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Radikal junge Highlights

So viele spannende Theaterregisseure und Schauspieler habe ich selten in einer einzigen Woche erleben dürfen… Meine Highlights vom Münchner Theaterfestival „radikal jung„!

Highlight #1: Steffen Siegmund 

Schon der Titel der Auftaktinszenierung des Theaterfestivals „radikal jung“ im Münchner Volkstheater – „Nathan die Weise“ – lässt erahnen, dass hier eine ganz eigene Sicht der Regisseurin Leonie Böhm auf Gotthold Ephraim Lessings 1779 uraufgeführtes Ideendrama präsentiert werden wird. Auftritt des Schauspielers Steffen Siegmund als – „yo, ich bin’s“ – Tempelritter Curd von Stauffen. Erster Gedanke: Nicht schon wieder eine Regiearbeit, die einem Klassiker durch Slang-Sprache neues Leben einzuhauchen versucht. Doch Steffen Siegmund, seit Beginn der Spielzeit 2013/2014 Ensemblemitglied des Hamburger Thalia Theaters, macht aus diesem Prolog über die verzweifelten Versuche, Nathans Tochter Recha näherzukommen, keine Slapstik- und Körberakrobatik-Soloeinlage. Siegmund lenkt seinen Fokus auf die Geschichte um Recha, ihren Vater Nathan dem Weisen und dem brennenden Haus, aus dem Curd Recha rettet. Siegmund ist ein Entertainer im besten Sinne, ein Bühnenfuror, der an diesem Abend gekonnt mit seinem Image des niedlichen Tigerpulli-Trägers spielt. Es ist faszinierend mit anzusehen, wie dieser junge Schauspieler einen Bühnenraum für sich erobert, der um ein Vielfaches größer ist als die Originalspielstätte im Thalia in der Gaußstraße. Der Monolog des Tempelritters Curd von Stauffen ist das Zentrum von Leonie Böhms Inszenierung – die zu Beginn des Abends entfaltete Sogwirkung der Inszenierung verliert mit einem Schlag an Kraft, als Siegmunds Schauspielkollegen Birte Schnöink und Johannes Rieder mit ins Spiel kommen.

Bescheiden, zurückhaltend und reflektiert tritt Siegmund beim anschießenden Publikumsgespräch im Volkstheater auf. Ein neuer Stern am Theaterhimmel – und ein Grund, bald nach Hamburg ins Thalia Theater zu fahren!

Publikumsgespräch nach der Vorstellung Publikumsgespräch nach der Vorstellung mit Sven Ricklefs (Bayern 2), der Regisseurin Leonie Böhm, den Schauspielern Birte Schnöink, Johannes Rieder und Steffen Siegmund sowie dem Jury-Mitglied Annette Paulmann von den Münchner Kammerspielen.
Steffen Siegmund, Foto: Thalia Theater
 


Highlight #3: Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler

Thomas Niehaus (links) und Paul Schröder auf der kleinen Bühne des Volkstheaters
Diese Inszenierung hatte ich zunächst gar nicht im Fokus, als ich in diesem Jahr meine „radikal jung“-Abende im Volkstheater zu planen begann. Doch dann entdeckte ich einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem der von mir sehr geschätzte ehemalige Chefdramaturg Kilian Engels die Produktion „Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler“ als „einfach zauberhaft“ beschreibt. Während meiner Ausbildung zur Theater-, Film- und Fernsehkritikerin habe ich gelernt, mit dem Wörtchen „genial“ sparsam umzugehen – aber die Inszenierung vom Thalia Theater Hamburg ist es definitiv! Zauberhaft, anrührend, bewegend, skurril und unglaublich witzig ist dieser ganz besondere Abend, den die Regisseurin Johanna Louise Witt in Zusammenarbeit mit den beiden Ensemblemitgliedern Thomas Niehaus und Paul Schröder entwickelt hat. Die Idee dazu kam nicht etwa vom Theater, sondern von den beiden Schauspielern selbst, denen irgendwann das 1653 erschienene Anglerbuchs „Der vollkommene Angler oder Eines nachdenklichen Mannes Erholung“ von Izaak Walton in die Hände fiel. Niehaus und Schröder haben daraufhin zusammen mit Johanna Louise Witt ein Stück über die beiden passionierten Vereins-Angler Jürgen und Marcel entwickelt, die im Vereinsheim des ASV-Petri-Heil-Butt treffen und dort nicht nur über die Fische, sondern auch über das Leben im allgemeinen philosophieren. Da wird Schuberts Lied von der Forelle schon mal auf Deutsch, Finnisch oder Koreanisch performt, mit Krebsscheren-Handschuhen an einem Seil befestigt durch den Raum geschwebt oder eine ausführliche Einführung ins Angler-Latein gegeben. Selten habe ich so viel gelacht in einem Theaterraum – als „im besten Sinne meschugge“ hat mein ehemaliger Studiengangsleiter C. Bernd Sucher die Inszenierung beim anschließenden Publikumsgespräch bezeichnet. Johanna Louise Witts Inszenierung ist jedoch keine eine reine Klamauk-Nummernrevue. Immer wieder gibt es diese leisen, tieftraurigen Momente, in denen den Zuschauern nicht nur die ganze Tragik des Lebens von Jürgen und Marcel, sondern auch die Tragik ihres eigenen Lebens, in dem das Risiko des Scheiterns allgegenwärtig ist, bewusst wird. Ein einzigartiger Abend mit zwei fantastischen Schauspielern – und der Beweis dafür, dass auch an einem großen Haus wie dem Thalia Theater Raum für besondere Projekte wie „Wenn die Rolle singt oder der vollkommene Angler“ geschaffen werden kann. Zurecht gab es diese Produktion am vergangenen Sonntag den mit 2.500 Euro dotierten Publikumspreis des Festivals.

Paul Schröder
Thomas Niehaus, Fotos: Thalia Theater
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Highlight #3: Suna Gürler

Die Regisseurin Suna Gürler (Mitte), der Dramaturg Mazlum Nergiz (rechts) und das Ensemble von „Stören“ (Maxim Gorki Theater) beim Publikumsgespräch mit Sven Ricklefs (Bayern 2).
Über Frauenrechte wird viel diskutiert. In der Presse oder im Rahmen von Podiumsdiskussionen beispielsweise. Auf den Theaterbühnen im deutschsprachigen Raum wird diesem Thema aber selten so explizit Beachtung geschenkt wie in Suna Gürlers  Inszenierung „Stören“, die auf dem „radikal jung“-Festival zu sehen war. Sechs junge Laien-Darstellerinnen erzählen auf der Bühne des Volkstheaters von ihren Erfahrungen mit Männern im öffentlichen Raum. Es ist egal, ob eine von ihnen ein Kopftuch trägt oder die andere einen Kopf größer ist, als alle anderen: Alle haben sie ähnliche Dinge in Bezug auf Männer erlebt und mussten lernen, sich zur Wehr zu setzten. Aus Literatur-, Film- und Blog-Zitaten sowie aus aus den Erzählungen ihrer Schauspielerinnen hat Suna Gürler einen klug durchdachten, mit choreographischen Elementen versetzen Theaterabend entwickelt. Wie sehr das Thema Frauenrechte die Gemüter erhitzt, hat man nach der Vorstellung von „Stören“ beim Publikumsgespräch erleben können. Als im Rahmen der Vorstellungsrunde sämtliche klischeebehaftete Zuschreibungen, die man für Gürlers sechs Akteurinnen finden kann, vom Moderator ins Spiel gebracht werden, nimmt die Regisseurin und ihr Team das Mikro für den Rest des Publikumsgesprächs an sich. Suna Gürler bleibt freundlich, aber bestimmt. Rollenklischees und Stereotype – darum kreisen ihre Inszenierungen schließlich immer wieder. Diese 30-jährige Regisseurin hat eine bewundernswerte Karriere hingelegt – als 13-Jährige nahm die gebürtige Baslerin an ihrem ersten Theaterkurs im Theater Basel teil und inszenierte dort ab 2011 eigene Projekte. Seit der Spielzeit 2013/14 ist Suna Gürler am Gorki Theater in Berlin tätig, wo auch Sebastian Nübling, ihr ehemaliger Mentor am Theater Basel, inszeniert. Über die Theaterpraxis an einem großes Haus zu landen – Gürlers selten gewordener Werdegang könnte manch anderes Theater zum Umdenken bewegen.

Suna Gürler muss im Publikumsgespräch nach der Vorstellung von „Stören“ weder ständig den Feminismus predigen noch zum Kampf gegen die männliche Übermacht aufrufen. Ihr Plädoyer für die Achtung der Würde der Frau ist klar und unmissverständlich genug. Eine durchsetzungsstarke, spannende Regisseurin und ein Vorbild für eine junge Frauengeneration.

Suna Gürler, Foto: Münchner Volkstheater

 

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