Ein Sommergedicht von Georg Trakl, das nachdenklich stimmt…
Mit Georg Trakls Werk kam ich zum ersten Mal während eines Proseminars im Rahmen meines Studiums an der Universität Passau in Berührung. Das Gedicht „Im Herbst“ des berühmten expressionistischen Dichters ist mir seit dieser Zeit sehr im Gedächtnis geblieben. Trakl, der stets das Finstere und den Abgrund hinter jeder noch so glänzenden, friedlich erscheinenden Fassade sah, spricht darin unter anderem von weit offenen Totenkammern, die schön bemalt sind vom Sonnenschein.
Geboren 1887 in Salzburg als Sohn eines Eisenhändlers und seiner Frau, kam Georg Trakl durch seine französische Gouvernante erstmals mit französischer Literatur in Kontakt. Vor allem die Schriftsteller Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire hatten später großen Einfluss auf sein literarisches Werk.
Nachdem er seine Ausbildung am Stadtgymnasium in Salzburg aufgrund mangelnder Leistung ohne Abschluss abbrechen musste, begann er eine Ausbildung zum Apotheker. Bereits während seiner Schulzeit experimentierte er mit Rauschmitteln, zu denen ihm der Zugang im Rahmen der Apotheker-Ausbildung erheblich erleichtert wurde.
Als Trakls beiden Einakter „Totentag“ und „Fata Morgana“ 1906 ohne Erfolg im Salzburger Stadttheater aufgeführt wurden, vernichtete er sämtliche Manuskripte zu seinen Dramen und verfiel in eine zweijährige Schaffenskrise. Seine Ausbildung als Apotheker jedoch absolvierte er erfolgreich und hoffte durch den Beginn eines Pharmaziestudiums in Wien auf eine Karriere als selbstständiger Apotheker. Doch 1911 brach er sein Studium zu Gunsten eines einjährigen Militärjahres im Sanitätsdienst ab. In dieser Zeit knüpfte er bereits erste Kontakte zu seinem späteren Förderer Ludwig von Ficker, der ihm durch seine finanzielle Unterstützung und mittels Gedichtpublikationen in seiner expressionistisch-orientierten Zeitung Der Brenner zum Durchbruch als Dichter verhalf. Fortan erschienen ebenso regelmäßig Gedichte in der von Karl Krauss geleiteten Zeitschrift Die Fackel. 1913 erschien mit Der jüngste Tag der erste Gedichtband von Georg Trakl – es folgte seine kreativste sowie seine zu Lebzeiten erfolgreichste Schaffensperiode. Sein psychischer Zustand verschlechterte sich durch den zunehmenden Drogenkonsum, die unbeständige Beziehung zu seiner Schwester Margarethe sowie die durch Geldnot begründete Existenzangst jedoch zusehends.
Als sich Trakl im August 1914 als Freiwilliger Sanitäter für den Ersten Weltkrieg meldete, wurde er an die Ostfront nach Galizien versetzt und erlebte er den Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Russland unmittelbar mit. Ein daraus resultierender Nervenzusammenbruch machte den genialen Dichter und Beobachter in diesen unruhigen Zeiten selbst zum Kriegsopfer. Im Krakauer Militärlazarett schrieb Trakl mit Grodek sein wohl populärstes Gedicht, bevor er am 3. November 1914 an den Folgen einer Überdosis Kokain starb.
Ich habe Trakls Gedicht Sommer aus dem Jahr 1914 für meinen neuesten „Lesen und lauschen“-Eintrag ausgewählt, weil mich die Schwermut, die über diesem Text liegt, in vielerlei Hinsicht an den Sommer des Jahres 2020 erinnert. Hierzulande scheint die Sonne, die Menschen vergnügen sich in den Parks, in den Cafés und an den Badeseen. Die scheinbare Normalität wird getrübt durch eine große Unsicherheit und durch die Angst dem, was uns in diesem Herbst eventuell droht. Die Anspannung der vergangenen Monate hat sich noch nicht gelegt, die Gefahr durch das Coronavirus ist noch nicht gebannt.
Trakl befasst sich 1914 in seinem expressionistischen Naturgedicht Sommer, in dem er einen ungewöhnlichen Sommerabend beschreibt, mit der Vergänglichkeit des Tages. Während der Titel des Gedichts angenehme, wohlige Worte über die schönste Zeit des Jahres vermuten lässt, konfrontiert der Dichter den Leser in fünf Strophen mit verstörenden Bildern wie „schwarzes Gewitter“, „roter Mohn“ oder der „windstillen, sternenlosen Nacht“. Die Natur wird hier als höchst fragiles Gebilde geschildert, in dem der Mensch seiner Vergänglichkeit schutzlos ausgeliefert ist. Sommer wirkt gerade jetzt wie eine Mahnung, die Vorzeichen des Herbstes nicht durch die eigene Sorglosigkeit zu ignorieren. Wer sich dieser dunklen Jahreszeit mit einer gewissen Ehrfurcht, aber ohne Furcht nähert, der kann den schönen Sommer getrost genießen.