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„Yes!“, je t’aime!

Mitte Januar durfte ich im Athénée-Théatre Louis-Jouvet in Paris die fulminante Inszenierung der Swing-Operette Yes! von Maurice Yvain auf der Bühne erleben! Die Tourneeproduktion der Compagnie Les Brigands und der Stiftung Palazzetto Bru Zane hat Witz, Tempo und Tiefgang – und sie gehört bereits jetzt zu meinen Highlights des Jahres 2020! In München habe ich mit dem Musikwissenschaftler und musikalischen Direktor des Palazzetto Bru Zane, Alexandre Dratwicki, zu einem Gespräch über seine Arbeit und über die Operette als unterschätzte musikalische Gattung gesprochen.

Wo ließe sich besser von Liebe und Leidenschaft singen, als in einer Hängematte zwischen zwei Klavieren! Mit Lampions über den Köpfen, einer Bühnenwand mit Meereskulisse im Hintergrund und einem Kontrabassisten zur Rechten. Am Strand von Le Touquet leben Totte (Clarisse Dalles) und Maxime Gavard (Célian d´Auvigny) in Vladislav Galards and Bogdan Hatisis Inszenierung der Jazz-Operette „Yes!“ den Traum eines verliebten jungen Paares. Der missfällt jedoch nicht nur Maximes Vater, sondern auch seiner Geliebten Lucette de Saint-Aiglefin.

Im November 2019 feierte die in Kooperation mit der in Venedig ansässigen Stiftung Palazzetto Bru Zane entstandene Produktion der französischen Theaterkompanie Les Brigands Premiere am Théâtre Montansier in Versailles. Den gesamten Januar 2020 über war die Inszenierung nun als Gastspiel im Pariser Athénée Théâtre Louis-Jouvet zu sehen. Yes!, das ist der ganz große Bühnenzauber: Bis ins kleinste Detail beschwören die beiden Regisseure das Flair der Goldenen Zwanziger Jahre auf der Bühne und erzählen dabei gleichzeitig eine zeitlose Liebesgeschichte. Ebenso virtuos wie die Sängerinnen und Sänger des Ensembles sind ihre musikalischen Begleiter Paul-Marie Barbier und Thibault Perriard am Piano und Matthieu Bloch am Kontrabass.

Mit der Inszenierung der Jazz-Operette „Yes!“ bringt die Stiftung Palazzetto Bru Zane, die sich vor allem die Wiederentdeckung bekannter oder vergessener französischer Komponisten und Kompositionen aus der Zeit zwischen etwa 1780 und 1920 zum Ziel gesetzt hat, einen 1928 uraufgeführten französischen Operetten-Erfolgshit zurück auf die Bühne.

„Comment pour parler vais-je faire? En anglais, tout c’que je sais
C’est un mot et ce mot c’est… yes!“

“How am I ever going to speak?
„The only thing I know in English is one word and that word is… Yes!”

Die Geschichte von Yes! beruht auf einem zu seiner Entstehungszeit wohl bekannten Handlungsprinzip, nach dem aus einer arrangierten Ehe am Ende eine Liebesheirat wird. Maxime, Sohn des Industriellen René Gavand, fasst den überstürzten Entschluss, Totte, die Hausangestellte seines Vaters, zur Frau zu nehmen, um einer von seinem Vater arrangierten Ehe zu entgehen und sich weiterhin seinem amourösen Abenteuer mit Madame de Saint-Aiglefin widmen zu können. Um seinem Schicksal zu entkommen, bleibt ihm nur die Flucht nach London mit der bescheidenen, freundlichen Totte.

Zwischen der englischen Hauptstadt, Le Touquet und Paris entspinnt sich in der Operette des französischen Komponisten Maurice Yvain eine Geschichte, die geprägt ist von der Aufbruchsstimmung zwischen zwei Weltkriegen. Im Haus von Maxime Gavard treffen Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten aufeinander: Ein Diener, der für das Varieté-Theater lebt, ein kommunistischer Hofmeister, eine exotische Frau mit einem großen Hang zu schönen Männern, ein Wirtschaftsboss, der seine besten Jahre hinter sich hat, eine Dame von Welt und eine Bettlerin mit Karriere-Ambitionen. Dass die Welt vor seiner Haustür im Umbruch ist, kümmert den Industriellen-Spross Maxime wenig – lieber widmet er sich den schönen Dingen des Lebens.

1927 hatte der Autor und Filmregisseur René Pujol mit Totte et sa chance einen Film gedreht, der auf einem Roman von Pierre Soulaine basierte. Im November 1927 wurde dem Komponisten Maurice Yvain angeboten, die Musik zu einer Bühnenadaption von Tottes Geschichte zu schreiben, mit der man bereits Anfang 1928 auf Tour gehen wollte. Der 1891 in Paris geborene Maurice Yvain wuchs in einer Musikerfamilie auf und studierte ab 1903 studierte er am Conservatoire de Paris. Als virtuoser Pianist verdiente er sich seinen Lebensunterhalt zunächst als Pianist mit Konzerten in Monte Carlo und im Pariser Cabaret Quat’z Arts. Nach dem Militärdienst komponierte er während des Ersten Weltkrieges zahlreiche Chansons, unter anderem für Maurice Chevalier. Einer der bekanntesten Chansons von Maurice Yvain ist Mon homme, der im Casino de Paris mit der gefeierten Schauspielerin und Sängerin Mistinguett zum Evergreen wurde und 1968 eine Renaissance in dem Film Funny Girl durch Barbra Streisands Interpretation des Songs My Man erfuhr.

Maurice Yvain hatte sich bereits als Komponist von Songs wie La Java oder J’en ai marre einen Namen gemacht, als er mit Yes! seinen ersten Ausflug ins Operettenfach unternahm. Neben Henri Christiné zählt er zu den Meistern dieser musikalischen Gattung und erwies sich in den 1920er Jahren als würdiger Nachfolger bedeutender Operettenkomponisten wie Hervé (1825-1982), Jacques Offenbach (1819-1880) oder André Messager (1853-1929). Yvains Jazz-Operette Yes! wurde zu einem Sensationserfolg und fand am meisten Beachtung von allen Stücken dieses musikalischen Genres.

Als eigenständige Kunstform war die Operette rund siebzig Jahre zuvor um 1948 herum in Paris entstanden. Sie wurde jedoch nicht als als „Operette“, sondern im Falle eines Einakters als „opérette bouffe“ und im Falle eines Mehrakters als „opéra bouffe“, als „bouffonnerie musicale“ oder als „folie musicale“ bezeichnet. Die „Opéra comique“ der 1830er- und 40er-Jahre – wie etwa François Aubers Le Cheval de bronze (1835) – diente als Vorbild für die ersten Operetten, die ursprünglich kurze Werke mit grotesk-frivolem Inhalt waren. Zu den ersten Komponisten dieses neuen musikalischen Genres gehörte Florimond Ronger, genannt Hervé (1825–1892), der mit Don Quichotte et Sancho Pança (1848) oder Le Petit Faust (1869) seine bekanntesten Stücke schuf. Bis heute wird die Operette aber vor allem mit dem Namen des Cellisten Jacques Offenbach in Verbindung gebracht, der damals Kapellmeister an der Comédie-Française war. Er eröffnete anlässlich der Weltausstellung in Paris im Jahre 1855 das Théâtre des Bouffes-Parisiens, an dem es ausschließlich Stücke dieser neuartigen musikalischen Gattung zu sehen gab. Allen Offenbach-Operetten gemein sind ihr Hang zur Groteske und die ins Lächerliche verzerrte Abbildung der Realität, die sich sowohl in der Figurenzeichnung, als auch im Bühnenbild und in den Kostümen der Darsteller widerspiegelte. Aufgrund ihrer leichten, eingängigen Musik und ihrer oft sentimentalen Handlung gehört die Operette bis heute zu einer unterschätzten musikalischen Gattung. Dabei diente sie in Wahrheit in vielerlei Hinsicht als Vorbild für den Dadaismus der 1920er und für das Absurde Theater der 1950er Jahre.

Anlässlich des 200. Geburtstags des bedeutenden Operetten-Komponisten Jacques Offenbach im Jahr 2019 feierte die Stiftung Palazzetto Bru Zane den Meister des musikalischen Wortwitzes in der Saison 2018/ 2019 unter anderem mit diversen neuen CD-Aufnahmen, die jeweils auf einem Mitschnitt eines von der Stiftung initiierten Konzertes basierten. Darüber hinaus widmete sie dem Musiker zu seinem Jubiläum das Festival Palazzetto Bru Zane in Paris, das Anfang Juni mit „Meister Péronilla“ im Pariser Théâtre des Champs-Elysées eröffnet wurde.

 

Ihren Forschungsschwerpunkt hat die 2009 von der französischen Ärztin und Mäzenatin Nicole Bru gegründete Stiftung auf die Musik der französischen Romantik gelegt.  Im Jahr 2006 erwarb die Fondation Bru den zwischen 1695 und 1697 von Marino Zane erbauten Palazzetto und ließ ihn für mehrere Millionen Euro von Grund auf sanieren, um einen Ort zu schaffen, der sowohl mit der Vergangenheit verbunden, als auch eine zeitgemäße Umgebung für die Musik bietet. Die sechzehn Räume des Palazzetto umfassen heute einen Konzertsaal mit bis zu hundert Plätzen und einen schalldichten Proberaum.

Mit der 1927 uraufgeführten Jazz-Operette Yes! weitet die Stiftung ihr Engagement auf die post-romantischen Komponisten wie Maurice Yvain oder Henri Christiné aus. „Ihre Stücke sind es alle Wert, wiederentdeckt zu werden“, sagt Alexandre Dratwicki, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums Palazzetto Bru Zane, zu Beginn unseres Gesprächs in München Ende Januar 2020.

Was ist der Hauptgrund dafür, dass so viele Komponisten und Musikstücke, die im Zeitraum zwischen 1780 und 1920 in Frankreich entstanden, heute kaum mehr bekannt oder vergessen sind? 

Das liegt vor allem an der damaligen Fokussierung auf Paris als musikalischer Metropole des Landes. Dort zentrierte sich das musikalische Interesse wiederum auf die Oper, die ComédieFrançaise, die Opéra Comique und das Téâtre-Italien. Wenn jemand wie Jacques Fromental Halévy über Jahre hinweg als Chorleiter an der Opéra Comique Einfluss auf ein Haus nimmt, dann hat es die Moderne schwer, dort Einzug zu halten. Daher haben die französischen Komponisten immer mit einiger Verspätung auf die musikalischen Neuerungen in anderen europäischen Ländern reagiert. Sinfonien wie die von Théodore Dubois, der im Stil von Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte, waren in Frankreich erst in den 1860er Jahren, die Musik von Richard Wagner erst in den 1890er Jahren in den Pariser Opernhäuser und Konzertsäle zu hören.

Gab es einen Musikstil, bei dem Frankreich damals eine richtungsweisende Rolle einnahm? 

Ja, im Bereich des Symbolismus mit ihrem Hauptvertreter Claude Debussy.

Warum ist es wichtig, die Musik von Komponisten der französischen Romantik wie Reynaldo Hahn, Benjamin Godard oder Louise Farrenc für das heutige Musiktheater- und Konzertpublikum wiederzuentdecken?

Weil ihr Musik sehr interessant ist. Den Komponisten der französischen Romantik ging es mehr um den Text und seine Interpretation, als um kraftvolle Harmonik und reiche Melodik.

Dabei scheint gerade das große Melodrama auf der Bühne bis heute das zu sein, was die Zuschauer am meisten an einer Operninszenierung oder einem Konzert lieben. 

Ja, weil sie über viele Jahre hinweg daran gewöhnt wurden. Inhaltlich gibt so manche Oper oft nicht genug her – da muss man vermeintlich mit einer großen Show dagegen halten.

Was ist für sie der entscheidendste Grund dafür, dass ein musikalisches Werk sein Publikum auch tatsächlich erreicht? 

Die Wahl des geeigneten Interpreten. Das bedeutet für die Stiftung Palazzetto Bru Zane jedoch nicht, ausschließlich auf bekannte Namen zu setzen. Unsere Herangehensweise bei der Suche nach den geeigneten Sängern ist insofern speziell, weil sich die jeweilige Stimme auch für eine CD-Aufnahme eigenen muss. Statt einem mächtigen Klangvolumen sind vor allem Präzision und ein Gesang voller Strahlkraft gefragt.

Welche Sänger oder welche Sängerin hat sie in letzter Zeit in dieser Hinsicht am meisten beeindruckt? 

Unter anderem die Sopranistin Hélène Guilmette als Mahénu in L‘île du rêve. Es erfüllt mich mit großer Freude, wenn ich ihr zuhöre! Hélène ist im Laufe ihrer langjährigen Karriere stets sehr behutsam mit ihrer Stimme umgegangen, was sich jetzt auszahlt.

Die Inszenierung von Reynaldo Hahns 1898 uraufgeführter Oper ist das neueste Projekt der Stiftung Palazzetto Bru Zane und des Münchner Rundunkorchesters. Eine spannende musikalische Verbindung, die bereits seit 2015 zwischen den beiden Institutionen besteht.

Wir sind sehr glücklich über diese Kooperation, die 2015 mit dem ersten gemeinsamen Projekt Charles Gounods Oper „Cinq-Mars“ ihren Anfang nahm. Es ist immer wieder ein erhebender Moment für mich, wenn ich wie in dieser Woche die Proben zu der Oper L‘île du rêve, mit der ich mich zuvor sehr intensiv theoretisch auseinandergesetzt habe, vor Ort erleben darf.

Ich durfte gerade eine hinreißende Aufführung von Maurice Yvains Jazz-Operette „Yes!“, die in Kooperation mit der Stiftung Palazzetto Bru Zane entstad in Paris erleben dürfen. Warum hat es diese Operette nie auf eine deutsche Bühne geschafft? 

Das Libretto und die Songs sind textlich so fein gearbeitet, dass sich die vielen Wortwitze nur sehr schwer in eine andere Sprache übersetzen lassen. Und im Gegensatz zur Oper lesen die Zuschauer bei der Operette ungern Übertitel während einer Aufführung mit.

War Maurice Yvain der Jacques Offenbach der 1920er Jahre? 

Er steht in seiner Art und Weise, die Operette als subversives, unbändiges Genre zu verstehen, auf jeden Fall in der Tradition seines berühmten Vorbilds. Wie Henri Christiné oder Reynaldo Hahn ließ sich auch Maurice Yvain in seinen Kompositionen von den Klängen des Jazz und des Foxtrott inspirieren – und sie hatten Allround-Talente wie Josephine Baker im Kopf, als sie ihre Figuren für ihre Operetten schufen. Zwischen 1920 und 1939 entstanden so in kürzester Zeit eine große Anzahl an sogenannten „Comédies musicales“ in Frankreich.

Warum haftet der Operette bis heute oft ein verstaubtes Image an? 

Gerade in Deutschland wurden die Libretti der jeweiligen Stücke meist stark gekürzt und die Operetten damit auf ein paar schmissige Songs reduziert. Viele progressive, politische und subversive Inhalte des gesprochenen Textes gingen so verloren. Und das bei einer Kunstform, in der die Musikanteile gerade einmal ein Drittel eines gesamten Stücks ausmachen! Wir von der Stiftung Palazzetto Bru Zane bezeichnen daher die von uns in Auftrag gegebenen Produktionen als „Opéra bouffe“ oder „Opéra comique“, um die Qualität der Kunstform Operette zu unterstreichen.

Worauf legt die Stiftung in Bezug auf die in Kooperation mit ihnen entstehenden Inszenierungen dieser „Opéra bouffes“ oder „Opéra comiques“ besonderen Wert? 

Auf die modernen Aspekte des jeweiligen Stücks. Das bedeute jedoch nicht, dass man eine Jazz-Operette, die im Paris der 1920er Jahre spielt, plötzlich auf den Mond verlegen muss.

Gerne wird der Operette heute vorgeworfen, dass sie sexuelle und rassistische Stereotype bediene.

Ich würde sagen, sie spielt viel mehr mit ihnen. Das deutsche Publikum unterscheidet sich übriges vom französischen, wenn es um die Wahrnehmung sexueller Anzüglichkeiten auf der Bühne geht. In Frankreich kann und darf man alles offen aussprechen – die zur Schau gestellte Nacktheit hingegen gilt als Affront. In Deutschland verhält sich das oft andersherum.

Nicht nur L’île de rêve, sondern auch die Inszenierung der Jazz-Operette Yes! zeichnet sich durch das meisterliche Spiel der jeweiligen Sängerinnen und Sänger aus, die ihre Rollen mit der richtigen Mischung aus Virtuosität, Ironie und tänzerischer Leichtigkeit ausfüllen. Die Besonderheit von Maurice Yvains Jazz-Operette liegt vor allem darin, dass sie für zwei Klaviere konzipiert wurde. Die beiden Pianisten Léon Kartun und Raffit der Weltpremiere trugen im Jahr 1928 durch ihr virtuoses Spiel unter anderem dazu bei, dass diese Operettenproduktion zu einem so großen Erfolg in Frankreich wurde.

Für mich war der Operettenabend in Paris im Januar 2020 in jeder Hinsicht ein Erweckungserlebnis! Die Inszenierung Yes! ist nicht nur eine Hommage an das Lebensgefühl der 1920er Jahre, sondern erzählt ebenso viel über soziale Ungleichheit und die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen. Den Sängerinnen und Sängern gelingt es, den richtigen Ton zwischen Ernsthaftigkeit, Ironie und Überzeichnung anzuschlagen und ihren Rollen dadurch eine große Tiefe zu verleihen. Ein musikalischer und schauspielerischer Hochgenuss, der neugierig macht auf weitere Stücke aus dem Universum der Jazz-Operette.

Lieber Herr Dratwicki, ich danke Ihnen für das spannende Gespräch in München und freue mich, bald wieder eine Inszenierung des Palazzetto Bru Zane auf der Bühne erleben zu dürfen! 

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Mehr Infos über die Arbeit des Palazzetto Bru Zane: 

https://bru-zane.com/

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