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Bühnengeflüster Interviews

#Interview mit dem Hornisten Christian Loferer

© Slavica Ziener

Die Bayerische Staatsoper, der Wank oder eine große Konzerthalle: Als virtuoser musikalischer Grenzgänger ist der Hornist Christian Loferer seit vielen Jahren erfolgreich auf den unterschiedlichsten Bühnen unterwegs. Ein Gespräch über seine Leidenschaft für die klassische Musik, Sport, Selbstreflektion und gutes Steak.

Es war ein wunderschöner, aber eisig kalter Juni-Abend, an dem ich Christian Loferer im vergangenen Jahr zum ersten Mal live auf der Bühne erlebte. Als meine Mutter und ich aus der nordöstlich von Garmisch-Partenkirchen auf den 1780m hohen Wank führenden Wankbahn stiegen, erwartete uns dort ein Begrüßungskommittee in Form von vier Alphörnern.

Mit dem Ruf des Alphorns begann das Konzert der Munich Opera Horns im Rahmen des Richard Strauss Festivals 2018. 2007 traten die Hornsolisten des Bayerischen Staatsorchesters zum ersten Mal als eigenständiges Ensemble in Erscheinung: Nun spielten die sechs Hornisten und zwei Hornistinnen auf dem Gipfel des Wank Arrangements von Bach bis Piazzolla und eine „Rosenkavalier-Suite“. Da sich der Klang der Hörner durch die extreme Windstärke auf der Terrasse der Sonnenalm sofort in alle Richtungen hin verflüchtigt hätte, fand das Konzert der Munich Opera Horns im Inneren des Gasthauses statt.

Das Horn hat eine lange Tradition im Bayerischen Staatsochester, einem der ältesten und besten Orchester weltweit: Bereits 1706 wurden die ersten Hornisten von Kurfürst Max Emanuel III. fest an der Bayerischen Hofkapelle angestellt. Derzeit gehören dem Orchester neun Hornistinnen und Hornisten an – unter ihnen Christian Loferer. Er ist 1981 in Schleching im Chiemgau geboren und erhielt seinen ersten Hornunterricht an der Musikschule Grassau, einer ganz besonderen Talentschmiede, die überdurchschnittlich begabte junge Musiker wie Christian Loferer oder Stefan Dettl, den Frontmann der Band LaBrassBanda, entdeckte und förderte.

An die erste Begegnung mit seinem Instrument im Alter von neun Jahren kann sich Christian Loferer noch sehr gut erinnern: „Ich hatte eigentlich ein Jagdhorn im Kopf und war schon etwas enttäuscht, als ich den Instrumentenkoffer öffnete“. Doch schon bald sollte sich herausstellen, dass er mit dem Horn die richtige Wahl getroffen hatte und dass Musik für ihn mehr war, als ein mit großer Leidenschaft betriebenes Hobby. Christian Loferer begann, Horn bei Johannes Ritzkowsky und Wolfgang Gaag in München zu studieren und Orchestererfahrungen im Bayerischen Landesjugendorchester zu sammeln. Als Jugendlicher wurde er unter der Leitung von Claudio Abbado Mitglied im Gustav Mahler Jugendorchester und im Lucerne Festival Orchestra. Mit dem Bläserquintett PentAnemos, das 2004 von Akademiestipendiaten der Münchener Philharmoniker und der Bayerischen Staatsoper gegründet wurde, gewann Christian Loferer mehrfach Preise bei internationalen Wettbewerben wie 2007 den zweiten Preis beim Internationalen Bläserquintett-Wettbewerb Henri Tomasi im französischen Marseille. 2011/2012 folgte die Aufnahme des Quintetts in die Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler des Deutschen Musikrats. Konzerttouren führten die Musiker unter anderem nach St. Petersburg zum internationalen Musical Olympus Festival, in den Pariser Louvre, nach Zentralamerika und die Ukraine. Zu dieser Zeit war Christian Loferer bereits Mitglied des renommierten Bayerischen Staatsorchesters, dem er seit 2005 angehört. Neben seinem Engagement für das PentAnemos-Ensemble gründete er 2008 zusammen mit vier anderen Musikern das Blechbläser-Quintett munich brass connection.

Selten habe ich jemanden so leidenschaftlich über Musik allgemein und über sein Instrument im Speziellen in einem meiner Interviews sprechen hören, wie Christian. Er ist ein Grenzgänger zwischen musikalischen Welten, der sich in der Volksmusik genauso zu Hause fühlt, wie bei der Aufführung einer Wagner-Oper oder einem Konzert mit Konstantin Wecker. Denn seit dem vergangenen Jahr tritt Christian gemeinsam mit dem Singer-Songwriter und dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie regelmäßig im Rahmen von Weckers „Weltenbrand“-Tour auf. Auch mit der Band der Singer-Songwriterin Gudrun Mittermeier oder zusammen mit den Bananafishbones konnte man Christian in den vergangenen Jahren immer wieder auf der Bühne bewundern.

Und dann ist da noch das Alphorn, mit dem der leidenschaftliche Musiker regelmäßig solistisch auftritt. Im August 2019 war ich dabei, als die Uraufführung des von Christian Loferer komponierten Jakobsruf für Alphorn im Rahmen der AMMERSEErenade im Kircherl St. Jakob in Schondorf am Ammersee stattfand. Ein beeindruckendes Erlebnis, das nur von einem Alphorn-Einsatz von Christian bei einem seiner Konzerte in diesem Jahr übertroffen wurde: Im Juni eröffnete und beendete er das Konzert NATURFREIHEIT im Rahmen des im Chiemgau stattfindenden klassischen Musikfestivals NIGHTINGALE I natur I kultur mit einem so atemberaubend schönen Alphorn-Solo, dass selbst die aufgeregt zwitschernden Vögel in der Bootshalle am Ufer von Prien am Chiemsee für einen Moment innehielten.

 

Ich traf Christian vor einigen Wochen in der Brasserie L’Atelier am Isartor zu einem ausführlichen Gespräch über seine vielen musikalischen Leidenschaftlichen, Sport und das richtige Essen vor einer Wagner-Oper.

Hast du dich schon mal abends im Orchestergraben der Bayerischen Staatsoper gefragt, wie es wäre, gerade jetzt am Bratschenpult zu sitzen?

Ich habe mir eher vorgestellt, wie es sich im Orchestergraben für die Kontrabassisten und Schlagzeuger anfühlen mag, weil sie nichts von der Bühne sehen können. Natürlich wissen sie, was sich über ihren Köpfen abspielt – aber für mich persönlich ist es sehr wichtig, dass ich zusätzlich zur Musik auch noch ein Bild im Kopf habe. Wenn Sophie und Octavian bei der Rosenübergabe in der „Rosenkavalier“-Inszenierung nur wenige Meter von dir entfernt ihr wunderbares Duett singen, bin ich bereits ergriffen, wenn ich mir diesen Moment nur vorstelle. Ich muss mich vor lauter 3D-Effekten manchmal während einer Aufführung disziplinieren, um nicht zu viel Kontakt zur Bühne zu suchen. Denn ansonsten kann es passieren, dass man erst in Takt 15 merkt, dass die 10 Takte Pause längst vorbei sind.

Näher als ihr Musiker im Orchestergraben kommt niemand mehr an das Bühnengeschehen heran. Man hat als Zuschauer das Gefühl, dass ihr förmlich in der Musik aufgeht.

Erst vor wenigen Tagen haben wir im Wiener Konzerthaus das 1. Akademiekonzert unter Kirill Petrenko in dieser Saison gespielt. Da sitzt man neben dem Bass und spürt jede Vibration, die sich auf das Podium überträgt. Erlebnisse wie diese sind es, weswegen ich meinen Job so liebe.

Glaubst du, dass klassische Musiker im Moment vor allem deshalb immer wieder außergewöhnliche Konzerträume aufsuchen, um dem Zuschauer das Gefühl dieser vollkommenen Verschmelzung mit der Musik zu vermitteln?

Ich glaube schon. Es gibt sogar die Situation, dass man als Musiker um das Publikum herumsitzt und die Zuhörer dadurch ein noch intensiveres Klangerlebnis haben, als wir selbst.

Welches Konzert außerhalb eines klassischen Konzertsaals ist bei dir besonders im Gedächtnis geblieben?

Mir fallen da sofort die Sitzkissenkonzerte der Bayerischen Staatsoper ein, die in regelmäßigen Abständen in der Parkett-Garderobe des Nationaltheaters stattfinden. Kinder sind im positiven wie im negativen Sinne gnadenlos, weil sie ihre Empfindungen ungefiltert wiedergeben. Auf die Frage hin, was der Christian da wohl in der Hand hält, meinte ein Kind: „Ich weiß es: Ein Einhorn“! Oder: „Ein Elefantenrüssel“. Einfach herrlich, diese Assoziationen!

Es wäre schön, wenn klassische Konzerte für Erwachsene auch manchmal so unverkrampft ablaufen würden…

Absolut, denn bei den Kinderkonzerten geht es weniger darum, beim Publikum Eindruck durch technische Perfektion zu erwecken, sondern darum, die Zuhörer emotional zu erreichen.

Das ist mir persönlich sowieso am wichtigsten. Auch während einer Finalrunde beim renommierten ARD-Musikwettbewerb erreicht mich nur derjenige Musiker, bei dem sich die Liebe für sein Instrument auf die Zuhörer überträgt.

Absolut. Ich begreife Musik als ganzheitliche Angelegenheit. Es ist aber meiner Meinung nach auch sehr wichtig, immer auf volles Risiko zu gehen – ohne doppelten Boden und Sicherheitsnetz. Dann darf auch mal was daneben gehen.

Bist du schon immer so risikofreudig gewesen?

Ja, ich würde mich schon als Draufgänger bezeichnen. Das kommt wahrscheinlich von meiner Leidenschaft für Sportarten wie Skifahren, Paragliding oder Surfen. Da kommt man schnell in Bereiche, in denen man sich außerhalb der eigenen Komfortzone bewegt.

Hat dich dieser sportliche Ehrgeiz in Bezug auf deinen Beruf als Musiker geprägt?

Definitiv. Die Waghalsigkeit, durch die sich ein Sportler auszeichnet, passt sehr gut zum Beruf des Musikers, der immer auch ein Drahtseilakt ist.

Inwiefern?

Uns eint nicht nur der Ehrgeiz, die Disziplin und die intensive mentale Vorbereitung auf den Auftritt, sondern auch der Umgang mit Rückschlägen. Ein falscher Ton im falschen Moment hat schon so manchen Musiker aus der Bahn geworfen.

Wie geht man mit diesen Niederlagen um?

Am besten mit Humor. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich eine Woche vor meinem Probespiel an der Bayerischen Staatsoper als einziger Musiker einen Ton in die Generalpause einer „Fledermaus“-Aufführung hineingesetzt habe. Ich war damals fix und fertig mit den Nerven, während meine Kollegen die ganze Sache sehr amüsant fanden. Unser derzeitiger Generalmusikdirektor Kirill Petrenko nimmt Fauxpas übrigens gerne mit Humor und ganz ehrlich: Wir stehen alle nicht im OP im Klinikum Großhadern und operieren am offenen Herzen.

Wie hat dein Instrument, das Horn, als Kind überhaupt zu dir gefunden? Deine Wahl hätte ja auch auf die Trompete oder die Geige fallen können.

Ich war als Kind zu Gast bei einem Freund und erfuhr dort von der Gründung eines neuen Musikvereins. Der damalige Kapellmeister unseres Ortes war zugleich Bürgermeister und wurde in dieser Funktion abgewählt. Er drohte daraufhin an, dass der jährlich stattfindende Jahrestag des Krieger- und Soldatenvereins ohne Musik stattfinden würde. So kam es zur Gründung eines neuen Musikvereins, für den man Mitglieder suchte. Ich komme nicht aus einer Musikerfamilie, hatte aber bei der Erwähnung des Begriffes „Horn“ sofort eine Assoziation mit Wald, Natur und der Jagd. Als ich den Koffer mit meinem Instrument öffnete, war ich ziemlich enttäuscht, weil ich eigentlich ein Jagdhorn erwartet hatte.

Warum stellte sich das Horn aber nachher als die absolut richtige Wahl für dich heraus?

Ich bin durchaus eine Rampensau und stehe zur rechten Zeit gerne in der ersten Reihe. Aber dann trete ich auch wieder mit Freuden in die zweite Reihe zurück, wo man mehr Platz hat. Das Horn übernimmt im Orchester bei einigen Konzerten oder Opern eine federführende oder sogar eine Schlüsselrolle. Bei anderen verschmilzt es viel mehr mit dem Orchester. Ich liebe die Vielseitigkeit des Horns und finde es wunderbar, dass es ein Instrument mit einer langen Tradition ist.

Kannst du dich noch an das erste Stück erinnern, dass du als Kind auf dem Horn vorgespielt hast?

Ich glaube, das war „Alle Jahre wieder“. Später habe ich gerne Ausreden gefunden, wenn es seitens meiner Eltern hieß: „Ach komm, nur ein Lied. Weil Weihnachten ist!“

Und heute präsentierst du ihnen zu jedem Weihnachtsfest eine musikalische Einlage?

Ganz bestimmt nicht (lacht). Ich fühle mich da immer wie ein Tanzbär, der vor versammelter Mannschaft Kunststückchen vollführen muss. Das ist ein etwas harter Vergleich, aber ich bin manchmal einfach sehr froh, wenn ich jenseits meiner rund 160 Konzerte im Jahr und den vielen Proben einfach auch mal nur ich selbst sein kann und nicht überall mit meiner Musik in Verbindung gebracht werde.

Wie wichtig ist die sechswöchige Sommerpause für dich bei diesem enormen Pensum?

Sie ist eine sehr wichtige Regenerationszeit für mich. In dieser Zeit spiele ich mein Instrument so gut wie gar nicht. In diesem Jahr war die Sommerpause erstmals von einigen wenigen Konzerten unterbrochen.

Wie gelingt es einem, sich so zu konditionieren, dass die Leidenschaft für die Musik bei all diesen Konzerten und Proben nicht verloren geht?

Für mich war und ist der Sport immer noch ein wichtiger Ausgleich. Je nach Möglichkeit versuche ich jeden zweiten Tag Sport zu machen. Besonders viel Kraft tanke ich beim Laufen – wenn es darum geht, einen CD-Titel zu finden oder ein kompliziertes anstehendes Gespräch in Gedanken noch einmal durchzugehen, dann hilft mir diese Art der Bewegung sehr dabei.

Genau aus diesem Grund habe auch ich vor vielen Jahren mit dem Joggen begonnen. In einer großen Brainstorming-Runde im sauerstoffarmen Meeting-Raum kommen mir nämlich längst nicht so viele kluge Gedanken, wie draußen vor der Tür.

Man bekommt durch die vorbeiziehende Landschaft einfach sehr guten Input – manchmal fast so viel, dass man die vielen Gedanken gar nicht behalten kann, bis man wieder zu Hause ankommt.

Ich mache mir meistens direkt nach Joggen kleine Notizen, damit sich die Gedanken nicht verflüchtigen. Hörst du eigentlich Musik, wenn du läufst?

Nein, das würde mich viel zu sehr ablenken. Ich mag es, dabei ganz für mich zu sein.

Ich bin gerade von einer Wanderreise in Albanien zurückgekehrt und fand es unglaublich, was für intensive Gespräche sich oben auf dem Berg ergeben haben.

Man kehrt dabei zurück zum Essentiellen. Und es ist erstaunlich, wie unwichtig alles andere plötzlich wird.

Wie sieht deine Vorbereitung auf wichtige Konzerte neben ausreichend Sport aus?

Ich versuche, am Nachmittag davor möglichst nichts zu tun – auch nicht einkaufen zu gehen oder ähnliches. Denn ich bin leider sehr sensibel für alles, was sich um mich herum abspielt. Egal, ob ich einen neuer Sticker an einem Laternenpfahl entdecke, gerade ein überwältigendes Konzert gespielt habe oder ob sich eine schlechte Stimmung in einem Raum anbahnt.

Dieses Gefühl der Reizüberflutung kenne ich allzu gut. Da hilft nur Ruhe und Einsamkeit, um die ganzen positiven und negativen Eindrücke, die andere Menschen erst gar nicht wahrnehmen, zu verarbeiten.

Manchmal klappt diese Reflexion über das gerade Erlebte auch gemeinsam mit meinen Kollegen sehr gut. Wir saßen zum Beispiel nach unserem Konzert im Wiener Konzerthaus noch bis in die frühen Morgenstunden zusammen im „Santo Spirito“ – in diesem Restaurant eines Klassikliebhabers läuft von früh bis spät klassische Musik. Der Betreiber meinte: „Wenn andere Orchester bei mir zu Gast sind, drehen sich die Gespräche meistens um Immobilienkäufe und ähnliches“. Da geht es bei uns schon lustiger zu!

Die Blechbläser gelten allgemein als sehr gesellige, gemütliche Typen. Inwiefern unterscheidet sich eure Instrumentengruppe im Orchester stark von anderen?

Wir sind geborene Teamplayer. Als Geiger wirst du hingegen während der Ausbildung eher zum Solisten erzogen.

2007 haben deine Kollegen und du die „Munich Opera Horns“ gegründet. Warum glaubst du ist es gerade eurer Instrumentengruppe gelungen, ein so erfolgreiches Ensemble hervorzubringen?

Es ist schon erstaunlich, dass 10 Musiker neben ihrem Engagement im Bayerischen Staatsorchester Zeit in ein eigenes Projekt investieren. Jeder muss bei uns mal das Heft in die Hand nehmen und bereit sein, immer wieder im Team zu neuen Ufern aufzubrechen. Uns ist es sehr wichtig, nicht nur Verwalter unserer Kunst zu sein.

© Slavica Ziener

Euer Ensemble organisiert sich also ganz basisdemokratisch selbst?

Zum größten Teil ja. Ich bin schon ein wenig der Motor des Ganzen, indem ich Veranstalter anschreibe und Auftritte vereinbare. Darüber hinaus aber engagieren wir uns alle für unser gemeinsames Projekt – der eine schreibt mal einen Text, der andere kümmert sich um die Noten, der dritte um die Räumlichkeiten. Wenn immer nur einer von uns aktiv wäre, gäbe es uns nicht schon seit so langer Zeit.

Im Bayerischen Staatsorchester seid es nicht ihr selbst, sondern eure Dirigenten, die den Takt vorgeben. Welche Dirigenten haben dich in deiner langjährigen musikalischen Laufbahn besonders geprägt?

Das war einmal Claudio Abbado während meiner Zeit im europäischen Gustav Mahler Jugendorchester. Er hat meine Vorstellung von Dynamik in der Musik vollkommen neu definiert. Plötzlich merkte ich, wie leise ein Piano sein kann und welch großen Spaß es macht, sich aus seinem eigenen Komfortbereich hinaus zu bewegen. Der zweite sehr inspirierende Dirigent für mich war Zubin Mehta während meiner Anfangszeit beim Bayerischen Staatsorchester. Dieser Mann hat einfach eine unglaubliche Aura. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie wir im Jahr 2005 im Indira Gandhi Stadium in Neu-Delhi gastiert haben. Nach dem Konzert kamen Menschen auf mich zu, die noch nie eine Tuba oder ein Horn gesehen hatten. Zubin Mehta gelang es wie keinem zweiten, einen Klang zu modellieren und ein Stück als einen großen dramaturgischen Bogen zu denken. Gepaart mit einer unglaublich menschlichen Größe und Herzlichkeit, zählt er für mich zu den beeindruckendsten Menschen, die ich je getroffen habe. Der dritte Dirigent, der mich gerade im Moment sehr prägt, ist Kirill Petrenko. An ihm bewundere ich seinen unermüdlichen Einsatz für die Sache, seine Akribie und seine Fähigkeit, musikalische Extreme auszuloten.

Ich habe gerade einen sehr spannenden Dirigier-Workshop, der vom Siemens Arts Program im Rahmen der Salzburger Festspiele organisiert wurde, hinter mir. Seitdem bewundere ich die Fähigkeit, aus so vielen Musikern ein wohlklingendes Ensemble zu bilden, noch mehr.

Wenn es ein Dirigent dann noch schafft, für eine gewisse Flexibilität und Offenheit zu sorgen und nicht einfach nur von uns Musikern zu verlangen, dass man bei jedem Auftritt die „Play“-Taste drückt, dann kann ihm etwas Einzigartiges mit einem Orchester gelingen.

Wir sehen dich also bald auf der Bühne neben den Sängern, anstatt im Orchestergraben?

Wer weiß (lacht). Eine tragende Bariton-Rolle wie der Fliegende Holländer oder Wotan in Wagners „Ring der Nibelungen“ reizt mich schon sehr.

Es ist noch nicht zu spät: Schließlich haben so manche männliche Gesangskarrieren erst spät begonnen.

Übrigens nahm auch so manche Hornisten-Karrieren später eine überraschende Wendung: Manche wurden Dirigenten, andere Tenöre. Wenn ich selbst aber jetzt auch noch mit dem Singen anfange, hat mein Tag noch weniger Stunden.

Neben deinem Engagement im Bayerischen Staatsorchester kann man dich regelmäßig auch in vielen anderen Zusammenhängen auf der Bühne zu erleben: Zum Beispiel im Rahmen der sehr beliebten Reihe „Opern auf Bayerisch“ oder im vergangenen und in diesem Jahr als Gast in der Band des berühmten Liedermachers Konstantin Wecker. Inwiefern beeinflussen dich diese Ausflüge in andere musikalische Welten in deiner Karriere als klassischer Musiker?

Ich kann jedem klassischen Musiker nur ans Herz legen, immer wieder in andere Genres hinein zu schnuppern und sich auch von anderen Kunstgattungen wie dem Theater oder der Bildenden Kunst inspirieren zu lassen. Denn in der Oper ist der Rahmen des Möglichen durch die exakte Notierung sehr eng gesteckt. Die gemeinsamen Auftritte mit Konstantin Wecker gehören zu den spannendsten Dingen, die ich in den letzten Jahren gemacht habe. Jenseits seiner durchaus streitbaren Ansichten ist er ein unglaublich kreativer Geist, der sich leidenschaftlich für die Kunst – und das seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Was macht das Musizieren im Bereich der sogenannten „U-Musik“ so interessant für einen klassischen Musiker?

Vor allem die Möglichkeit, zu improvisieren und die Stimmung des jeweiligen Abends in einem Stück mit aufzunehmen. Ich habe mein Solo bei einem Konzert beispielsweise etwas anders gestaltet oder bei einem anderen Konzert eine Passage mitgespielt, die so nicht vorgesehen war.

Deine Wurzeln als Musiker liegen in der Volksmusik. In Bayern habe viele Bands wie LaBrassBanda oder Moop Mama in den vergangenen Jahren bewiesen, dass diese Musikgattung weit mehr ist, als Kitsch und Rührseligkeit.

Die Volksmusik befand sich ähnlich wie die klassische Musik lange in einem Elfenbeinturm. Es war klar definiert, was sich „Volksmusik“ nennen darf und was nicht. Die strengen Vertreter ihrer Zunft sehen dich bis heute schief an, wenn du von Noten spielst.

Wenn ich mir andere Länder so ansehe, ist der Umgang mit der eigenen Volksmusik vor allem ein deutsches Problem.

Zubin Mehta hat einmal gesagt: „Musik ist das, was man hört“. Die Volksmusik hat lange Zeit eine heile Welt in Dur transportiert – ohne Moll-Töne, ohne Dissonanzen. Für mich muss und darf in der Musik alles möglich sein. Daher finde ich es sehr gut, dass man sich gerade in der Volksmusik frei gemacht hat von allen Zwängen, ohne dabei die Tradition ausser Acht zu lassen.

Die einst kleinen, unabhängigen Bands zeichneten sich in ihren Anfängen durch ihre anarchische Spielfreude aus. Mittlerweile füllen die meisten von ihnen jedoch große Hallen und sind bei namhaften Labels verpflichtet. Siehst du in der zunehmenden Mainstreamisierung dieser neuen Volksmusik ein Problem?

Klar, die Konturen, durch die sich eine solche Band auszeichnet, werden im Zuge der Verpflichtung durch ein großes Label erst einmal glatt geschliffen und die Songs insgesamt Radio-tauglicher und damit gefälliger gemacht. Das lässt sich kaum vermeiden, aber ich finde es trotzdem schade. Viele Musiker gründen genau aus diesem Grund irgendwann ihr eigenes Label.

So wie die „Hochzeitskapelle“ mit ihren „Gutfeeling Records“. Ich kenne kaum eine bayerische Band, die trotz Preisen und großem Erfolg so authentisch geblieben ist.

Das ist das Allerwichtigste: Sich seiner Eigenheiten bewusst zu sein und sich selbst treu zu bleiben.

Wie kann man das bei all den Verlockungen, die das Musikbusiness nun einmal mit sich bringt, schaffen?

Eine gute Frage. Man braucht auf jeden Fall ein gutes Umfeld, das einem ein ehrliches Feedback gibt.

Gibt es bei dir so jemanden auf der musikalischen Ebene?

Im Gegensatz zum Sport, wo dir dein Trainer umgehend eine Rückmeldung über deine Technik gibt, fühlt es sich als Musiker an, als würde man nach der Ausbildung in ein Meer geworfen, in dem man über Jahrzehnte hinweg auf sich allein gestellt ist. Ich muss sagen, dass ich mir selbst mein größter Kritiker bin und mich ständig hinterfrage. Ich muss eher schauen, dass ich mich zu gegebener Zeit von meiner eigenen Selbstreflektion löse und in die Musik eintauche.

Nimmst du neben dem Bühnengeschehen auch das Publikum in jeder Vorstellung wahr?

Absolut! Wenn Freunde und Bekannte zu Gast in der Staatsoper sind, sagen sie immer: „Wahnsinn, ich komm zur Tür rein und du entdeckst mich gleich“.

Wie gelingt es einem als Mensch, der zu viel um sich herum wahrnimmt, einen Konzertabend, an dem man selbst nicht gut drauf ist oder an dem man keine Resonanz aus dem Publikum spürt, zu meistern?

Bei mir gibt es ein paar Tricks, gerade vor entscheidenden Konzerten. Wenn ich zum Beispiel das Bedürfnis habe, eine Banane zu essen, weiß ich, dass es heute stressig werden könnte.

Und was gibt es dann bei einer Wagner-Oper?

Ein Steak natürlich! Salat mit Putenbrust wäre in diesem Fall das Falsche. Bei Wagner braucht man etwas, das anhält.

Was ist neben einer ausgewogenen Ernährung noch wichtig in Bezug auf die Konzertvorbereitung?

Ausreichend Schlaf. Und den Weg von der eigenen Wohnung bis zur Oper nutze ich, um in Gedanken wie ein Ski-Abfahrtsläufer noch einmal die ganze Strecke im Kopf durchzugehen. Und um mir zu versichern, dass die Vorführung gut werden wird.

Von euch Musikern wird an jedem Abend, an dem wir Zuschauer euch auf der Bühne erleben dürfen, ein enormer Leistungswille abverlangt. Gab es schon einmal einen Punkt in den vergangenen Jahren, an dem du deine Grenzen in Sachen Leistungsfähigkeit deutlich gespürt hast?

Vor der letzten Sommerpause war ich schon sehr erschöpft. Neben meinen Konzerten bin ich nämlich auch noch ehrenamtlich als Orchestervorstand Ansprechpartner für alle Belange rund um unser Orchester. Da kommt selten jemand zu einem und sagt: „Das hast du aber gut gemacht“ (lacht). Im Gegensatz zu früher erkenne ich aber heute, wann ich in der Gefahr bin, meine innere Mitte zu verlieren.

Es gibt sicherlich Menschen, deren Leben sehr gleichförmig verläuft. Aber gerade die emotionalen Höhen und Tiefen sind es, die das Leben meiner Meinung nach ausmachen.

Ich lebe lieber in den Extremen, als in der Monotonie des Alltags. Denn dadurch gelingt es mir, das Leben mit all seinen Zwischentönen wahrzunehmen. Wenn ich einen schlechten Tag habe, sieht man mir das an – umgekehrt kann ich an einem guten Tag auch ungeahnte Kräfte mobilisieren.

Ich finde, dass es in der Kunst unbedingt Platz für extreme Positionen und Menschen geben muss, solange man sich unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit nicht moralisch wie ethisch fragwürdig verhält.

Es ist ein absolutes Privileg, dass wir unseren Beruf so frei und ohne Einschränkungen ausüben dürfen. Das sollte man auf keinen Fall aufs Spiel setzen.

Gäbe es ein noch einen unerfüllten Traum, den du dir in musikalischer Hinsicht in der Zukunft gerne erfüllen würdest?

Ein eigenes Projekt, das ich nicht im klassischen, sondern eher im Grenzgänger-Bereich ansiedeln würde. Ich habe noch keine konkreten Pläne.

Lieber Christian: Bei einem Terminkalender, der so voll ist wie deiner, schätze ich es umso mehr, dass du dir die Zeit für dieses ausführliche Interview für meinen Blog genommen hast! Ganz herzlichen Dank für diesen sehr interessanten Einblick in dein vielfältiges musikalisches Schaffen und ich freue mich schon sehr auf deine nächsten Konzerte – egal, ob auf dem Berg oder in der Bayerischen Staatsoper 🙂

Und zum Abschluss noch ein ganz besonderes Schmankerl: Diesen Anfängerkurs im bayrischen Schuhplattler-Tanzen mit Christian Loferer, der vor einigen Jahren in der ARTE-Sendung Karambolage zu sehen war, solltet ihr euch nicht entgehen lassen!


Mehr Infos über Christian Loferer: 

https://www.christianloferer.de/

http://www.munichoperahorns.com/

Instagram @christianloferer_horn

Facebook @ChristianLoferer

 

4 Antworten auf „#Interview mit dem Hornisten Christian Loferer“

Liebe Lena,

ich lese deine Interviews so gerne, da eröffnen sich einem immer wieder neue Welten. Toll, dass es anscheinend auch eine junge frische Szene der klassischen Musik gibt! Sehr cooler Typ, er Herr Loferer. Danke für den Einblick in sein Schaffen!

Herzliche Grüße von Anke

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