
Am 11.03.2022 erscheint Pipe Dreams, die erste Single der Schauspielerin und Sängerin Luiza Monteiro: Ein Lied über das Gefühl der Überforderung und über die Einsamkeit in der Großstadt – und über den Versuch, wieder zu sich selbst zu finden. Ich habe Luiza, die im vergangenen Herbst ihr Erstengagement am Stadttheater Ingolstadt angetreten hat und derzeit für die Premiere von „Die zwölfte Nacht oder Was ihr wollt“ am 26.03. probt, einige Fragen zu „Pipe Dreams“, ihrer Liebe zur Musik und dem Unterschied zwischen dem Leben in der Groß- und der Kleinstadt gestellt.
Ich erlebte Luiza Monteiro zum ersten Mal im Sommer 2021 in einer herausragenden Inszenierung meiner Freundin Ebru Tartıcı Borchers, die im Rahmen der Tiroler Volksschauspiele in Telfs ihre Premiere feierte, auf der Bühne: In „Türkisch Gold“ gelang es ihr und ihrem Schauspiel-Kollegen Kai Götting, mit nur wenigen Requisiten und sehr viel Spielfreude eine ganze Welt zwischen Bosporus, Donau und der Copacabana zu erschaffen. „Türkisch Gold“ war eine grandiose Inszenierung über kulturelle Eigenheiten, Vorurteile und Klischees – und über die Fähigkeit, festgefahrene Denkmuster aufzubrechen.
Bereits in Telfs beeindruckte mich Luiza durch ihr musikalisches Gespür und ihre schauspielerischen und tänzerischen Fähigkeiten. 1997 wurde sie in der brasilianischen Großstadt Rio de Janeiro geboren. Erste musikalische Erfahrungen sammelte Luiza schon in ihrer frühen Kindheit durch ihren Klavierunterricht und ihre Oma, die ihr ihre Liebe zur Musik – insbesondere für die brasilianischen Rhythmen Bossa Nova, Samba oder Baião – vermittelte. Noch während der Schulzeit in der deutschen Schule in Rio spielte sie in Musicalproduktionen, führte eigene Kompositionen mit ihrer Band auf und nahm Gesangs- und Schauspielunterricht. 2016 sang sie im Rahmen der Olympischen Spiele die brasilianische und deutsche Nationalhymne in der deutschen Botschaft.
2017 zog Luiza nach Deutschland und studierte Schauspiel an der Theaterakademie August Everding in München. Derzeit ist sie im Rahmen ihres Erstengagement am Stadttheater Ingolstadt unter anderem in „Das Erdbeben in Chili“ und „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“ zu erleben.
In deiner ersten Single „Pipe Dreams“ singst du über das Gefühl der Überforderung und Einsamkeit in großen Städten. Verbindest du die Emotionen, die du in diesem Song verarbeitest, mit deiner Heimatstadt Rio de Janeiro?
Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl – eigentlich von Anfang an. Aber es gibt Momente, in denen ich mich auch sehr einsam fühle und Rio und meine Familie vermisse. Allerdings habe ich mir hier ein Leben aufgebaut, mich stark mit der deutschen Sprache verbunden und bin gut angekommen in Deutschland. Das führt sogar dazu, dass ich mich auch in Rio nach meinem Leben hier sehne. Insofern ja, diese Einsamkeit und Überforderung hat mit meiner Heimatstadt zu tun – aber oft auch mit der Realität, zwischen zwei Ländern zu leben. Ein Teil fehlt immer.
Du hast zwischen 2017 und 2021 als Schauspielstudentin in München gelebt – eine Stadt, die im Gegensatz zu anderen deutschen Großstädten wie Hamburg oder Berlin oft als sehr bedächtig und gemütlich wahrgenommen wird. Hattest du eine bestimmte Vorstellung von deinem Leben in München, bevor du hier angekommen bist?
Wenn ich ehrlich bin, nein. Ich bin nach Deutschland gekommen, um an Schauspielschulen vorzusprechen. Ich hatte keine Stadt im Kopf, in die ich unbedingt ziehen wollte. Für mich war klar: Ich werde an diejenige Schule gehen, die mir einen Platz anbietet und bei der ich mich wohl fühle. Ich wusste daher relativ spät, dass München mein neuer Wohnort werden würde. Deswegen war das Leben dort eine glückliche Überraschung. Ich bin sehr froh, dass mich der Zufall hier hin gebracht hat.
Wie würdest du dein Lebensgefühl in München in den vergangenen 4 Jahren beschreiben?
Sicherheit, Freiheit, Natur, Anpassung. Das sind die Schlagwörter, die mir als erstes einfallen. Ich habe mich in München sehr sicher gefühlt, was dazu führte, dass ich eine große Freiheit empfunden habe. Ich konnte überall hin, zu jeder Uhrzeit und war auf einmal verantwortlich für alles, was ich tue. Das war toll. Ich liebe es, dass München so grün ist und so nah an den Bergen liegt. Aber neben all dem Schönen gab es auch das Gefühl, sich ständig anpassen zu müssen. Meine Art zu kommunizieren, aufzutreten, zu leben: Das ist alles ein bisschen anders geworden.
Welchen Teil des Großstadt-Flairs von Rio de Janeiro hast du während deiner Zeit in München am meisten vermisst?
Was ich am meisten vermisst habe, ist, dass in Rio alles draußen stattfindet. Dadurch, dass es fast immer warm ist, verlagern sich die Bars, das Feiern, die Kultur nach außen. Ich habe es geliebt, im Zentrum von Rio auf einem Platz draußen zu stehen: Da spielt die Musik – im besten Fall Live-Musik – und alle tanzen, reden, trinken. In Rio ist das Leben in den Straußen einfach wahnsinnig lebendig.
Hat sich dein Blick auf München mit dem Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 noch einmal gewandelt?
Ich habe mich von der Stadt abgekoppelt in der Pandemiezeit. Es war zum Teil schön, weil ich auf einmal für die Freunde, mit denen ich gelebt habe und für meine Beziehung damals viel mehr Zeit hatte. Aber es war auch sehr frustrierend, weil ich teilweise in eine Lethargie verfallen bin.
Ist die Flucht aufs Land, die seit dem Beginn der Corona-Pandemie noch einmal zugenommen hat, deiner Meinung nach der einzig wahre Weg, um wieder einen Bezug zu sich selbst zu finden?
Ich glaube nicht unbedingt. Ich glaube die Ruhe, die man auf dem Land findet, kann einem helfen, zu entschleunigen und dadurch das tägliche Leben bewusster zu führen. Aber auch in den großen Städten ist es möglich, im Moment zu sein, was für mich sehr viel mit dem Bezug zu sich selbst zu tun hat. In der Großstadt ist natürlich alles wesentlich schnelllebiger. Aber ich glaube, dass jeder von uns es überall schaffen kann, einen Bezug zu sich selbst zu finden. In meinem Fall hat es viel damit zu tun, wie man sein Gegenüber wahrnimmt. Wenn man bereit dazu ist, Anderen zuzuhören und sich wahrhaftig für ihre Belange zu interessieren, ist man auch bereit dazu, in sich selbst hineinzuhorchen.
Das Musikvideo zu deiner Single „Pipe Dreams“ entstand in Zusammenarbeit mit dem ARCTICFOX Collective, einer in München ansässigen Filmproduktionsfirma. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Kollektivs und wie habt ihr das Script zu deinem Musikvideo entwickelt?
Der Entstehungsprozess von diesem Song ist eine ungewöhnliche und sehr schöne Geschichte: Die Schauspielerin Sandra Julia Reils, die im Musikvideo mitspielt, rief mich an einem Nachmittag an und fragte, ob ich spontan Lust auf ein Fotoshooting hätte. Das Thema wäre: Märchenfiguren verloren in einer Großstadt. Ich habe sofort zugesagt und wir haben uns gleich am nächsten Tag in der Nähe vom Sendlinger Tor getroffen. Der Regisseur Nuno Wong und der Kameramann Jona Salcher, die ich damals noch nicht kannte, hatten ihre große Filmkamera dabei. Sie meinten, sie wollten parallel zum Shooting ein paar Backstage-Aufnahmen machen. Ich habe diese Kamera gesehen und dachte nur: „Wir müssen unbedingt was damit machen. Eine Geschichte erzählen. Vielleicht einen Kurzfilm drehen.“ Alle waren sofort dabei.
Wir haben dann auf der Schwanthalerstraße, inspiriert von dem was um uns los war, gebrainstormt und Stück für Stück die Geschichte skizziert. Zwei Figuren: Wo kommen sie her, was haben sie erlebt, warum treffen sie sich, was bedeuten sie füreinander, was erleben sie zusammen? Alle Fragen geklärt: Dann lasst uns drehen! Der Verlauf der Geschichte hat sich dann nach jedem Shot weiter geklärt, eine Idee führte zur anderen. Wir haben alle ein paar Jahre in München gelebt und kannten schöne und gut beleuchtete Ecken, wo wir drehen konnten. Wir haben uns gegenseitig bis nachts gegenseitig mit unendlicher Kreativität bereichert, tolle Einstellungen gedreht und dann kam der Schluss des Videos. Wie endet die Geschichte? Wo? Wie? Die Figuren haben die Nacht durchgemacht, sagte Nuno, jetzt muss wohl der Morgen kommen. Zwei Tage später standen wir um 5 Uhr morgens an der Panzerwiese und haben die wunderschönen Schlussszenen zum Sonnenaufgang gedreht.
Die Filmaufnahmen wurden dann richtig toll, nur hatten wir leider keinen Soundtrack dazu. Deswegen kam die Idee, daraus einen Videoclip zu machen. Ich habe die Musik und Texte zusammen mit Nuno geschrieben und sie zusammen mit dem Filmmusik-Komponisten Lukas Schäfer produziert. Alles leider ohne Budget, aber mit wahnsinnig viel Kreativität und Einsatzbereitschaft von allen Beteiligten! Es ist mittlerweile ein Jahr her, dass Sandra mich angerufen hat und wir die Kostüme zusammengesucht haben. Ich bin sehr froh, dass wir das Projekt durchgezogen haben und bin sehr stolz auf das Ergebnis!
Musik spielt seit deiner frühesten Kindheit eine sehr große Rolle in deinem Leben. Ist „Pipe Dreams“ eine Art Hommage an all die musikalischen Einflüsse, die dich bereits dein ganzes Leben über begleiten?
Das Lied ist glaube ich ganz anders, als ein Lied, das man von mir erwartet. Ich bin viel mit brasilianischen Rhythmen aufgewachsen, die häufig einen Upbeat-Charakter haben und wer mich kennt, der hat eine lebensfrohe und energetische Person im Kopf. „Pipe Dreams“ spiegelt eher die nachdenkliche Seite in mir wider, die manchmal sehr melancholisch und sehnsüchtig sein kann – aber nicht ohne Licht und Hoffnung. „Pipe Dreams“ geht eher Richtung Alternative Pop – ein musikalisches Genre, dessen Songs ich seit ein paar Jahren wahnsinnig gerne höre.
In einer Szene deines Films sieht man Sandra Julia Reils als Clown verkleidet durch München laufen – mit einer Frau an ihrer Hand, die ihre Gesichtszüge und damit ihre wahren Empfindungen hinter einem überdimensionalen Maskenkopf verbirgt. Ist dein Song „Pipe Dreams“ auch ein Appell an uns alle, uns in unserer individualisierten Welt nicht noch mehr zu vereinzeln?
Auf jeden Fall! Wir werden in den Großstädten immer anonymer. Keiner schaut sich an, keiner kommt ins Gespräch. Das ist leider ein Phänomen, was ich in Deutschland noch mehr beobachten konnte. Die Hemmschwelle, im öffentlichen Raum zu interagieren, ist riesig. In unserem schnelllebigen Alltag, versunken in unseren Smartphones, nimmt keiner den Anderen oder die Umgebung wahr. Ich habe das Gefühl, man verliert dadurch das Gefühl für den Anderen – ob man ihn kennt oder nicht. Man verliert gar das Gefühl für die Gesellschaft.
Du lebst seit einigen Monaten in Ingolstadt, wo du dein erstes Festengagement am Stadttheater angetreten hast. Wie empfindest du das Leben in einer Stadt, die noch einmal um einiges kleiner ist als München?
Ich vermisse schon sehr die Größe von München oder Rio. Ich würde sogar sagen, dass ich mich hier manchmal ein bisschen eingeengt fühle. Die Wege sind oft dieselben. Die Möglichkeiten sind überschaubar. Ich mag es, die U-Bahn zu nehmen und plötzlich in einer ganz anderen Ecke der Stadt zu landen, die ganz anders ist.
Inwiefern kann einem Musik deiner Meinung nach ganz allgemein dabei helfen, das Gefühl der eigenen Einsamkeit zu überwinden?
Musik ist für mich eine Tür zu den eigenen Gefühlen, eine Tür zu sich selbst. Ich werde oft durch Musik wacher, aufmerksamer: Egal, ob die Musik atmosphärisch ist oder einen Upbeat-Rhythmus hat.
Wenn ich wach und offen für die Welt bin, kann ich mich selbst und meine Umgebung intensiver wahrnehmen: Und oft fühle ich mich dann auch weniger einsam.
Ganz herzlichen Dank für dieses Interview, liebe Luzia! Ich wünsche dir viele Zuhörerinnen und Zuhörer für „Pipe Dreams“ und freue mich auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen in Ingolstadt!
Unter folgendem Link kann man „Pipe Dreams“ vorbestellen: https://distrokid.com/hyperfollow/luizamonteiro/pipe-dreams-2
Pipe Dreams
„Pipe Dreams“ – ein Song, geschrieben und performed von Luiza Monteiro
Produziert von Lukas Schäfer
Idee: Nuno Wong
VIDEO
ARCTICFOX Collective
Regie – Nuno Wong
Kamera – Jona Salcher
Set-Fotografie – Christoph Degenhart
Drehbuch – Jona Salcher, Nuno Wong, Luiza Monteiro, Sandra Julia Reils
Mit – Sandra Julia Reils und Luiza Monteiro
Mehr Informationen über Luiza Monteiro:
https://agentur-kick.de/luiza_monteiro/vita
https://theater.ingolstadt.de/ensemble/schauspieler-innen/stamm/luiza-monteiro/
Instagram @luiza.c.o.m