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#Interview mit der Liedermacherin Christin Henkel

Die Liedermacherin Christin Henkel © Emanuel Klempa

Die Filmkomponistin und Liedermacherin Christin Henkel singt in ihren Songs über Chia-Samen, die Facebook-Seite für die eigene Katze, die Vorzüge der Maxvorstadt, den Hashtag #Brandnewday, die Freuden der Elternzeit oder den Burnout-geplagten Surflehrer. Immer mit einem Lächeln im Gesicht und viel Ironie im Gepäck. Ein Interview über Erfolg, Claudia Schiffer, Instagram und die Vorzüge des analogen Lebens.

Als Christin Henkel mit einem zauberhaften Lächeln im Gesicht die ersten Takte am Klavier anstimmte, war die Stimmung im Saal nach wenigen Minuten wie bei einem Popkonzert. Ich erlebte die Musikerin vor rund einem Jahr zum ersten Mal im Vereinsheim Schwabing – dem Ort, wo 2013 ihr Talent als musikalische Geschichtenerzählerin entdeckt wurde.

Heiter und lieblich wirken ihre Songs über Karriere, das Erwachsenwerden, Heimatgefühle und Großstadtliebe auf den ersten Blick – bis die erste bitterböse Liedzeile erklingt. Auf sehr amüsante Art und Weise bringt Christin Henkel in ihren Songs auf den Punkt, worum sich der Alltag einer ganzen Generation wohlstandsverwöhnter Mittdreißiger dreht: Alkohol, Kleinkinder, Prokrastination, Monotonie und viel Amore. Christin Henkel erzählt in ihren Liedern mal heitere, mal melancholische Geschichten über herrlich absurde Begebenheiten des Alltags und über junge Menschen, denen es in der eigenen Filterblase immer noch am bequemsten erscheint.

Dass sie eine geborene Entertainerin ist, stellte die gebürtige Thüringerin erst in ihrer Wahlheimat München fest. Dorthin zog sie 2013, um an der Hochschule für Musik und Theater München Filmkomposition bei Enjott Schneider und Gerd Baumann zu studieren. Nach ihrem Durchbruch folgten ab 2014 Auftritte in verschiedenen Fernsehsendungen wie zum Beispiel NightWash, PufPaffs Happy Hour, Ladies Night, Nuhr ab 18 oder beim NDR Comedy Contest. Meistens war sie dabei solistisch mit eigener Begleitung am Piano oder zusammen mit dem Cellisten Juri Kannheiser auf der Bühne zu erleben. 2019 trat sie bei dem bekannten Liedermachfestival Lieder auf Banz in Bad Staffelstein auf und gastierte am Deutschen Theater München.

Neben ihren Liedprogrammen komponiert Christin Henkel Kammermusik- und Orchesterwerke für TV- und Spielfilmproduktionen

Down To EREHWON by Christin H (Komponistin)

 

Ich traf die Musikerin Anfang März 2020 abends in Schwabing bei Pizza und Vino zu einem Interview über Surfcamps, Ehrgeiz und Zufälle im Leben.

 

2019 wurde dir der renommierte Förderpreis für junge Liedermacher der Hanns-Seidel-Stiftung verliehen, vor wenigen Wochen hast den Münchner Songwettbewerb „StadtMUCke“ sowie den Sonderpreis der Münchner Philharmoniker gewonnen. Derzeit bereitest du die Aufnahmen für deine neue CD #INFAULEZNZER vor: Unglaublich, was sich bei dir gerade alles tut!

Die Geschichte mit „StadtMUCke“ ist tatsächlich sehr witzig! Als ich im Januar mit einer  Filmkomposition beschäftigt war, las ich am Tag des Einsendeschlusses der Bewerber-Songs zum ersten Mal von dem „StadtMUCke“-Wettbewerb. Die Idee für ein geeignetes Lied hatte ich schon länger im Kopf – bis 0 Uhr habe ich sie schließlich in eine musikalische Form gegossen.

Das ist so einfach möglich, wie es hier gerade klingt? 

Wenn die Grundidee steht, geht mir das Komponieren tatsächlich schnell von der Hand.

Warum schaffte es letztendlich die Maxvorstadt in deinen Songtitel und nicht das Glockenbachviertel?

Es geht hier weniger um das Stadtviertel an sich, sondern darum, dass man etwas mit einem Typen anfängt, den man gar nicht mal so gut findet. Aber er hat eben eine Wohnung in der Maxvorstadt, während man selbst in Pasing lebt.   

Als du den „StadtMUCke“-Preis in den Händen gehalten hast, dachtest du bestimmt: Ab jetzt komponiere ich immer auf den letzten Drücker.

Haha, schön wär’s! Aber so ein einzelner Song ist tatsächlich schneller geschrieben, als eine aufwändige Filmmusik mit Orchesterbesetzung.

Worin findest du die hauptsächlich die Inspiration für deine ironischen Liedtexte?

Tatsächlich bietet mein Freundeskreis sehr viel Stoff, um gute Songs zu schreiben (lacht). Und man selbst beobachtet den ganzen Tag über immer wieder viele skurrile Begebenheiten um sich herum…

Hast du ein Notizbuch dabei, wenn du dich in der Öffentlichkeit bewegst?

Nein, aber dafür notiere ich mittlerweile alles per Sprachaufnahme in mein Handy. Auf andere Leute mag das bisweilen seltsam wirken (lacht). Nicht aus allen Ideen, die ich habe, werden aber nachher fertige Songs.

Ich habe neulich eine amüsante Beschreibung deiner Person in einer Online-Rezension gelesen: „Ein ganz besonders hübsches und talentiertes, aber auch dorniges Gewächs“. Welche anderen erkenntnisreichen Dinge über deine Person durftest du in den vergangenen Jahren in den Kritiken über deine Konzerte lesen?

Die Abendzeitung hat das, was ich mache, tatsächlich einmal haargenau auf den Punkt gebracht: „Wenn sie sich ans Klavier setzt oder die Ukulele in die Hand nimmt, erwartet man Lieder von großer Liebe und Hundewelpen. Am Ende haut sie einem mit ihren Texten in die Fresse. Ganz sanft“.

Christin Henkel und Juri Kannheiser als „Die Band ohne Haare“ © Katharina Kepka

In diesem Satz klingt nicht nur Bewunderung, sondern auch ein großes Erstaunen darüber an, was sich hinter einer Frau wie dir alles verbirgt.

Ja und in diesem Fall finde ich das super und vor allem sehr positiv formuliert. In anderen Rezensionen und Situationen hat mich der Fokus auf mein Äußeres oft gestört und ich fand es total übertrieben. Mal ehrlich, ich sehe nicht aus wie Claudia Schiffer.

Deine Anfänge als Liedermacherin klingen wie ein wahrgewordener Traum: Ein einziger Auftritt im Vereinsheim Schwabing und schon kamen Anfragen von Konzertagenturen und Veranstaltern. Schließlich hast du mit dem „Kla-Ka-Son“ – dem klavierkabarettistischen Chanson – auch noch dein eigenes Genre erfunden. Boten dir weder die Popmusik, noch das Kabarett genug Ausdrucksmöglichkeiten als Sängerin und Komponistin?

Die Idee zum „Kla-Ka-Son“ wurde aus der Not heraus geboren. Es ging darum, Konzertveranstaltern Pressetexte zu meinen Abenden zu liefern und ich wusste nicht genau, wie ich mein Programm auf den Punkt bringen sollte. Es ist eine Mischung aus vielen musikalischen Genres: Chanson mit Klavierbegleitung, Popmusik, Kabarett… Da lag es nahe, sich auf die Suche nach einem neuen musikalischen Begriff zu machen, der all diese Musikstile vereint.

Die Erfindung des „Kla-Ka-Son“ sorgte für einiges Aufsehen in der Öffentlichkeit.

Ja, verrückterweise gab es plötzlich einen Artikel über mich in Deutschlandfunk Kultur, der mit „Die Erfinderin des Kla-Ka-Sons“ übertitelt war!

Du hast eigentlich Filmkomposition studiert und bist bis 2014 nur sehr selten selbst auf der Bühne gestanden. Wie kam es dazu, dass du dein Talent als Liedermacherin entdeckt hast?

Durch einen großen Zufall: 2009 lebte ich noch in Berlin, als ich im Rahmen einer Mitfahrgelegenheit den Münchner Schauspieler, Kabarettist und Musiker Moses Wolff kennen lernte.

So eine Mitfahrgelegenheit hätte ich auch mal gerne gehabt…

Das war ein absoluter Glücksfall! Als ich ein Jahr darauf nach München gezogen bin, haben Moses und ich uns angefreundet und ich war immer wieder bei seiner wöchentlichen Lesebühne „Schaumschläger“ im Vereinsheim zu Gast. 2013 meinte Moses, dass ich dort doch auch einmal selbst auftreten könnte.

Das Vereinsheim ist seit jeher eine Talentschmiede und ein Sprungbrett für junge Kabarettisten,  Liedermacher und Bands.

Es ist und bleibt für mich bis heute ein ganz besonderer Ort, weil ich dort erst gemerkt habe, wie gerne ich auf der Bühne stehe.

Wie groß war damals der Druck, ob man als Neuanfängerin vor einem Kleinkunst-erprobten Publikum bestehen kann?

Tatsächlich habe ich überhaupt keinen Druck verspürt, weil ich immer wusste, dass es da noch meine Arbeit als Filmkomponistin gibt.

Konntest du den großen Erfolg, den du mit deiner Musik ab 2014 hattest, bei deinem damaligen Konzertpensum überhaupt genießen? 

Nicht wirklich, denn es passierten innerhalb von kürzester Zeit so viele tolle Sachen, dass ich immer noch höher hinaus wollte. Die innere Ruhe kam erst mit dem Alter (lacht).

Könntest du dir vorstellen, deine Arbeit als Filmmusikkomponistin komplett für die Bühne aufzugeben?

Nachdem ich bereits eine Zeit lang nur mit meinem eigenen Programm unterwegs war, lautet die Antwort definitiv „Nein“. Das Gefühl, jeden Abend funktionieren und seine Musik abliefern zu müssen, habe ich als nicht besonders erfüllend erlebt.

Würdest du der Filmkomposition in Zukunft gerne wieder mehr Zeit widmen?

Auf Dauer wäre es sehr schön, wenn ich mich zu jeweils 50% meinen eigenen Projekten widmen und zu 50% als Filmkomponistin arbeiten könnte. In den vergangenen Jahren hat meine Arbeit als Liedermacherin und Buchautorin sehr viel Raum eingenommen.

Du bist sehr aktiv und engagiert in den sozialen Netzwerken unterwegs und triffst dort den richtigen Ton zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Wie findet man als Künstlerin die ideale Balance zwischen Selbstvermarktung und Spaß?

Für mich wäre es zu langweilig gewesen, Facebook und Instagram als reine Werbekanäle für meine Projekte als Liedermacherin und Komponistin zu nutzen. Ich möchte meine Follower gerne an meinem Leben abseits der Bühne teilhaben lassen, ohne dabei zu privat zu werden.

Auch wenn die sozialen Netzwerke immer wieder stark in der Kritik stehen: Für mich sind sie ein großes Geschenk, durch das ich sehr viele interessante Menschen kennengelernt habe.

Das geht mir genauso! Außerdem ist gerade Instagram einfach ein kostenloses Marketing-Tool, durch das ich mein öffentliches Image selbst steuern kann. Wichtig finde ich, dass man sich als Künstler keinen Druck macht. Ich poste auch mal fünf Tage nichts, wenn gerade nichts Spannendes bei mir passiert.

Wie kann man es deiner Meinung nach schaffen, als Künstler erfolgreich in den sozialen Netzwerken aktiv zu sein?

Man muss vor allem Lust darauf haben, die unterschiedlichen Kanäle zu bedienen. Sonst wirkt die eigene Social Media-Präsenz sehr gequält.

Wie kam es zu der großartigen Idee, deine Follower demnächst in deiner Insta-Story deine neue CD #Infaulzenzer interaktiv mit gestalten zu lassen?

Ich habe schon einmal sehr gute Erfahrungen damit gemacht, sie in Bezug auf meine neue Platte um Rat zu fragen. Bei meiner letzten CD ist mir kurz vor knapp noch ein Alternativtitel eingefallen und ich habe ihn meiner Community in den Insta-Stories präsentiert. Die Entscheidung fiel zu 70% für den ursprünglichen CD-Titel „Prokrastination“ aus.

Dein Leben sieht so gar nicht nach dem einer Faulenzerin aus..

Tatsächlich arbeite ich eine ganze Zeit lang immer sehr viel – dann mache ich aber auch wieder gefühlt einen Monat lang gar nichts. Seit ich Mutter geworden bin, hat sich allerdings viel geändert in meinem Leben. Davor fiel es mir zugegebenermaßen manchmal schwer, mich selbst zu organisieren. Es konnte passieren, dass ich um halb 11 Uhr morgens das erste Mal die Augen aufgemacht habe…

Und jetzt ist um spätestens 6 Uhr die Nacht zu Ende!

Ich denke mir so manches Mal: Was hättest du alles schaffen können, wenn du immer schon so diszipliniert gewesen wärst. Richtig faul bin ich jetzt jedes Jahr nur noch einen Monat lang im Sommer, wenn meine Familie und ich in den Surfurlaub fahren.

„Juhu berühmt! Ach nee, doch nich’“, lautet der Titel deines im Jahr 2017 beim Verlag Droemer Knaur erschienenen Buches. Ist man nicht schon längst berühmt, wenn man ein Buch veröffentlichen darf?

Haha, das ist immer Ansichtssache! Gerade schreibe ich an meinem zweiten Buch, das noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll.

Wie schwer waren die Anfänge in einer Branche, die neuen Talenten gerne mal ein bestimmtes Image verpasst, um sie optimal vermarkten zu können? 

In meinem Fall ist es nie zu einem Vertrag mit einem Major-Label gekommen, weil ich dazu viel zu widerspenstig war. Ich möchte meinen eigenen Weg in der Musikbranche gehen. Daher sind die eigenen Social Media-Plattformen für mich unverzichtbar.

Da kann ich dir nur beipflichten. Man lernt dadurch nicht nur Leute aus unterschiedlichen Bereichen kennen, sondern schafft sich auch ein Netzwerk aus Leuten, die ähnliche künstlerische Vorstellungen und Visionen haben, wie man selbst.

Die Tendenz geht für mich als Künstlerin sowieso immer mehr dahin, dass man ein kleines Team um sich herum versammelt, das einen unterstützt. Nur so kann man sich so weit wie möglich seine eigene Unabhängigkeit bewahren.

Gab es einen Künstler oder anderen Kulturschaffenden, mit dem sich bei dir über den Erstkontakt auf Instagram hinaus eine längerfristige Zusammenarbeit ergeben hat?

Nein, das lief alles analog bisher. Ich war auch nie auf Tinder, sondern hab neue Leute immer im Surfcamp kennengelernt! Aber ich bin zum Beispiel durch einen Post der Band Bittenbinder auf Instagram auf den „StadtMUCke“-Wettbewerb aufmerksam geworden.

Hast du Veronika Bittenbinder, die Gründerin der Band, auch im Surfcamp kennengelernt?

Nein, bei einer Demo (lacht). Wir kennen uns nicht persönlich, ich hatte nur einen tollen Live-Auftritt von Bittenbinder gesehen.

Euch beide könnte ich mir auch sehr gut gemeinsam auf einer Bühne vorstellen. Ich durfte dich im vergangenen Jahr mit Christoph Theussl im Vereinsheim erleben – ein kongenialer Partner für eine Liedermacherin wie dich!

Christoph und mich verbindet sozusagen eine analoge Vereinsheim-Beziehung. Wir standen dort immer wieder an verschiedenen Abenden auf der Bühne und haben schnell gemerkt, dass wir künstlerisch auf einer Wellenlänge liegen. Christoph ist für mich einer der besten Texter, die es gibt. Ich sage nur: „Jessica, du wirst von Jahr zu Jahr stressiger“…

Was zeichnet einen idealen Arbeitspartner oder eine ideale Arbeitspartnerin mehr aus: Seine oder ihre künstlerische Qualität oder der Charakter?

Ich selbst kann nur mit jemandem zusammenarbeiten, mit dem ich auch gerne zusammen abhänge. Es gibt viele sehr gute Musiker auf dieser Welt, aber meine Zeit will ich nur mit Leuten verbringen, die mir auch privat sympathisch sind.

Welche Künstler außer Christoph Theussl haben dich in den vergangenen Jahren inspiriert?

Anna Depenbusch zum Beispiel. Ich liebe diese Mischung aus Humor und Melancholie in ihren Songs. Auf internationaler Ebene finde ich den französischen Sänger Benjamin Biolay wunderbar: Er verbindet französischen Chanson mit einer Prise intelligenter Popmusik.

Wohin soll dich dein Weg als Liedermacherin und Komponisten in den nächsten Jahren führen?

Ganz konkret wünsche ich mir, dass ich meine „München-Base“ in viele andere Städte verlagern kann und dort mein Stammpublikum finde. Und ich würde gerne die Musik zu einem Film komponieren, den ich auch selbst sehr gerne ansehe. Ansonsten lasse ich mich weiterhin treiben und schaue, was sich alles Spannendes ergibt…

Liebe Christin: Unser Gespräch in München fand statt, kurz bevor der Coronavirus das Münchner Kulturleben lahmlegte. Ich wünsche dir in dieser seltsamen Zeit viel Kraft, Energie und Kreativität, damit du deine neue Platte im Herbst 2020 aufnehmen kannst! Vielen herzlichen Dank für das tolle Gespräch und alles Gute für die kommenden Wochen und Monate. Ein Hoch auf die vielen analogen Begegnungen, die wir hoffentlich danach wieder miteinander haben werden!  


Aktuell arbeitet Christin an #INFAULENZER, ihrer dritten Platte. Dahinter steckt die Idee für ein interaktives und innovatives Konzeptalbum, das von ihren Instagram-Followern aktiv mit gestaltet wird. Christin stellt in ihrer Insta-Story neue Songideen vor und ihre Fans dürfen via Abstimmung entscheiden, wie das Lied weitergehen soll. Auf Christins Instagram-Kanal könnt ihr unter @christinhenkel das Enstehen der neuen CD hautnah mitverfolgen.

Weitere Infos über die Liedermacherin findet ihr unter: 

http://www.christin-henkel.de/

Facebook @christin.henkel.music

Spotify

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