
Er ist ein musikalischer Grenzgänger zwischen Klassik, Jazz und Musical: Als Arrangeur, Komponist, Dirigent und Bandleader begeistert der österreichische Pianist Christian Frank sein Publikum durch seine enorme künstlerische Bandbreite und Offenheit. Eine Begegnung mit dem künstlerischen Leiter des Theater in der Josefstadt und des Kabarett Simpl im Juni 2020 auf Zoom.
Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte ich Christian Frank Ende Juni in Aschheim bei München im Rahmen der Tour zu Lenya Story – Ein Liebeslied wieder getroffen. Nachdem ich ihn an derselben Stelle im vergangenen Jahren in Torsten Fischers sehr bewegender Inszenierung Blue Moon über das Leben der Jazz-Sängerin Billie Holiday auf der Bühne erlebt hatte, war ich sehr gespannt auf Christian Franks Zusammenspiel mit der Schauspielerin und Musikerin Sona MacDonald und den Musikern Herb Berger, Andy Mayerl und Klaus Pérez-Salado in der Hommage an einen deutschen Weltstar Lotte Lenya.
Es ist diese besondere Mischung aus Ernsthaftigkeit und einer erfrischenden Leichtigkeit, die Christian Franks Klavierspiel so besonders macht. Seine Bühnenperformance ist weit entfernt von eitler Selbstdarstellung – wer den Pianisten einmal live erlebt hat, spürt, wie sehr es ihm viel mehr darum geht, die Stimmung des jeweiligen Abends in den von ihm arrangierten Songs auf das Publikum zu übertragen.
Für ihn, dessen Alltag normalerweise aus unzähligen Auftritten und Tourneen besteht, bedeutet die Coronakrise einen radikalen Einschnitt. Als ich Christian Frank im Juni 2020 auf Zoom wieder sehe, erlebe ihn genauso entspannt, herzlich, aber auch nachdenklich, wie ich ihn nach unserer ersten Begegnung in München in Erinnerung hatte.
BACK TO THE ROOTS: DIE HAUSMUSIK
Christian Frank stammt aus einer musikalischen Familie: Unter anderem unterrichtete sein Vater neben seiner Tätigkeit als Hauptschullehrer an der örtlichen Musikschule. „Darüber hinaus gab es genügend verrückte Mitglieder innerhalb meiner Familie, die immer gemeinsam miteinander musizierten, wenn sie sich trafen. Irgendjemand nahm plötzlich das Akkordeon in die Hand, mein Vater saß hinter dem Klavier, mein Onkel sang dazu. Musik war für uns immer auch ein Kommunikationsmittel“. Christian und sein Bruder begannen gleichzeitig mit dem Klavierspiel: Während der Bruder brav übte, liebte Christian das Experiment und probierte sich in verschiedenen Stilrichtungen aus.
Als Kind und Jugendlicher hatte er schließlich die Möglichkeit, eine sehr gute Musikschule zu besuchen. „Dort wurde von einer klassischen Ausbildung über Pop und Jazz wirklich alles gefördert“. An dieser Schule unterrichtete auch eine Choreographin, die damals Tanztheater-Produktionen im Amateurbereich entwickelte – eine ideale Gelegenheit für Christian Frank, erste Erfahrungen als Komponist und musikalischer Leiter zu sammeln.
Nach der Matura gab es für ihn nur die Option, seine große Leidenschaft zum Beruf zu machen. Christian Frank absolvierte zunächst eine musikpädagogische Ausbildung und stellte schnell fest, wie herausfordernd die Arbeit als Musiklehrer sein kann. „Es macht großen Spaß, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten, die ein entsprechendes Talent mitbringen. Mit den weniger motivierten Schülern kommt man hingegen schnell an seine Grenzen“, meint er lachend. „In gewisser Art und Weise bin ich aber bis heute immer wieder pädagogisch tätig, indem ich meine Erfahrung an jüngere Musiker weitergebe“.
PRINCESS DRAGONHEART
Mitte der 1990er Jahre komponierte Christian Frank mit Anfang 20 die Musik zu einem Stück, mit dem sein Ensemble zu einem Gastspiel nach Indien fuhr. „Vor den indischen Zuschauern zu spielen, war eine unglaubliche, skurrile Erfahrung, die ich nie vergessen werde“. Denn die Zuschauer, so Christian Frank, hätten sich lautstark an der Vorstellung beteiligt: „‚Oh jetzt kommt der Prinz von rechts‘ oder ‚Schau mal, was der für einen lustigen Hut aufhat‘. Ich saß damals auf der Seitenbühne mit meinem Keyboard und merkte, dass mein Display immer so komisch flackert“. Man führte ihn in einen Hinterhof hinter der Bühne, wo auf einer Schubkarre ein Stromgenerator und Benzin standen – Christian Franks Stromgenerator für die Vorstellung. „Total schräg!“
WE ARE THE WORLD
Jazz, Rythm’n’Blues, Klassik, Musical: Christian Franks Kompositionen und Arrangements sind von unterschiedlichsten Einflüssen inspiriert. „Mir wird oft zu sehr in Schubladen gedacht“, sagt Frank, der Musiker wie Quincy Jones oder Keith Jarret als seine Vorbilder nennt. Als Komponist sei es trotz aller Freiheit und Experimentierfreude sehr wichtig, auf ein fundiertes Wissen setzen zu können: „Wenn man gebeten wird, eine Motette oder ein barockes Menuett zu komponieren, muss man wissen, wie die Grundstruktur der jeweiligen Gattung aussieht“. Seinen musikalischen Stil beschreibt Frank übrigens als riesigen Eintopf: „Mit Fleisch und Gemüse aus mehreren Ländern – und viel Ingwer, Senfkörner, Mandelsauce und ein paar Nockerl darin“.
MANHATTAN TRANSFER
Als junger Musiker lernte er den Schauspieler, Regisseur und Kabarettistin Werner Sobotka kennen, der als Mitglied der berühmten Kabarett-Formation Die Hektiker damals bereits eine Berühmtheit in Wien war. „‚Wir schauen ständig aus dem Kastl‘: So beschreibt Werner bis heute seine Arbeit“. Die Begegnung mit Sobotka sei sehr wichtig gewesen in Bezug auf seine musikalische Weiterentwicklung. „Werner warf mich regelmäßig ins kalte Wasser, indem er mir Dinge sagte wie: ‚Arrangier das ein wenig auf Manhattan Transfer‚“. In seiner ersten Produktion mit Sototka, Forbidden Musical am Wiener Metropol, vertrat Frank den damaligen Pianisten und dachte, dass diese Persiflage auf bekannte Musical-Hits wie Elisabeth möglichst wie eine Popballade klingen müsse. „Werner meinte aber irgendwann: ‚Das halt ich jetzt nicht mehr aus. Es handelt sich hier nicht um ein Popkonzert, sondern um ein Musikkabarett'“. Da habe ich begriffen, wie wichtig es ist, sich von bestimmten Denkmustern im Kopf freizumachen“. Sobotka brachte ihn zum Musical Sommer Amstetten, auf die Bühne des renommierten Kabarett Simpl und an das Theater in der Josefstadt, wo Christian Frank heute als musikalischer Leiter tätig ist. 2008 feierte dort mit Im Weißen Rössl die erste gemeinsame Arbeit von Werner Sobotka und Christian Frank an diesem Haus Premiere. Eine swingende Jazz-Neuinterpretation des weltberühmten Operettenklassikers. „Ich hatte absolut keine Scheu davor, meinen eigenen Zugang zu dieser Kult-Operette zu finden“, meint Christian Frank lachend. “’Mach das leiwand‘, war Werners Standardspruch während den Proben“.
DIE CORONA TAKES
In den vergangenen Woche nahm Christian Frank gemeinsam mit der Schauspielerin und Sängerin Sona MacDonald und dem Saxophonisten Herb Berger die sogenannten „Corona Takes“ auf. „Die Idee dazu entstand ganz spontan bei einem gemeinsamen Grillabend. Wir trafen uns anschließend in meinem Heimstudio und haben bisher bereits acht Songs eingespielt. Die Bandbreite reicht dabei von einer Billie Joel-Nummer bis hin zu einer wunderbaren Mundharmonika-Version von Jacque Brels Ne me quitte pas von Toots Thielemans„. Frank schwärmt von der Zusammenarbeit mit MacDonald und Berger, die ihn seit vielen Jahren als musikalische Weggefährten begleiten. „Für uns waren die Treffen bei mir zu Hause nicht nur in künstlerischer Hinsicht sehr spannend. Auf einer höheren Ebene betrachte ich sie auch als eine Art Seelenreinigung“. Es sei eine sehr befreiende Erfahrung gewesen, ohne Erwartungsdruck miteinander Musik machen zu dürfen. „Mindestens einer von uns hat unter normalen Umständen immer ein Konzert am Abend. Spontane Treffen sind also zu Normalzeiten so gut wie ausgeschlossen“. Zusammen mit Sona MacDonald, die seit vielen Jahren als Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt und als Gastdarstellerin am Wiener Burgtheater in unterschiedlichsten Rollen brilliert, und den „Whizkey Brothers“ Herb Berger, Klaus Pérez-Salado und Andy Mayerl tourte Christian Frank als vierter Whizkey Man unter anderem in der Spielzeit 2017/2018 mit der Erfolgsproduktion Blue Moon. Eine Hommage an Billie Holiday von Torsten Fischer und Herbert Schäfer durch Deutschland, Südtirol und Österreich. „Egal ob Sona eine Jazz-Ballade oder einen Chanson singt: Sie hat jenseits aller Stilfragen immer das richtige Gefühl für die Musikalität und die Emotionalität eines Liedtextes. Daher arbeite ich so gerne mit ihr zusammen“. Wer die Schauspielerin einmal gemeinsam mit ihren musikalischen Kollegen auf der Bühne erlebt hat, weiß, wovon Christian Frank spricht. Die Frage, warum Torsten Fischer eine weiße Schauspielerin für die Hauptrolle in seiner Musikrevue über eine der bedeutendsten US-amerikanischen Jazzsängerinnen aller Zeiten auswählte, stellte sich für mich im April 2019 bei dem Blue Moon-Gastspiel in Aschheim keine Sekunde lang. MacDonald und den Whizkey Brothers gelang es mit diesem besonderen Abend, dem Menschen Billie Holiday mit all seinen Widersprüchen und Abgründen, aber auch mit all seinem Talent und seiner bedingungslosen Liebe zur Musik ein Denkmal zu setzen.
Dass Sona MacDonald ihr gesangliche Fähigkeiten in Produktionen des Theaters an der Josefstadt wie Billie Holiday oder Lenya Story – Ein Liebeslied immer wieder derart eindrucksvoll zum Ausdruck bringen kann, liegt nicht zuletzt an Christian Franks feinem Gespür für die musikalischen Visionen derjenigen Künstlerpersönlichkeiten, die MacDonald verkörpert. Frank ist nicht nur ein sehr guter musikalischer Leiter und Arrangeur, sondern auch ein glänzender Bühnenakteur und Entertainer, dem es gelingt, die richtige Balance zwischen Zurückhaltung und Expressivität zu finden. „Ich muss nie die erste Geige spielen, aber ich möchte als Pianist immer Teil des Geschehens sein“, sagt er.
Es sei sehr wichtig für ihn gewesen, dass sich seine Whizkey Brothers-Kollegen und er während der Tour jeden Tag aufs Neue auf Sona MacDonald einstellen. „Es war magisch zu beobachten, wie wir jeden Abend aus der jeweiligen Stimmung heraus immer etwas anders gestaltet haben. Ging es beispielsweise sehr melancholisch auf der Bühne zu, wurde ein Blues-Song wesentlich langsamer gespielt, als an den Abenden zuvor“. Billie Holiday hätte diese Musiker für ihre Leidenschaft und ihren Mut, immer wieder an ihre Grenzen zu gehen, bewundert. Schließlich sagte sie einst: „Ich halte es nicht aus, ein und denselben Song an zwei aufeinander folgenden Nächten auf dieselbe Weise zu singen, geschweige denn zwei oder zehn Jahre lang. Wer dazu in der Lage ist, macht nicht Musik“.
DIE ROCKY HORROR SHOW
Im Dezember 2017 war Christian Frank musikalischer Leiter der Europatour der Rocky Horror Show in Österreich, Italien und der Schweiz. „Bei einer Musicalproduktion muss man sich als Bandleader an gewisse Regeln halten. Die Akteure auf der Bühne sind nämlich verständlicherweise wenig erfreut darüber, wenn man ein Stück plötzlich halb so schnell oder doppelt so langsam spielt“. Beim Musical gehe es vor allem um Abläufe und das perfekte Timing. „Wenn das nicht stimmt, kann ein Tänzer plötzlich im Bühnengraben landen und sich ernsthaft verletzen“. Das Abrufen der eigenen Fähigkeiten und die Notwendigkeit, über einen gewissen Zeitraum hinweg funktionieren zu müssen, sei es, was ihn so sehr an dieser musikalischen Gattung reize, meint Frank.
„EH WURSCHT!“
Mit seinen szenischen Liederabenden erschuf der Regisseur Franz Wittenbrink einst ein neues, urkomisches und sehr erfolgreiches Theatergenre. 2010 übernahm Christian Frank die musikalische Leitung von Eh wurscht, Wittenbrinks ironischem Streifzug durch ein paar Jahrhunderte Musikgeschichte. „Er hat sich sehr auf das Inszenatorische konzentriert und mir eine unglaubliche Freiheit in Bezug auf die musikalische Gestaltung des Abends gelassen“. Frank begreift sich mehr als Arrangeur, denn als Komponist. „Für mich war ein Komponist immer jemand, der eine Sinfonie schreiben kann. Obwohl ich mittlerweile weiß, dass das Quatsch ist – denn ein Songwriter ist für mich genauso ein Komponist, wie Mozart oder Beethoven“. Die Musikauswahl zu Eh wurscht wurde während der Probenphase in Zusammenarbeit mit den Schauspielern getroffen. In seiner Inszenierung machte Wittenbrink keinen Unterschied zwischen U- und E-Musik. Was in seinen Augen nicht passte, wurde von Christian Frank und ihm arrangiert, umgetextet oder gleich neu komponiert. „Eine meiner Stärken ist, dass ich mich sehr gut auf die unterschiedlichsten Menschen einstellen kann. Wichtig ist mir vor allem, dass mein Gegenüber ein großes Interesse für die Musik mitbringt – gerade in Sprechtheater-Produktionen wie 8 Frauen am Theater in der Josefstadt“.
„BALD WIRD JEDER JEDEN KENNEN, DER WEN KENNT, DER WEN AU’ZAGT HAT…“
Christian Franks brandneuestes Projekt ist eine Ode an alle Blockwarte und Blockwärterinnen, die in den Zeiten der Corona-Krise vor lauter Reizüberflutung kaum mehr zum Durchatmen kommen: Schließlich gab es selten so viele Gelegenheiten, die Menschen um sich herum zu verpfeifen oder am besten gleich anzuzeigen.
Gemeinsam mit der Schauspielerin Nina Proll, Herb Berger und der Cellistin deeLinde drehte Frank Mitte Juni 2020 das Video zu „I zag di au“, einem wunderbar schwarzhumorigen Stück Wiener Musikkabarett-Kultur. Mit Nina Proll verbindet Frank eine jahrelange, sehr produktive Arbeitsbeziehung: Er arrangierte unter anderem ihre Konzertprogramme „Vorstadtlieder“ und „Kann denn Liebe Sünde sein?“, geht regelmäßig mit ihr auf Tour und komponierte und produzierte den Titelsong „Gib mir das“ für ihren Film Anna Fucking Molnar. Man darf nach „I zag di au“ gespannt sein auf die nächsten Post-Corona-Songs dieser Truppe…
Lieber Christian, ich freue mich sehr, dass wir nach unserer ersten Begegnung in Aschheim miteinander in Kontakt geblieben sind und dass wir nun in der Coronakrise endlich die Zeit für ein ausführliches Gespräch gefunden haben. Ich danke dir ganz herzlich für deine Offenheit und den Einblick in dein sehr spannendes Musikerleben! Alles Gute und ich hoffe, dass ich dich bald wieder auf einer Bühne erleben darf!
Mehr Infos über Christian Frank:
Instagram @christianfrankmusic
Facebook @Christian Frank
Eine Antwort auf „#Interview mit dem Musiker Christian Frank“
[…] bedeutete die Coronakrise einen radikalen Einschnitt. Als ich Christian Frank im Juni 2020 zum Interview auf Zoom traf, erlebte ihn genauso entspannt, herzlich, aber auch so nachdenklich, wie ich ihn nach […]