kiki Smith oder Nan Goldin. In dieser frühen Schaffensperiode entstand Wojnarowicz‘ bekannte Foto-Serie „Arthur Rimbaud in New York“, die auch im Luxemburger MUDAM zu sehen ist. Wojnarowicz und ein Bekannter von ihm bewegen sich darin mit einer Maske, die das Gesicht des weltberühmten, anarchischen französischen Dichters Arthur Rimbaud trägt, durch heruntergekommene Gegenden und Wohnungen in New York. Wojnarowicz zieht in seiner Serie Parallelen zwischen sich selbst und Rimbauds rauschhaftem Leben, das neben der Dichtung von Drogen, homosexueller Erotik und Gewalt bestimmt war. Als einsamer Künster wandelt Wojnarowicz durch die Anonymität der Großstadt: „Arthur Rimbaud in New York“ ist eine Hommage an ein New York abseits der Hochglanzfassaden. Wenige Jahre später wurde auch in diesen Stadtvierteln die allgegenwärtige Gentrifizierung spürbar.

In den 1980er Jahren war New York inmitten von Graffitis, New Wave, neo-expressionistischer Malerei und konzeptioneller Fotografie nicht nur eine kreative Keimzelle, sondern auch ein Ort, an dem eine große finanzielle Ungewissheit vorherrschte und tief greifende kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen stattfanden. David Wojnarowicz, der im Alter von nur 37 Jahren 1992 an den Folgen seiner AIDS-Infektion starb, nutzte die Energie dieser schöpferischen wie feindseligen Umgebung, um aus seinem Leben Kunst zu machen: „Etwas Privates in eine öffentliche Sache zu verwandeln, ist eine Handlung von unglaublicher Reichweite.“

Die Art und Weise, wie David Wojnarowicz sein Schicksal in seinen Werken verarbeitet, ist einzigartig. Seine im MUDAM präsentierten Fotografien und Gemälde sind voller Wut, aber nie ohne Zärtlichkeit, voller Poesie und gleichzeitig voller zerstörerischer Kraft. Voller Liebe und voller Traurigkeit. Das Obszöne, Abstoßende, Pornographische wird hier zum Teil einer Ästhetik, die die Gesellschaft und ihre Entscheidungsträger wachrütteln will. Wojnarowicz vermeidet es jedoch stets, die Wirklichkeit zu ästhetisieren und seine private Situation als Ausgangspunkt für die eigene Selbstinszenierung zu nehmen.

David Wojnarowicz: „Untitled [Hujar Dead] 1988-89“; Schwarzweiß-Fotografie, Acryl, Text und Collage auf Masonit,; fotografiert von Lena Kettner
”’If I had a dollar to spend for healthcare I’d rather spend it on a baby or innocent person with some defect or illness not of their own responsibility; not some person with AIDS…’ , sagte ein Vertreter der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde: So lauten die ersten Worte von Wojnarowicz‘ beeindruckendem Werk „Untitled [Hujar Dead] 1988-89“. Es ist ein Aufschrei gegen den würdelosen Umgang mit den Betroffenen der heimtückischen Aids-Krankheit. Eine Anklage gegen einen demokratischen Staat, der angebliche religiöse und moralische Werte über das Leben eines Menschen stellt.

„Untitled (One Day This Kid Will Get Larger) (1990-1991)“, fotografiert von Lena Kettner

Ein anderes Werk, das mich in der Ausstellung History Keeps Me Awake at Night sehr beeindruckt hat, ist David Wojnarowicz‘ Gicleé-Silberdruck „Untitled (One Day This Kid Will Get Larger) (1990-1991)“. Auf den ersten Blick lächelt der kleine Junge seinen jeweiligen Betrachter freundlich an. Durch den Text um ihn herum bekommt dieser eine Ahnung davon, welch tragische Wendung das Leben des Jungen bald nehmen wird. Ein desillusionierender Blick auf die Zukunft einer Generation junger Menschen, die geprägt ist von Verfolgung, Gewalt und Tod. 

David Wojnarowicz steht mit seiner Kunst in der Tradition von Künstlern wie Walt Whitman (1819 – 1892) oder William S. Burroughs (1914– 1997), die den amerikanischen Mythos und seine Tradition in ihrer Wirkung hinterfragten und entlarvten. Die Bildwelten des unbeugsamen Künstlers und Aktivisten Wojnarowicz lassen mich seit meinem Besuch im MUDAM nicht mehr los. Besonders seine Fotografien haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich würde mir gerade in Zeiten wie diesen, in denen sich der in den USA stattfindende Kulturkampf der 1980er und 1990er Jahren nicht nur in diesem Land selbst, sondern überall auf der Welt in unterschiedlichster Ausprägung zu wiederholen scheint, mehr Künstler wie Wojnarowicz wünschen.


Mehr Infos über die Ausstellung History Keeps Me Awake at Night

https://www.mudam.com/de/ausstellungen/history-keeps-me-awake-at-night

Noch bis 09. Februar 2020 im Musée d’Art Moderne in Luxemburg Stadt

Mudam Luxembourg
Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean
3, Park Dräi Eechelen
L-1499 Luxembourg-Kirchberg

Öffnungszeiten:

Mon   
Mit   
Don – Son   

Eintritt: 8€, Mittwochs 18h00 – 21h00 Uhr gratis Eintritt

Facebook @mudamlux

Instagram @mudamlux

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