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Horizonterweiterung

Am 07. Oktober 2021 durfte ich Teil eines besonderen Social Media Meetups in Köln sein: Anlässlich der Ausstellung In die Weite luden das im Bau befindliche jüdische Museum MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln und das Kolumba Museum rund 30 ausgewählte Blogger:innen, Journalist:innen und Kulturschaffende dazu ein, die einzigartige Schau mit Werken aus der Kolumba-Sammlung, 100 Objekten aus deutschen Museen und internationalen Leihgaben individuell zu entdecken. Ein Rückblick auf einen außergewöhnlichen Abend am Ende des diesjährigen Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland„.

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Schon beim Betreten des Kolumba Museums spürte man, wie hier eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft geschlagen wird: Im Windfang des Hauses hängt eine Regenbogenfahne mit Davidstern, die der bundesweit einzige queer-jüdische Verein Keshet Deutschland e.V.  für die Ausstellung „In die Weite“ zur Verfügung gestellt hat. Dieses starke Statement für Toleranz und Menschlichkeit war die erste Station des Social Media Kulturdrinks im Kolumba Museum Anfang Oktober 2021, bei dem jeder Besucher und jede Besucherin dazu ermutigt wurden, sich auf seine oder ihre eigene Suche nach den Spuren jüdischen Lebens in Deutschland zu begeben. Im Jahre 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Dekret, in dem die jüdische Gemeinde in Köln zum ersten Mal als solche namentlich erwähnt wurde. Um die Wahrnehmung der jüdischen Kultur innerhalb unserer Gesellschaft zu stärken, beleuchtet der in Köln ansässige Verein „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.“ das ganze Jahr über verschiedene Aspekte rund um den vielfältigen Themenkomplex.

Das im September 2007 eingeweihte, nach den Plänen des renommierten Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfene Kolumba Museum in der Kolumbastraße 4 in Köln ist ein Juwel zeitgenössischer Architektur. Zumthor, zu dessen bekanntesten Bauten unter anderem das Kunsthaus Bregenz und der Pavillon im Garten der Serpentine Gallery in London zählen, konzipierte das Kölner Kunstmuseum des Erzbistums Köln als einen Ort, an dem die 2000-jährige Geschichte des Ortes für die Besucher spürbar wird, ohne dass die spätgotische Kolumba-Kirche dafür rekonstruiert werden musste. Zumthor entwickelte seinen Neubau fugenlos auf den Ruinenwänden des ehemaligen Gotteshauses – eine Herausforderung, da er und sein Team sich an keinen baulichen Vorbildern orientieren konnten.

In den vergangenen Jahren hat das neue Kunstmuseum des Erzbistums Köln aufgrund seiner ungewöhnlichen Ausstellungskonzepte und seiner kunstpädagogischen Vermittlungsarbeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bis heute steht das 1853 vom „Christlichen Kunstverein für das Erzbisthum Köln“ gegründete Diözesanmuseum unter katholischer Trägerschaft: Als Schnittstelle zwischen Museum und Sakralbau arbeitet man seit den 1990er Jahren daran, sakrale und zeitgenössische Kunst in einen spannenden Dialog miteinander zu bringen.

Der Direktors des Kolumba Museums, Dr. Stefan Kraus, begreift den spektakulären, lichtdurchfluteten Bau mit seinen lichtgrauen Wänden aus Backstein und Lehmputz und seinen Böden aus Jurakalk als Resonanzkörper, den die Besucher bei jeder Ausstellung anders wahrnehmen dürfen. In diesem Jahr verwandelte sich sein Museum beispielsweise in eine große Tanzfläche: Im Rahmen der Ausstellung Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir, die in Kooperation mit Tanz Köln entstand, fand die Choreografie Einzug ins Museum. In acht monografischen Kapiteln, die in einer öffentlichen Aufbauphase fortlaufend erweitert wurden, gingen die Ausstellungsmacher:innen unter anderem der Frage nach, welche Rolle körperliche Erfahrungen und Erinnerungen bei der Wahrnehmung der Welt spielen und welche Spuren choreografischen Denkens in der Kunst zu finden sind. Konzipiert wurden die einzelnen Kapitel von international bekannten Choreograph:innen wie Anne Teresa de Keersmaeker oder Hannah Villiger. Stefan Kraus erzählte begeistert von der 24-stündigen Dauerperformance NEW OCEAN SEA CYCLE, die im August 2021 zwischen dem Auf- und Abbau zweier Jahresausstellungen im Kolumba Museum stattfand. Dabei präsentierten der Choreograf Richard Siegal und sein Ballet of Difference am Schauspiel Köln in Kooperation mit Tanz Köln mitten im Museum eine audiovisuelle Zuschauererfahrung zwischen Bewegung, Klang und Licht.

Nach Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir verwandelte sich das Kolumba Museum mit dem Beginn der Ausstellung In die Weite im August 2021 für ein Jahr in ein jüdisches Museum. Auch diese Schau entstand wie die vorhergegangenen im engen Austausch mit einem renommierten Kooperationspartner: Das im Bau befindliche „MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln“ fand hier einen Ort, an dem jüdisches Leben und die jüdische Kultur in einer selten gesehenen Vielfalt für die Besucher:innen erlebbar gemacht wird.

Die Ausstellung im Kolumba Museum erhebt weder den Anspruch, eine Neuauflage der legendären, 1963 in Köln stattgefundenen Monumenta Judaica-Schau zu sein, noch möchte sie in Konkurrenz zu den Sammlungen jüdischer Museen in Deutschland stehen. Sie richtet ihren Blick über den eigenen Horizont hinaus „in die Weite“ und präsentiert in den 21 Ausstellungsräumen eine sehr stimmungsvolle, eindrucksvolle Symbiose aus Kunstwerken, Alltagsgegenständen und historischen Zeugnissen. Dabei gelingt es den Kurator:innen des Kolumba und des MiQua Museums sowohl, die oft schmerzvolle jüdische Geschichte in den Fokus zu rücken, als auch die emotionalen Erfahrungen, die in Zusammenhang mit den verloren gegangenen oder nicht darstellbaren Aspekten jüdischen Lebens in Deutschland stehen, für die Besucher:innen erleb- und erfahrbar zu machen. Darüber hinaus werden in der Ausstellung In die Weite jüdische Perspektiven auf gesellschaftlich relevante Themen wie Migration, Trauer, Freude oder Inklusion und Exklusion präsentiert.

Statt wie bei Blogger- und Social Media-Veranstaltungen üblich in größeren Gruppen gemeinsam durch das jeweilige Museum zu laufen, gingen die Kurator:innen und die Expert:innen, die Anfang Oktober beim Social Media Meetup im Kolumba Museum zu Gast waren, einen anderen Weg und verteilten sich über die gesamte Ausstellungsfläche. Meine eigene Wahrnehmung der Ausstellungsgegenstände und der Kunstwerke, die im Rahmen von In die Weite präsentiert werden, war an jenem Abend eng mit dem Leiter des Kolumba Museums, Dr. Stefan Kraus, sowie mit den beiden MiQua-Volontärinnen Charlotte Pinon und Samantha Bornheim verknüpft. Ich folgte Samantha Bornheim zunächst in den Raum 11 im Obergeschoss des Kolumba Museums, wo sie mir mehr über die Fragmente der Bima aus der Kölner Synagoge (1270-1280), die Basis eines Lesepults vor 1349 und die Krone des Thora-Schreins vor 1349 erzählte, die dort zu sehen sind.

Die Bima – der Platz in der Synagoge, von dem aus die Tora während des Gottesdienstes verlesen wird – stand im Zentrum der mittelalterlichen Kölner Synagoge. Während eines Pestprogroms von 1349 wurde das mittelalterliche jüdische Viertel Kölns komplett zerstört – die wenigen Überreste der Bima legte man erst Jahrhunderte später bei Ausgrabungen am Rathausplatz frei. Kontrastiert werden die Fragmente unter anderem mit Gemälden des Malers Peter Tollens aus dem Jahr 1985 und mit Michael Toenges Werk Ohne Titel aus dem Jahr 1997. Auch im nächsten und in den darauffolgenden Räumen blickte ich immer wieder auf Werke, die keine Titel tragen: Raimund Girke beispielsweise verwendete die Farbe Weiß in seinem 1972 entstandenen Ei-Öl-Tempera-Gemälde als Ausdruck der Stille.

Die nicht betitelten Gemälde in der Ausstellung In die Weite spiegeln am deutlichsten das wieder, was die Kurator:innen mit ihrer Schau erreichen wollen: Sie laden die Besucher:innen dazu ein, sich einzulassen auf ein Werk, es aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und sich erst dann mit seiner kunsthistorischen Bedeutung zu beschäftigen. Der Museumsbesuch wird so zum immersiven Erlebnis, das durch die Beigabe eines Begleitbuches, das jeder Besucher erhält, mit wichtigen Informationen rund um die verschiedenen Werke angereichert wird.

Das Kolumba Museum ist bekannt dafür, seine Ausstellungen ohne Erklärungstexte an den Wänden zu konzipieren. Was auf den ersten Blick ungewohnt erscheint, erweist sich schnell als großes Geschenk für den Betrachter: Denn nur so gelingt es ihm, die mit sehr viel Bedacht in den einzelnen Ausstellungsräumen platzierten Gegenstände und Kunstwerke als ein mit dem jeweiligen Raum verschmelzendes Gesamtkunstwerk wahrzunehmen.

Der Raum 13 wird mein Hauptaufenthaltsort während meiner eineinhalbstündigen, individuellen Tour durch das Kolumba Museum. Dr. Stefan Kraus, der neben seiner Tätigkeit als Museumsdirektor auch ein sehr guter Erzähler ist, weist uns zunächst auf die Sukka aus der Synagoge in Rottenburg-Baisingen in der Mitte des Raumes hin. Die Sukka, zu Deutsch „Laubhütte“, ist eine aus Ästen, Zweigen, Laub, Stroh und Ähnlichem erstellte Hütte, die im Judentum üblicherweise für das siebentägige Laubhüttenfest errichtet wird, das zur Zeit der Ernte im September oder Oktober gefeiert wird. Sie erinnert an die 40-jährige Wüstenwanderung der Israeliten nach ihrem Auszug aus dem ägyptischen Mizraim und an das Wohnen in Hütten während dieser Zeit. Durch die neue Kontextualisierung dieses Alltagsgegenstandes im Kolumba Museum wirkt der nach drei Seiten umfassende, nach oben hin offene Bau wie eine Installation, die als Zentrum des Ausstellungsraumes alle Blicke auf sich zieht. Ebenso beeindruckend ist eines der Werke an den Wänden in Raum 13: Der Wanderer, ein Gemälde des Kölner Künstlers Michael Buthe aus dem Jahr 1972, ist eine kunstvolle Verbindung aus Teilen einer Blechtonne, Holz, Forsythienzweigen und Textilien. Buthe, der als Wanderer zwischen Orient und Okzident zunächst Marokko und später Mallorca zu seinem Lebensmittelpunkt auserkor, schuf mit seinem monumentalen Werk ein apokalyptisches Epos, in dem sowohl die Schönheit, als auch die Zerstörung der Natur zum Tragen kommen.

Die Sukka im Vordergund, Michael Buthes Gemälde „Der Wanderer“ im Hintergrund

Faszinierend ist auch Jannis Kounellis Rauminstallation Tragedia Civile in Raum 16, die wirkt, als wäre sie exakt für In die Weite erschaffen worden. Tatsächlich ist das Werk eines der wichtigsten Vertreter der Arte Povera aus dem Jahr 1975 aber Teil einer jeden Ausstellung im Kolumba Museum. Das theatrale Setting mit dem Garderobenständer aus Bugholz und dem daran hängenden Mantel und Hut vor dem goldenen Hintergrund erinnert mich an den Monolog der Jüdischen Frau aus Bertolt Brechts Drama Furcht und Elend des Dritten Reiches, in dem sie die Gründe schildert, warum sie ihren nicht-jüdischen Mann verlässt und ins Ausland geht. Tatsächlich verweist der Titel von Jannis Kounellis Kunstwerk auf ein Bühnenstück, in der Hybris Scheitern und Läuterung zur Folge hat.

Kurz bevor ich mit den anderen Gästen des Social Media Meetups ins Gespräch komme, fällt mir in Raum 18 ein interessantes Flugblatt auf. Die MiQua-Voluntärin Charlotte Pinon, auf die ich hier treffe, erzählt von Richard Stern – einem von 100.000 Juden, die während des 1. Weltkriegs für Deutschland kämpften. Für seine besonderen Verdienste wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse geehrt – doch als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, war von der einstigen Anerkennung nicht mehr viel zu spüren. Richard Stern leistete in Köln als einziger Jude dokumentiert Widerstand und fragte sich unter anderem in einem selbst verfassten und -produzierten Flugblatt, das er an Passanten verteilte, ob Juden nun Menschen zweiter Klasse geworden seien. Kurz vor Kriegsausbruch gelang Stern die Flucht in die USA, wo er sich 1942 der Army anschloss und den Silver Star, die dritthöchste Auszeichnung der amerikanischen Streitkräfte, erhielt. Sein Flugblatt aus dem Jahre 1933 ist ein mutiges Plädoyer für mehr Zivilcourage.

Der Abend im Kolumba Museum hat mein von Haus aus sehr großes Interesse für jüdische Kultur noch weiter verstärkt und meinen Blick auf viele Aspekte jüdischen Lebens um ein Vielfaches erweitert. Ich würde mir wünschen, dass das Kolumba Museum seine spektakulären Visionen in Sachen Ausstellungsgestaltung im Social Media-Bereich und auf seiner Website noch stärker zur Geltung kommen lässt: Denn das, was der auf Teamarbeit und Kooperationen setzende Museumsleiter Dr. Stefan Kraus hier gemeinsam mit dem Direktor des MiQua Dr. Thomas Otten und den Teams der beiden Häuser mit In die Weite realisiert hat, ist sensationell. Es erweitert den eigenen Horizont um ein Vielfaches und verankert die jüdische Kultur mitten in unserer Gesellschaft.


In die Weite

Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland
15. September 2021 – 15. August 2022

Eine Kooperation von MiQua. LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln und Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln, im Rahmen des Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«.

Zu Gast: Ehemalige Synagoge Niederzissen

Kolumbastraße 4 | 50667 Köln
täglich außer dienstags von 12 bis 17 Uhr
Eintritt € 8,- (reduziert € 5,-)

Instagram @kolumba_artmuseum, Facebook @Kolumba.Kunstmuseum

Der MiQa-Blog

Instagram @museummiqua, Facebook @museummiqua, Twitter @museum_miqua

3 Antworten auf „Horizonterweiterung“

Liebe Lena, was für ein schöner Text. Und die Bilder! Absolutes Lieblingsfoto mit Stefan Kraus vor der goldenen Wand von Kounellis. Das ist einfach nur großartig!!! Es war eine wirklich sehr sehr schöne Veranstaltung und das Highlight war natürlich unser Treffen dort! Wie schön, dass du in Köln warst und ich freue mich schon, wenn du wieder mal herkommst. Die Ausstellung im Kolumba muss ich unbedingt nochmal sehen. Denn der Abend war so schnell rum und man hatte auch ordentlich zu tun mit Socializing. Ganz viele Grüße nach München. Anke

Liebe Anke,

ich danke dir ganz herzlich für deine Rückmeldung zu diesem Text – der Besuch im Kolumba Museum war wirklich etwas ganz Besonderes für mich! Wie schön, dass ich dich in Köln besuchen kommen konnte: Ich werde definitiv bald wieder in diese schöne Stadt zurückkehren! Ganz liebe Grüße zurück zu dir und bis hoffentlich bald wieder! Lena

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