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Theaterkunstrausch

Eigentlich wollte ich in Berlin nur zwei zum Theatertreffen eingeladene Inszenierungen ansehen – doch dann gab es noch so viel Kunst in der Stadt zu entdecken! Unter anderem zwei wunderbare Fotoausstellungen in der Schaubühne Berlin und im C/O Berlin….

Es hätte am vergangenen Samstagmorgen keine bessere Beschreibung meiner Gefühlslage als die Worte auf dem Banner der Schaubühne geben können! Am Abend zuvor war mein Flug annulliert worden und mit viel Glück und 2 Stunden Schlaf im Gepäck schaffte ich es letztendlich doch noch nach Berlin. Ein Nickerchen aber kam für mich nicht für mich in Frage – schließlich bin ich nicht jeden Tag in der Hauptstadt 🙂

Am Freitag vor meiner Abreise hatte ich auf der Facebook-Seite der Schaubühne von einer Fotoausstellung des Schauspielers Robert Beyer, der seit 1999 zum Ensemble des Hauses gehört, erfahren. Wie einzigartig und außergewöhnlich der fotografische Blick eines Schauspielers auf seine Kollegen sein kann, durfte in meinem letzten Job als Pressesprecherin einer TV-Serie täglich in der Zusammenarbeit mit Christof Arnold erleben. In der Schaubühne waren es am vergangenen Wochenende vor allem die abseits der Bühne entstandenen Fotos des Ensembles, die mich faszinierten. Der Intendant Thomas Ostermeier in denkender Pose nebst einem Porträt des exzentrischen Künstlers Joseph Beuys beispielsweise oder die Eis essende Jenny König. Robert Beyer inszenierte seine Kollegen nicht während ihrer Gastspiel-Reisen, sondern beobachtete sie stattdessen ganz genau. „Enjoy the Journey“ ist eine kleine, feine Ausstellung von einem Menschen, dessen Liebe zu diesem Theater und seinem Ensemble in jedem Bild spürbar wird.

Thomas Ostermeier neben einem Porträt von Joseph Beuys (mittlere Reihe, links) und die Eis essende Jenny König (obere Reihe, 3. Bild von links)
Der König der Gastpiel-Reisen: Lars Eidinger ist derzeit als Titelrolle in den Inszenierungen „Hamlet“ und „Richard III.“ von Thomas Ostermeier auf vielen Bühnen in der ganzen Welt zu sehen.

»Enjoy the Journey« – Fotografien von Robert Beyer

In der ehemaligen Universum Lounge der Schaubühne neben dem Kassenfoyer
Noch bis 25. Juni 2017 täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet
Eintritt frei


William Klein? Den Namen dieses Fotografen hatte ich noch nie davor gehört. Aber die im C/O Berlin stattfindenden Ausstellungen haben mich in der Vergangenheit nie enttäuscht. Wenn ich an diesem Nachmittag nicht unbedingt zur Abschlussdiskussion der Jury des Theatertreffens gehen hätte wollen, hätte ich am liebsten den ganzen Tag im der Ausstellung über William Klein verbracht. Der mittlerweile 89-jährige hat in den sechzig Jahren seines künstlerischen Schaffens Menschen auf der Straße ebenso fotografiert wie Models für große Fotostrecken. Immer wieder beschäftigte er sich mit aktuellen sozialen Themen und setzte sich in seiner Arbeit sehr früh mit dem Einfluss der Massenmedien auf die Gesellschaft auseinander. Malerei, Fotografie und Film: Klein zeigt sich in allen drei künstlerischen Genres äußert experimentierfreudig und wagemutig, wie man in der Ausstellung im C/O Berlin sehen kann. Neben den Porträts der Bewohner von New York, die in den 1950er Jahren in dem berühmten Fotobuch „New York 1954–1955“ über Kleins Heimatstadt veröffentlicht wurden, beeindrucken mich bei meinem Besuch vor allem die in den Städten Paris und Moskau entstandenen Porträtaufnahmen. So hängt beispielsweise ein Foto von der feinen Pariser Bourgeoisie neben dem Bild einer Demonstrantin mit entblößtem Oberkörper, die auf einer Demonstration für die Rechte von Schwulen und Lesben eintritt.

New York, wie man es bis dahin nicht gesehen hatte: Bilder aus William Kleins berühmten Fotobuch „New York 1954–1955“.
Ein Paris abseits von Louvre und Eiffelturm in den 1960er Jahren. Seit 1948 lebt und arbeitet der gebürtige New Yorker William Klein übrigens in der französischen Hauptadt.

Die Kunst von William Kleins Art der Straßenfotografie ist es, den Blick des Betrachters zwar durch klug durchdachte Perspektiven zu lenken, ihm aber alle Freiräume für die eigene Interpretation der Szene zu gewähren. Nicht nur in der Street Photography, sondern auch in der Arbeit mit den Topmodels hat Klein einen Weg gefunden, trotz aller von ihm umgesetzten künstlerischen Visionen stets den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei seinen Fotos um ungestellte, spontane Schnappschüsse handelt. Schaut euch diese grandiose Ausstellung unbedingt an, wenn ihr demnächst in Berlin seid!

Modefotografie als Experimentierfeld

William Klein. Photographs & Films

Noch bis 07.07.17 

http://www.co-berlin.org/william-klein


Die Atmosphäre im Haus der Berliner Festspiele, wo jedes Jahr das Theatertreffen stattfindet, ist wirklich einmalig! Ich hätte mich tagelang im Garten des Hauses aufhalten oder auf einer der Bänke vor dem Haus sitzen, die Leute beobachten und die Atmosphäre auf mich wirken lassen können. Jung und Alt, Frauen in Stöckelschuhen und junges Hipster-Publikum, Zuschauer, die das Theatertreffen seit Jahrzehnten besuchen und absolute Neulinge wie ich tummelten sich auf dem Gelände der Berliner Festspiele.

Seit Jahren versuche ich zum Berliner Theatertreffen zu fahren – 2017 hat es endlich zum ersten Mal in meinem Leben geklappt! Zwei spannende Podiumsdiskussionen standen am Samstag- und Sonntagnachmittag auf dem Programm: Am Samstag erörterte die Moderatorin Susanne Burkhardt von Deutschlandfunk Kultur, die Historikerin Ute Frevert, der Philosoph Daniel Tyradellis gemeinsam mit dem Regisseur Ulrich Rasche die Frage, wie viel Affekt die Demokratie verträgt und wie viel Affekt die Kunst braucht. Über Gefühle und Emotionen wird jedoch nicht nur gesprochen – sie spielen auch auf dem Podium selbst eine große Rolle, wie sich schon nach wenigen Minuten feststellen lässt. Mit Ute Freverts sachlich dargebotenem Argument, dass der AfD in Deutschland derzeit womöglich ein zu breites Forum in der öffentlichen Berichterstattung geboten werden würde und eine Demokratie durchaus in der Lage sei, mit einer Gefahr wie dieser umzugehen, kann Daniel Tyradellis eher wenig anfangen. Ulrich Rasche betont derweil, dass er das Theater durchaus dazu in der Lage sieht, politisch auf eine Gesellschaft einzuwirken. Den Begriff der „halben Höhe“, auf den Tyradellis in Anlehnung an den Philosophen Gilles Deleuze hinweist – also einen Ausgleich zwischen der Ratio und der Emotion und künstlerische Formen für ein möglichst breites Publikum zu suchen – findet Rasche für das Theater eher weniger interessant. Er empfinde es großen Glücksfall, dass seine „Räuber“-Inszenierung am Münchner Residenztheater so unterschiedlich wahrgenommen wird. Ute Frevert formuliert zum Abschluss der Diskussion ganz sachlich ihren Wunsch, dass das Theater vor allem eine Kritik an den Phänomenen und den Entwicklungen unserer Zeit bieten sollte.

Von links nach rechts: Susanne Burkhardt, Ulrich Rasche, Daniel Tyradellis und Ute Frevert.
Meine zweite Podiumsdiskussion am Sonntagnachmittag: Die diesjährige Jury des Theatertreffens diskutierte mit dem Moderator Christoph Leibold von Bayerischen Rundfunk (l.) über die Auswahl der Stücke und derzeitige Entwicklungen und Tendenzen in der Theaterlandschaft.

Zwei zum Theatertreffen eingeladene Inszenierungen habe ich an diesem Wochenende sehen dürfen – eine live auf der Bühne, die andere in Form einer äußerst gelungenen 3sat TV-Aufzeichnung. Am Samstagabend stand Die Vernichtung, eine Inszenierung des Regie-Shootingstars Ersan Mondtag (Text: Olga Bach) vom Konzert Theater Bern, auf dem Programm. Der derzeit größte Theaterhipster überhaupt inszeniert ein Stück über junge Hipster in einer europäischen Großtadt – mit viel Pathos, Krawall und Remmidemmi. Der Text? Sei’s drum, schließlich sind aufwändig gestaltete Bühne und die Schauspieler hübsch anzuschauen.

Ulrich Rasches „Die Räuber“-Inszenierung habe ich im September 2016 bei der Premiere am Münchner Residenztheater erleben dürfen. Da die komplizierte Bühnenkonstruktion mit den sich kippenden Laufbändern nicht nach Berlin transportiert werden konnte, realisierte 3sat glücklicherweise eine sehr aufwändige TV-Aufzeichnung der Inszenierung für das Theatertreffen und die spätere Ausstrahlung (ein Interview mit dem verantwortlichen Redakteur Wolfgang Horn findet ihr in meinem letzten Blogeintrag). Während das von Rasche kalkuliert eingesetzte Pathos das Bühnengeschehen in der TV-Aufzeichnung streckenweise zu sehr dominierte, fand ich eine andere Sache in Berlin sehr faszinierend: Bei der Premiere in München hatte ich die einzelnen Mitglieder von Karl Moors Räuberbande nur als anonyme chorische Masse wahrgenommen. Erst in den Nahaufnahmen der TV-Aufzeichnung wird mir klar, welch unglaubliche Talente sich unter den Studenten der Otto-Falckenberg-Schule und der Theaterakademie August Everding stecken – allen voran László Branko Breiding als Roller und Leonard Hohm als Razmann.

Diese Inszenierung kann man lieben oder hassen – kalt lässt sie einen unter keinen Umständen. Seht sie euch unbedingt am Residenztheater an, wenn ihr Karten bekommt! Die nächsten Termine findet ihr hier:

https://www.residenztheater.de/inszenierung/die-raeuber

Die ganze Räuberbande auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele!

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