2007 und 2009 durfte ich als Stipendiatin an den Internationalen Schillertagen am Nationaltheater Mannheim teilnehmen. Diese jeweils neun fantastische Tage haben meinen Blick auf die Schillerschen Dramen verändert – und mich mit neuen, theaterverrückten Leuten zusammengebracht! Bald steht übrigens die nächste Ausgabe des Festivals an…
Friedrich Schiller: Das bedeutete für mich bis 2007 endlose Besprechungen seiner Dramen nach Reclam-Begleitbuch-Schema F im Deutschunterricht. In der 11. Klasse stand „Maria Stuart“ vier Wochen auf dem Lehrplan, im Jahr darauf die „Jungfrau von Orléans“. Dazwischen Goethes „Faust“, der uns Schüler ebenso wenig begeisterte wie Schillers Werke. Mit Schrecken erinnere ich mich außerdem an einige Theaterinszenierungen zurück, in denen mit ordentlich Klamauk versucht wurde, das junge Publikum für sich einzunehmen. „Du hast mir eine kostbare Stunde gestohlen, sie werde dir an deinem Leben abgezogen!“, um es mit Schillers Worten aus seinem Drama „Die Räuber“ zu sagen.
Doch dann wurde ich 2007 auf das Stipendiatenprogramm der Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim aufmerksam. Als fester Bestandteil des seit 1979 zweijährlich stattfindenden Festivals bietet es Studenten und Berufseinsteigern aus theaterrelevanten Bereichen die Möglichkeit, Teil des Festivals zu werden. Neun Tage Theaterinszenierungen, Seminare, Treffen mit anderen Theaterbegeisterten – auf nach Mannheim! Damals studierte ich noch Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau und kannte den Theaterbetrieb nur als Besucherin und durch einige Praktika. So war die Herausforderung groß, als ich mich im Juni 2007 mit 10 anderen Stipendiaten in einem Seminarraum mit dem Dramatiker Reto Finger wiederfand. Schillers dramatisches Fragment Polizey (1799-1804) und seine mögliche Fortschreibung war unser Thema. In Polizey entwirft Friedrich Schiller ein gigantisches Gesellschaftspanorama, in dem die Pariser Polizeibehörde des Ancien Regime zum Kristallisationspunkt zwischen Ordnung und Chaos, Individuum und Masse wird. Dass ich nicht zur Dramaturgin geboren war, wusste ich auch schon vor den Tagen mit Reto Finger. Hätte es Instagram Stories damals schon gegeben – ich hätte dieses spannende Seminar, das sich immer mehr anfühlte wie eine Dikussions-Theaterperformance, zu gerne mit meinem Handy begleitet. Unter diesem Link findet ihr übrigens auf Seite 9 einen Bericht über unser Seminar in der Festivalzeitung der Internationalen Schillertage, in dem ich folgenden amüsanten Satz über mich gefunden habe: „Für Lena Kettner aus Passau ist das Theater eine Leidenschaft – beruflich will die 21-Jährige „in Richtung Wirtschaft“ gehen.“ Das Theater ist meine Leidenschaft geblieben – das Berufsfeld der PR habe ich erst einige Jahre nach meinem Abschluss an der Uni Passau für mich entdeckt.
Die 14. Internationalen Schillertage fanden 2007 übrigens unter dem Motto „Bestie Mensch“ statt.
„Was ist der Mensch? Ein Kulturwesen oder das biologisch erfolgreichste Tier? Angesichts eskalierender religiöser Konflikte, Raubtierkapitalismus und Umweltzerstörung, angesichts der Möglichkeiten der Humangenetik stellt sich unser von Humanismus und Aufklärung geprägtes idealistisches Menschenbild mehr denn je in Frage.“
hieß es im Programmheft. Was für ein nationales und internationales Gastspiel-Feuerwerk war das damals am Nationaltheater Mannheim! Mit Kabale und Liebe habe ich meine erste Inszenierung von David Bösch gesehen, der das bürgerliche Trauerspiel um die bürgerliche Musikertochter Luise Miller und dem Adelssohn Ferdinand von Walter mit großem Respekt für den Schillerschen Text und einer nicht minder großen Liebe für seine Figuren erzählte. Ebenso beeindruckend fand ich die Uraufführung Os Bandoleiros (“Die Räuber“) des brasilianischen Teatro Oficina Uzyna Uzona. Ohne Furcht vor Kitsch und Pathos gelang es dieser Räuberbande, einen ganzen Saal für sich einzunehmen. Morde, Plünderungen, Raubzüge: Man spürte in jeder Sekunde, dass die Mitglieder der Theaterkompagnie vieles von dem, was sie auf der Bühne erzählten, in der Realität bereits erlebt hatten. Diese leidenschaftliche und authentisch gespielte „Räuber“-Inszenierung ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.
Ein paar Tage später: Ein neuer Seminarblock mit dem Musiker und Komponisten Axel Nitz über das Thema „Musik im Schauspiel“. Axel hatte zum damaligen Zeitpunkt über 50 Bühnenmusiken geschrieben, unter anderem für die „Kabale und Liebe“-Inszenierung am Mannheimer Nationaltheater. Seine Art und Weise, uns den Weg zur geeigneten Bühnenmusik aufzuzeigen, war vor allem praktischer Natur. Ich erinnere mich an die Improvisationsübungen zu den Pianoklängen eines Mit-Stipendiaten und die interessanten Gespräche, die sich um unsere musikalische Erkundung des Seminarraums drehten. Mit Axel Nitz durfte ich einige Jahre später im Rahmen meines Kulturjournalismus-Studiums ein Interview für die Festivalzeitschrift radikal text, die täglich im Rahmen des radikal jung-Festivals in München erschien, führen.
Die Schillertage sind bis heute vor allem eines für mich: Ein Treffpunkt für außergewöhnliche, spannende Theaterschaffende! Frank Oberhäußer, der damals mit mir in Reto Fingers Seminar saß, war lange Zeit an der Schaubühne Berlin und ist mittlerweile als freischaffender Regisseur am Theater Freiburg und für das freie Theater-Kollektiv Turbo Pascal tätig. Nora Mansmann arbeitete schon damals als Theaterregisseurin und Autorin. Ihr Stück „fuchs&freund“ war im letzten Jahr für den Mülheimer Kinderstückepreis nominiert und schafft es auch auf die Auswahlliste des Deutschen Kindertheaterpreises 2016. Und der junge Regisseur Tim Tonndorf gründete zusammen mit zwei Kommilitonen der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch 2010 das Theaterkollektiv Prinzip Gonzo. Als ich 2010 zum wiederholten Male in das Stipendiatenprogramm der Internationalen Schillertage aufgenommen wurde, lernte ich unter anderem Florian Fischer, der mittlerweile sehr erfolgreich an großen Häusern wie den Münchner Kammerspielen oder dem NTGent arbeitet, kennen.
Auch die Schillertage 2009 waren in jeder Hinsicht ein Gewinn für mich. Ich musste zwar im Seminar mit dem Berliner Puppentheater-Machern Das Helmi feststellen, dass meine Bastelerlebnisse aus Kindertagen doch schon ein Weilchen her waren – aber ich war schließlich sehr stolz auf meine schöne selbstgestaltete „Zeus“-Puppe! Manch anderer Seminarteilnehmer hielt sich anschließend lieber vornehm zurück, als es darum ging, eine innerhalb von wenigen Stunden selbstgeschriebene Szene auf die Bühne zu bringen. Einen kleinen Schluck aus der Sektflasche brauchte auch ich – aber den Spaß, vor dem Publikum der Schillertage zu performen, war es auf jeden Fall wert!
Wie gerne wäre ich auch in diesem Jahr wieder bei den Schillertagen dabei gewesen – doch leider werde ich es 2017 nicht nach Mannheim schaffen… Schaut unbedingt am Nationaltheater vorbei, wenn ihr vom 16.-24. Juni in der Gegend seid! Und wer wie ich nicht live vor Ort sein kann: Folgt den Festival-Verantwortlichen einfach auf Instagram und Facebook!
Nationaltheater Mannheim
Goetheplatz 1
68161 Mannheim