Ein Rückblick auf die Mitgliederreise der Freunde des Residenztheaters, die uns in diesem Jahr nach Hamburg geführt hat…
„Wer bin ich, ihm seine Würde zu nehmen?“, fragt Elizabeth Proctor (Marina Galic), nachdem sich ihr Mann John (Jörg Pohl) nach langem Ringen vom Pakt mit dem Teufel losgesagt hat. Der Glaube an eine übernatürliche Macht hat die Stadt Salem fest im Griff, seit Reverend Parris (Julian Greis) eines Nachts eine Gruppe junger Mädchen beim Tanzen im Wald beobachtet hat. Von Hexerei ist die Rede, nachdem Mädchen auf mysteriöse Art und Weise erkrankt sind. Selbst die Namen unbescholtener Bürger des Ortes werden in Arthur Millers Drama „Die Hexenjagd“ bei der Suche nach den angeblichen Gefolgsleuten des Teufels genannt.
Kurz bevor John Proctor in Stefan Puchers „Hexenjagd“-Inszenierung am Thalia Theater dem Tod entgegengehen muss, streift er ein letztes Mal die Hand seiner Frau. Ein kurzer, sehr bewegender Augenblick der Zärtlichkeit inmitten all des Leids, der Hysterie und der falschen Verdächtigungen. Ein Hoffnungsschimmer der Menschlichkeit in einer Gesellschaft, die sich von Demagogen verführen und von deren verbreiteten Halbwahrheiten leiten lässt.
Es gibt wenige Inszenierungen, die mich in den vergangenen Jahren so aufgewühlt, begeistert und beschäftigt haben wie diese „Hexenjagd“ am Thalia Theater. Der moderne Klassiker von Arthur Miller aus dem Jahre 1953 entstand zu einer Zeit, als ein von dem Senator Joseph McCarthy geleiteter Senatsausschuss Jagd auf angebliche Kommunisten in den USA machte. Miller nahm eine historische Begebenheit aus den Anfangsjahren der US-amerikanischen Geschichte Ende des 17. Jahrhunderts zum Anlass, um auf eine erschreckende Art und Weise über die Manipulierbarkeit des Menschen und die sich wiederholende Geschichte zu erzählen.
Die Frage nach der Aktualität des Stoffs beantwortet sich in Zeiten wiedererstarkender rechtspopulistischer Tendenzen auf der ganzen Welt von selbst. Doch Pucher geht nicht den einfachen Weg und baut explizit naheliegende Bezüge zur aktuellen Realpolitik in seine Inszenierung mit ein. Seltsam aus der Zeit gefallen wirkt die Gruppe junger Mädchen um ihre Anführerin Abigail Williams (Antonia Bill) in ihren blauen Puritaner-Kleidern, ihren weißen Armstulpen und Hauben. Wie eine Mischung aus Cowboys und lässigen Rock’n’Rollern sehen dagegen die männlichen Charaktere auf der Bühne des Thalia Theaters aus. So zeitgemäß und modern sie sich in ihren Dialogen geben mögen – anhand ihrer Kleidung wird ihre Sehnsucht nach dem Glanz und der Ordnung vergangener Tage offen zur Schau gestellt. Der von Barbara Ehnes entworfene, verwinkelte Bretterbau in der Bühnenmitte – ein wunderbares Sinnbild für ein Trümmerfeld menschlicher Existenz, auf dem sich die Figuren bewegen – bietet keinerlei Möglichkeiten zum Ausbruch aus der Enge des Provinzlebens. Daher kann sich das gefährliche Giftgemisch aus Lügen, Gewalt und Intrigen sehr schnell innerhalb der Gemeinde ausbreiten.
Diese „Hexenjagd“-Inszenierung lebt vor allem von der schauspielerischen Kraft des bis in die kleinsten Nebenrollen exzellent besetzten Ensembles des Thalia Theaters. Den Darstellern gelingt es, fast drei Stunden eine konzentrierte Spannung im Zuschauerraum aufrechtzuerhalten, wie man sie selten zuvor erlebt hat. Wie sich die jungen Mädchen um die herausragende Antonia Bill als Abigail immer weiter in ihrer Hysterie steigern, Toini Ruhnke als Mary Warren als einzige versucht, dem Wahnsinn der Mädchen ihre eigene Wahrheit entgegenzusetzen oder Rafael Stachowiak als Richter Thomas Danforth durch seine Rockstar-Allüren erschreckend viele Lacher im Publikum provoziert: Dieses furios aufspielende Ensemble ist ein sehr guter Grund, dem Thalia Theater bald wieder einen Besuch abzustatten.
Im Gegensatz zu anderen „Hexenjagd“-Inszenierungen, die ich bereits gesehen habe, bringen in Stefans Puchers Version die Mädchen von Salem nicht einfach nur einen Stein ins Rollen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte, keine naiven Frauen, deren Handlungen von einer intellektuell überlegenen männlichen Mehrheit gesteuert werden. Inmitten des um Liebe und Anerkennung buhlenden weiblichen Mobs bewegt sich Tituba – bei Arthur Miller eine Sklavin aus Barbados, die als Erste mit dem Verdacht der Hexerei konfrontiert wird – wie ein Fremdkörper in ihrem rosa Plüschmonsterkostüm über die Bühne. Dass Pucher die Choreographin Sylvana Seddig für diese Rolle ausgewählt hat, ist ein genialer Coup: Sie kann das Geschehen auf der Bühne als Außenstehende kommentieren und die Zuschauer immer wieder zur Wachsamkeit mahnen. Dem einen oder anderen Zuschauer mag so viel „Belehrung“ etwas übertrieben vorkommen, wie sich in unserem anschließenden Publikumsgespräch herausstellt. Doch so lange ein gutbürgerliches Publikum die Entertainer-Qualitäten eines Rafael Stachowiak als Richter Thomas Danforth gutheißt und seine manipulative Rhetorik unterschätzt, mit der der Schauspieler in seiner Rolle auf eine faszinierende Art und Weise spielt, können gar nicht genug mahnende Worte auf der Bühne ausgesprochen werden.
Sollten wir nun alle wie der Bauer John Proctor werden, den Jörg Pohl nicht als einen tragischen Helden, sondern als einen im besten Sinne einfachen, aber sehr reflektierten jungen Mann spielt? Nein, denn ihm fehlt es bei aller Menschlichkeit und Moral, die ihn trotz seiner Affäre mit Abigail Williams auszeichnen, an Kraft, Mut, dem Willen und dem Weitblick, etwas in seiner Gemeinde zu verändern.
Dass der Dramaturg Matthias Günther während seiner Einführung vor dem Beginn des Abends im Thalia Theater ausdrücklich uns Gäste aus München begrüßte, war nur einer von vielen Höhepunkten an diesem Freitag. Im Anschluss an die „Hexenjagd“-Inszenierung hatten wir dann auch noch die Gelegenheit zu einem Nachgespräch mit den Schauspielern Marina Galic („Elizabeth Proctor“), Irene Kugler („Rebecca Nurse“), Toini Ruhnke („Mary Warren“), Sylvana Seddig („Tituba“) und Steffen Siegmund („Ezekiel Cheever“) sowie mit der Künstlerischen Betriebsdirektorin des Thalia Theater, Karin Becker – sie wird übrigens 2020 Intendantin am Theater Konstanz. Dass sich die Mitarbeiter eines Theaters nach drei Stunden Theaterkunst vom Feinsten noch eine Stunde Zeit für ein Gespräch mit einem Freundeskreis aus einer anderen Stadt nehmen, ist eine ganz besondere Ehre. Mein Highlight war nicht nur die Wiederbegegnung mit Marina Galic, die 2004 den Förderpreise der Freunde des Residenztheaters erhalten hat und bis 2011 im Ensemble von Dieter Dorn am Residenztheater zu sehen war, sondern vor allem auch das unverhoffte Wiedersehen mit einem Schauspieler, der für mich zu den großen Entdeckungen während meiner zwei vergangenen Jahre als Kulturflüsterin gehört: Steffen Siegmund erlebte ich zum ersten Mal im April 2017 während des Münchner Theaterfestivals radikal jung in „Nathan die Weise“ auf der Bühne des Volkstheaters. Welch eine Freude, ihn hier am Thalia Theater wiederzusehen!
Liebes Team des Thalia-Theaters: Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich im Namen der Freunde des Residenztheaters für diesen wunderbaren Abend bei euch im Haus! Die Inszenierung der „Hexenjagd“ hat uns alle tief bewegt und beeindruckt.
2017 feierte die jährliche Kulturreise der Freunde des Residenztheaters ein großes Revival, als sich unsere jetzige Vorsitzende Marissa Biebl der Organisation des Programms annahm. Gemeinsam mit unserem Kuratoriumsmitglied Ingo Meyr von Nova Reisen plante sie in diesem Jahr eine Flugreise für rund 40 Personen nach Hamburg, wo die Mitreisenden unter anderem eine Führung durch die Elbphilharmonie, eine ausführliche Stadtrundfahrt und ein weiterer Theaterbesuch am Samstagabend im Deutschen Schauspielhaus Hamburg erwartete. In die Elbphilharmonie habe ich mich sofort verliebt – Fotos waren allerdings während der Führung durch das Konzerthaus leider nicht gestattet. Ein paar Eindrücke konnte ich dennoch festhalten:
Nachdem unser Ausflug ins Thalia Theater am Freitagabend bereits ein sehr großer Erfolg war, wurden wir am Samstagabend nicht minder herzlich im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg empfangen. Seit Mai 2018 befindet sich das Theater in der Renovierungsphase – die „Antigone“-Premiere des Jungen Schauspielhauses fand daher am vergangenen Samstag auf der großen Probebühne innerhalb des Hauses statt.
Mit einer klugen Mischung aus Theater, Tanz und Performance gelang es der Regisseurin Anne Bader, ihr jungen Zielpublikum mit einer modernen Interpretation des antiken Stoffs zu begeistern. Immer wieder bäumt sich der toter Bruder Polyneikes als tanzender schwarzer Engel aus dem Staub auf, um die Verbindung zu seiner Schwester Antigone zu suchen. In der beeindruckendsten Szene des Abends löst sich Polyneikes langsam aus einer engen Umarmung mit Antigone. Warum sie ihn, dessen Seele längst aus seinem toten Körper entwichen ist, unbedingt bestatten möchte, scheint er mit seinem durchdringenden Blick zu fragen. Anne Bader zeigte sowohl Antigone als auch ihren Onkel Kreon als Machtmenschen, die ihr eigenes Rechtsempfinden über das Wohl der Gemeinschaft stellen. Weder das männliche noch das weibliche Prinzip werden sich am Ende durchsetzen. Sondern das Prinzip der Menschlichkeit, das in Antigone trotz aller emotionalen Wunden und Rachegelüste fest verankert ist.
Auch am Deutschen Schauspielhaus kamen wir in den Genuss eines Nachgesprächs – und das direkt nach einer Premiere! Ganz herzlich möchte ich mich nicht nur bei der Regisseurin Anne Bader und der Dramaturgin Friederike Engel, sondern auch bei Klaus Schumacher, dem Leiter des Jungen SchauSpielHaus, für das spannende Gespräch bedanken. Seit der Gründung in der Spielzeit 2005/ 06 leitet Schumacher die Sparte Junges SchauSpielHaus am Deutschen Schauspielhaus Hamburg – das extrem abwechslungsreiche Programm dieser Abteilung des Schauspielhauses ist für Erwachsene ebenso spannend, wie für das junge Publikum.
Hamburg, wir hatten es so schön mit dir! Nicht nur der Wettergott war uns äußerst gewogen – mit einer so harmonischen, interessierten und herzlichen Gruppe zu verreisen macht einfach Spaß! Unser nächster Wochenendausflug im Jahr 2019 ist bereits in Planung 🙂
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