
Ob einmalige Veranstaltungen, Festivals oder Initiativen zur Rettung der Kultur: Drei meiner Lieblingsprojekte in einer Zeit, die einmal mehr unterstreichen, wie wichtig Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft sind.
1. IRRLICHTER IM WESTEND
Es gibt diese ganz besonderen Veranstaltungen, bei denen die Protagonisten auf der Bühne und ihr Publikum auf derart magische Art und Weise zu einer Einheit verschmelzen, dass man diese Abende beinahe für eine übernatürliche Erscheinung hält. IRRLICHTER IM WESTEND hat eine Gruppe engagierter Kulturschaffender und Journalisten ihr Projekt genannt, in dessen Rahmen im August 2020 drei einzigartige Veranstaltungen im Münchner Westend stattfanden.
Los ging es am 30. Juli mit einem Abend zugunsten der Büchergalerie Westend, die nach 35 Jahren ihre Räumlichkeiten verlassen und damit als letzte Buchhandlung im Westend verschwinden musste. Auf der Terrasse des Café Sehrwohl konnte die Gäste des ersten IRRLICHTER-Highlights die Lesung „Shakespeare and Company. Ein Buchladen in Paris“ mit Katharina Leonore Goebel und eine Vorführung des Films „Der Buchladen der Florence Green“ von Isabel Coixet genießen. Die zweite IRRLICHTER-Veranstaltung war am 02. August Dorothy Parker gewidmet und fand vor der Alten Kongresshalle statt. Dabei präsentierten Theresa Hanich und Julia Loibl vom Mathilde Westend das Theaterstück „Tage des Schreckens, der Verzweiflung und der Weltverbesserung“, gefolgt von einer Vorstellung des Films „Can You Ever Forgive Me?“ von Marielle Heller.
Ich selbst hatte die Gelegenheit, am 09. August den dritten Teil dieser sehr innovativen, außergewöhnlichen Reihe kleiner Kulturveranstaltungen mitzuerleben. Er war einer Schriftstellerin gewidmet, die 1932 mit „Das kunstseidene Mädchen„ ihr wohl bekanntestes Werk verfasste: In Hildegard Keuns Roman schlägt sich die 18-jährige Doris durch das laute, schrille Berlin der Weimarer Zeit und möchte nichts lieber, als endlich berühmt zu werden.
Die Autorin Hildegard Keun mit ihrem schnoddrig-frechen, direkten Humor hätte ihre wahre Freude an den drei Schauspielerinnen Theresa Hanich, Julia Loibl und Antonia Bill sowie an den Musikern Evi Keglmaier und Rainer Bielfeldt gehabt: Denn sie hatten ein feines Gespür für die Zwischentöne und Nuancen in Keuns temporeich erzählten und an der gesprochenen Sprache orientierten Texten, deren Inhalte von einer erstaunlichen Aktualität sind. Keun erschuf in ihren Werken fernab jeglicher bürgerlichen Moral zutiefst menschliche, in einer gewissen Art und Weise gebrochene und zugleich sehr starke Frauenfiguren.
Dieser IRRLICHTER-Abend am 09. August war eine berührende Hommage an eine feministische Querdenkerin. Sowohl die Lesung der Kurzgeschichten aus Keuns Satiresammlung „Wenn wir alle gut wären” von Julia Loibl, Theresa Hanich und Evi Keglmaier, als auch die geniale Darbietung von Carsten Golbecks und Rainer Bielfeldt Chanson-Musical „Das kunstseidene Mädchen“ durch Antonia Bill und Rainer Bielfeldt versetzte mich vor der Alten Kongresshalle im Münchner Westend in eine Hochstimmung, wie ich sie selten bei einer Kulturveranstaltung erlebt habe. Kunstvoll changierten die Bühnenakteure zwischen Tragik und Komik, zwischen Performance, Lesung und Theater.
Ich hoffe sehr, dass dieses kulturelle Irrlicht, das im August 2020 auf eine sehr beglückende Art und Weise damit begann, durch die Münchner Kulturlandschaft zu schweben, auf Dauer und regelmäßig in der Stadt zum Leuchten kommt.
2. #Kulturerhalten
„Kultur ist zwar nicht alles, aber ohne Kultur ist alles nichts“, heißt es auf der Website der Aktion #Kulturerhalten. 188 332 Künstler*innen waren 2019 in Deutschland bei der Künstlersozialkasse gemeldet. Dass deutsche Politiker in den vergangenen Monaten wenig getan haben, um die Künstler in der von ihnen so gerühmten „Kulturnation“ Deutschland finanziell und ideell zu unterstützen, zeigt auf drastische Art und Weise, welcher Wert der Kultur- und Kreativwirtschaft, die sich seit den 1980er Jahren zu einem der dynamischsten Wirtschaftszweige der Weltwirtschaft entwickelt hat, beigemessen wird.
Bei einer Besprechung gemeinsamer Veranstaltungen, die in Folge der Corona-Krise zur Disposition standen, kam Christos Smilanis von der Düsseldorfer Künstleragentur Oniro-Media und und Hilmar Schulz, Geschäftsführer der Eventagentur „Klanghelden“, die Idee, durch ihr Projekt #Kulturerhalten für eine stärkere Sichtbarkeit für die Künstler und Kulturschaffenden zu sorgen.
Im Mai 2020 hatten sich bereits 5.200 Mitglieder diesem Projekt zur nachhaltigen Rettung der vielfältigen deutschen Kulturlandschaft angeschlossen. In München macht sich unter anderem die Cellistin Fany Kammerlander, die als eines ihrer zahlreichen Projekte die Bar Gabanyi betreibt und dort auch für das musikalische Programm sorgt, für #Kulturerhalten stark:
Die Initiatoren der Aktion formulierten ihre Forderungen wie eine umsatzorientierte Ausfallgagenregelung bisher bereits in zahlreichen Briefen an Politiker und Entscheidungsträger.
Weitere Infos findet ihr unter https://kulturerhalten.de/ sowie auf der Facebook– und der Instagram-Seite dieser sehr wichtigen Initiative. Teilt die Videos eurer Lieblingsmusiker und tragt dadurch dazu bei, dass sich der Gedanke, dass Kunst und Kultur ein essentieller Bestandteil unserer Gesellschaft sind, weiterträgt.
3. KUNST IM QUADRAT
Besser kann man die Theresienwiese nicht nutzen: Wo sonst normalerweise bereits der Aufbau für das Oktoberfest beginnt, findet in diesem Jahr noch bis 17. August ein Festival der Extraklasse statt! Die GLOCKENBACHWERKSTATT, das KÖŞK und das Café LUISE initiierten und planten das Festival KUNST IM QUADRAT, weil sie einen öffentlichen Ort schaffen wollten, an dem ein gemeinsames Erleben von Musik, Performances, Filmvorführungen, Diskussionen, Workshops wieder mit Abstand und viel Freude möglich ist. Über 14 Tage lang bespielen sie gerade ein 50 x 50 Meter großes Quadrat auf der Theresienwiese, das dem Festival seinen Namen gab. Von Lichtkunst über Konzerte bis hin zur einer Open Air Gallery oder einer Keramikwerkstatt: Wie schön wäre es, wenn München in jedem August einen so lebendigen, pulsierenden Ort für die Kultur schaffen könnte!
Am kommenden Montag endet eines der wohl schönsten Projekte des Münchner Kultursommers um 22 Uhr mit einer Kunstauktion, im Rahmen dessen die bei KUNST IM QUADRAT entstandenen Kunstwerke zugunsten der Künstler*innen und ihrer Assistent*innen versteigert werden, die sich an dem Festival beteiligt haben.
Das Programm für das letzte Festival-Wochenende findet ihr hier: https://www.kunstimquadratmuenchen.de/veranstaltungen/