„Deutsche fordern: ARD und ZDF müssen mehr bieten“ so lautete die Überschrift zu einem Artikel im Magazin Focus vor einigen Jahren anlässlich der Neuregelung der Rundfunkgebühren. Gleichzeitig schreibt die Stuttgarter Zeitung, dass man mit „einer gewissen demütigen Nüchternheit feststellen muss, dass summa summarum sehr viel weniger Menschen die Programme von Arte, Phönix und 3Sat nutzen als jene beiden Kanäle, die im vergangenen Jahr im Durchschnitt die höchsten Einschaltquoten erzielten, nämlich ZDF und ARD.“ Wenn man diese Auswahl, die die öffentlich-rechtlichen Sender bietet, nutzt, kann man kaum in die Klagen der Kritiker mit einstimmen. Ich nutze sie und werde dadurch immer wieder auf neue Künstler und Kultureinrichtungen aufmerksam…
Mittwochs kinokino, donnerstags Capriccio, freitags aspekte, sonntags Metropolis sowie ttt – titel, thesen, temperamente. Und jeden Tag mindestens ein 3sat kulturzeit-Beitrag: So sieht mein Wochenprogramm in Sachen TV-Kulturmagazine aus. Schon lange informiere ich mich vor allem über diese Sendungen im Bayerischen Fernsehen, im ZDF, auf Arte, 3sat und Das Erste über bildende Künstler, Schauspieler und Regisseure, die Filmstarts der Woche sowie über aktuelle kulturelle und gesellschaftspolitische Debatten. Während ich 3sat kulturzeit beispielsweise für die tägliche Beitragsvielfalt der Sendung und ihren breit angelegten Kulturbegriff hinaus sehr schätze, begeistert mich an Capriccio jede Woche wieder die ungewöhnliche inhaltliche und visuelle Gestaltung der einzelnen Beiträge.
Unter anderem bin ich durch diese TV-Kulturmagazine in den vergangenen Jahren auf folgende Künstler und ein spannendes Museum in Krakau aufmerksam geworden:
1. Manuel Blanco Gómez-Limón
Dieses Video auf der Facebook-Seite des spanischen Trompeters Manuel Blanco Gómez-Limón wurde 2012 aufgenommen, als er mit dem Orquesta Nacional de España berühmte Trompetenkonzerte für die Deutsche Grammophon einspielte. Ein Jahr zuvor hatte er 2011 den 1. Preis beim internationalen ARD-Musikwettbewerb in der Kategorie Trompete gewonnen. Als ich im August 2011 meine fünfwöchige Hospitanz bei der Sendung Capriccio begann, traf ich an einem meiner ersten Tage in der Redaktion zufällig auf Andreas Krieger, den Autor der halbstündigen titel thesen temperamente-Sondersendung. Ich durfte ihn während der mehrtägigen Dreharbeiten in und um den Gasteig und den Herkulessaal begleiten – was für eine intensive, emotionale Zeit hinter den Kulissen einer der größten Wettbewerbe für klassische Musik weltweit!
Den Dreh begannen wir mit sechs hochtalentierten Trompetern in der Halbfinale-Runde, von denen es drei weiter in die Endrunde schafften. Manuel war von Anfang an mein Favorit – ich war beeindruckt, mit welch technischen Brillanz und spielerischer Leichtigkeit er am Finaltag die schwierigen Partien des Trompetenkonzerts „Nobody knows the trouble I see“ von Bernd Alois Zimmermann vortrug. Doch Manuels Streben nach Perfektion war nur ein Grund für den Erfolg dieses Ausnahmemusikers. Er ging auf der Bühne vollkommen in der Musik auf und wollte nicht einfach nur der Beste sein, sondern jeden einzelnen Auftritt zu einer klanglich einzigartigen Erfahrung für den Zuschauer machen. Diese Emotionalität, diese Freude an der Musik trotz aller Anspannung und Konzentration habe ich bei den anderen Finalisten im August 2011 nicht in derselben Intensität gespürt.
Manuel war in den vergangenen Jahren als Solo-Trompeter mit vielen Weltklasse-Orchestern wie dem Amsterdamer Concertgebouw, dem Orchester der Mailänder Scala und dem Orchester des Gewandhauses Leipzig auf der Bühne zu erleben.
Hier noch ein kleiner Ausschnitt aus einem Interview mit ihm anlässlich des ARD-Musikwettbewerbs (allerdings nicht von Capriccio, sondern vom BR-Klassik Team):
Und hier noch ein aktuelles Video vom Mai 2017, in dem man Manuel mit dem Jungen Spanischen Nationalorchester spielen sieht (Arutunian Trumpet Concerto von George Pehlivanian):
2. Stefanie Reinsperger
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Beitrag über die Schauspielerin Stefanie Reinsperger in der aspekte-Sendung vom 08.01.2015. Welch eine kluge, selbstbewusste und unglaublich sympathische junge Frau sich da vor der Kamera präsentierte! 2015 war Stefanie Reinsperger gleich in zwei Inszenierungen beim Berliner Theatertreffen zu sehen, wurde in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Theater heute als beste Nachwuchsschauspielerin und beste Schauspielerin ausgezeichnet und erhielt den österreichischen Theaterpreis Nestroy. Zwei Jahre später, 2017, hat Stefanie immer noch die richtige Mischung als Coolness, Eloquenz und Charme, wenn sie vor der Kamera über ihre Arbeit spricht. Im September wechselt sie vom Wiener Volkstheater an das renommierte Berliner Ensemble – dieses Video-Interview von Stefanie für die neugestaltete Website des Theaters mag ich ganz besonders:
Im März diesen Jahres hatte ich die Gelegenheit, die Schauspielerin für meinem Blog zu interviewen! Gerade kann man Stefanie Reinsperger in der Rolle der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen in Michael Sturmingers Jedermann-Inszenierung erleben. Auf der Facebook-Seite der BR-Sendung Capriccio habe ich dieses schöne Video mit einem von Stefanies Lieblingszitaten aus dem Jedermann entdeckt:
3. Das Museum für Gegenwartskunst Krakau (MOCAK)
Bevor ich im Juni 2015 zum ersten Mal die polnische Stadt Krakau besuchte, sah ich zufällig in der Arte Metropolis-Sendung einen Beitrag über eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Krakau. 2011 wurde es eröffnet und befindet sich in den Räumen der ehemaligen Emailwarenfabrik von Oskar Schindler in Krakau. Während des 2. Weltkriegs rettete der Fabrikbesitzer Schindler durch seinen Einsatz jüdischen Insassen des Konzentrationslagers Płaszów und wurde Jahrzehnte später durch den Spielfilm Schindlers Liste weltbekannt. Die Idee, gerade an diesem historisch aufgeladenen Ort mithilfe zeitgenössischer Kunst eine Brücke in die Zukunft zu schlagen, finde ich bemerkenswert. Jedes Jahr werden im MOCAK ca. 15 temporäre Ausstellungen polnischer und internationaler Künstler gezeigt. Jede Ausstellung hat dabei eine gesellschaftlich relevante Fragestellung zum Thema. Ich erinnere mich sehr gut an die großen, lichtdurchfluteten Räume, in denen den Zuschauer alles, aber keine Wohlfühlkunst erwartete. Einen irritierenden, spannender Kontrast bilden diese großen Glasflächen zu den dunklen Betonwänden im Außenbereich des Museums. Bis heute verfolge ich die Arbeit des MOCAK vor allem auf Instagram– wer Krakau von einer etwas anderen, modernen Seite abseits der bekannten Touristen-Pfade erleben möchte, sollte diesem Museum für Moderne Kunst unbedingt einen Besuch abstatten!
4. Die Fotografin Sandra Hoyn
Nach dem Bericht über die deutsche Fotografin Sandra Hoyn im Mai 2017 in titel thesen temperamente war ich sprachlos, schockiert und faszinieret zugleich. Hoyn hatte für ihre Serie «The Longing of Others» (Die Begierde der Anderen) Sex-Arbeiterinnen in einem Bordell in Bangladesch begleitet und bei der Arbeit fotografiert. Damit gewann sie in diesem Jahr bei den renommierten Sony Photography Awards den Preis in der Kategorie «Alltag».
Beinahe hat man als Betrachter der Bilder das Gefühl, als würde man mit in einem der Hinterhäuser des abgeschotteten Blechhüttendorf Kandapara – eines der ältesten und größten Bordelle Asiens – befinden. Die Situationen, die Hoyn in ihren Fotos festgehalten hat, sind von einer unglaublichen Tristesse und Kraft zugleich. Die deutsche Fotografin ist eine zurückhaltende, kritische Beobachterin, die ihren Protagonistinnen ein Gesicht inmitten der Anonymität des Bordells verleiht. Im Juli 2017 war Sandra Hoyn mit ihrer Kamera während des G20-Gipfels in Hamburg unterwegs. Und wieder sind ihr dabei einzigartige Bilder gelungen, die mir im Gedächtnis bleiben werden.
5. Hallgrímur Helgason
Romane isländischer Autoren haben ich bereits zu Schulzeiten sehr gerne gelesen – vor allem die Krimis von Arnaldur Indriðason, einer der bedeutendste Krimi-Autoren Islands. Als titel thesen temperamente 2011 in einer Sondersendung von der Frankfurter Buchmesse berichtete, interviewten sie einen weiteren isländischen Lieblingsautor von mir: Hallgrímur Helgason. Sein 2011 erschienener Roman Eine Frau bei 1000 Grad handelt von der ziemlich abgebrühten 80-jährigen Herbjörg, die in einer Garage im Internet surft und gleichzeitig den Termin für ihre Einäscherung festlegt. Dieser Roman feiert das Leben – mit viel bitterbösem schwarzen Humor!
Wenn ihr die Gelegenheit habt, diesen Autor live auf einer Bühne zu erleben, dann nehmt sie unbedingt wahr! 2011 war Helgason Gast des Island-Festivals des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins in meinem Heimatort Pfaffenhofen an der Ilm. Daher kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es eine große Freude ist, diesem ganz und gar nicht missmutigen, sondern äußerst gut gelaunten und begnadeten Geschichtenerzähler zuzuhören…
Eine Antwort auf „#TV-Geflüster“
Da stimme ich gerne mit ein liebe Lena. Ohne diese inspirierenden Kultursendungen, würde ich warscheinlich keim fernsehen. Herzliche Grüße, Daniela