Lesen und lauschen #18 mit „Laternentraum“, einem wunderschönen Gedicht von Wolfgang Borchert zum Martinstag.
Ein Jahr vor seinem frühen Tod 1947 veröffentlichte der Autor Wolfgang Borchert seine Gedichtsammlung „Laterne, Nacht und Sterne„. In vierzehn Gedichten beschrieb er seine Heimatstadt Hamburg, indem er die Leserinnen und Leser durch ihre schmutzigen, verregneten Gassen führte, über den Wind, die Nacht und den Hafen schrieb und die Sehnsüchte des lyrischen Ichs lebendig werden ließ.
„Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind –
für Dorsch und Stint,
für jedes Boot –
und ich bin doch selbst
ein Schiff in Not!“
heißt es in dem Gedicht „Laterne, Nacht und Sterne“. Für Borchert, der nach einer Schauspielausbildung und nach einem wenige Monate andauerndem Engagement in einem Tourneetheater 1941 zum Kriegsdienst eingezogen und an einem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion teilnehmen musste, war die Laterne inmitten einer zerstörten, dunklen und traurigen Welt ein Symbol der Hoffnung. In Borcherts weltberühmten Drama Draußen vor der Tür, das kurz vor seinem Tod 1947 entstand, wird die Laterne gar zum Sinnbild für den eigenen Überlebenswillen:
“BECKMANN: Ich soll leben, sagst du! Dieses Leben leben? Dann sag mir auch: Wozu? Für Wen? Für was?
DER ANDERE: Für dich! Für das Leben! Deine Straße wartet. Und hin und wieder kommen Laternen. Bist du so feige, daß du Angst hast vor der Finsternis zwischen zwei Laternen? Willst du nur Laternen haben? Komm, Beckmann, weiter, bis zur nächsten Laterne.”
Ich habe in diesem Jahr Borcherts Gedicht „Laternentraum“ zum Martinstag eingelesen. Dieser Feiertag hat für mich seit meiner Kindheit eine sehr große Bedeutung, da ich ihn mit unseren jährlichen Martinsumzügen verbinde. Damals zogen mein Bruder und ich zusammen mit einigen Freunden am 11.11. mehrere Stunden singenderweise von Haus zu Haus – immer in dem Bewusstsein, dass wir all das Geld, das wir dabei einnahmen, nachher für einen wohltätigen Zweck spenden würden. In der heutigen Zeit, in der die vielen Halloween-Umzüge seltsam für mich anmuten, erinnere ich mich umso lieber an unsere Martinsumzüge zurück. Denn durch sie wurde mir bereits in jungem Alter bewusst, wie erfüllend es sein kann, Dinge zu teilen und anderen Leuten zu helfen.