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#Interview mit dem Schauspieler Christoph Franken

Christoph Franken ©Luzia Hunziker

Der Schauspieler Christoph Franken beherrscht nicht nur die Kunst, jeden Bühnenraum für sich zu erobern. Er besitzt auch die seltene Gabe, anderen Menschen sehr aufmerksam zuhören zu können. Nachdem er 10 Jahre festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin war, wechselte er zur Spielzeit 2019/20 an das Münchner Residenztheater. Ein Gespräch in München Neuhausen über Jürgen Gosch, Theater im digitalen Raum, die Weite von Berlin und die Spielplätze der bayerischen Landeshauptstadt.

Argan, genannt „Agi“, geht es gerade nicht so gut. Denn der eingebildete Kranke aus Molières gleichnamiger Komödie muss Corona-bedingt sehr viel Zeit in den eigenen Wänden verbringen. Gerade, als er drauf und dran ist, endgültig an seinem Schicksal zu verzweifeln, naht Hilfe in Form eines kompetenten Doktors. Statt salbungsvoller Worte gibt es eine grandios durchgeknallte Gesangsperformance und ein paar Ibuprofenchen vom Onkel Doktor – schon fühlt sich Hypochonder Agi wieder wie neugeboren.

„Der eingebildete Kranke“ mit Christoph Franken als Arzt Purgon war Ende Februar einer der letzten Inszenierungen, die ich vor dem Corona-Lockdown im Residenztheater gesehen habe. Ähnlich spektakulär wie Christophs plötzliches Erscheinen im „Tagebuch eines geschlossenen Theaters“-Beitrag des „Eingebildeten Kranken“-Ensembles ist auch sein erster Auftritt auf der Bühne des Residenztheaters in der Inszenierung der Regisseurin Claudia Bauer. Die Behandlungsmethode seines eitlen und selbstverliebten Arztes Purgon ist eine Mischung aus Heilsversprechen, hübsch anzuhörenden Gesundheitstipps und Tabletten. So können seine Patienten die Sinnlosigkeit ihres eigenen Daseins zumindest vorübergehend ertragen.

Vor einigen Wochen erlebte ich Christoph Franken in einer ganz anderen Rolle im menschenleeren Cuvilliéstheater: „Im Hauptsaal ist alles ruhig“, sagt sein Theaterwärter leise in das Megafon, während er durch die wunderschönen, verlassenen Räume wandelt. „Übrigens ist es eine in der experimentellen Physik bekannte Halbwahrheit, dass nichts wirklich jemals zu Ende ist“: So beginnt in dem „Tagebuch eines geschlossenen Theater“-Beitrag #46 der Monolog eines Mannes, der dieses Theater kennt wie seine Westentasche. Und der es gerade deswegen nicht verlassen kann und will. Das vierminütige Video des Videokünstlers Jonas Alsleben ist eine Hymne an das, was man derzeit als Zuschauer so schmerzlich am Theater vermisst: Die Musik des Raumes und den Klang der Sprache. Eine theatrale Liebeserklärung voll subtiler Komik und tiefer Traurigkeit, die einen wehmütig an den Glanz vergangener Zeiten zurückdenken lässt.

Auf der digitalen wie auf der analogen Bühne stellt Christoph Franken immer wieder unter Beweis, dass er nicht nur ein begnadeter Entertainer ist, sondern auch die Kunst des feinfühligen, nuancierten Spiels beherrscht. Vor einigen Jahren lebte er schon einmal in München, als er zwischen 2001 und 2005 an der Otto-Falckenberg-Schule Schauspiel studierte. Direkt nach dem Studium wurde er festes Ensemblemitglied am Schauspiel Hannover und war dort unter anderem in den von der Presse und dem Publikum hochgelobten Tschechow- und Shakespeare-Inszenierungen von Jürgen Gosch zu sehen. Darüber hinaus arbeitete er in Hannover mit dem Regisseur Nuran David Calis, der heute einer seiner engsten Freunde ist, zusammen und übernahm die Hauptrollen in dessen Inszenierungen von Friedrich Schillers Die Räuber und Frank Wedekinds Frühlingserwachen.

Im Sommer 2009 debütierte Christoph Franken als Semjon Semjonowitsch Medwedenko bei den Salzburger Festspielen in Jürgen Goschs Inszenierung von Tschechows Möwe. Diese Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin wurde auch zum Berliner Theatertreffen 2009 eingeladen. Mit dem Beginn der Spielzeit 2009/10 wurde Christoph Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin und arbeitete dort mit Regisseurinnen und Regisseuren wie Jorinde Dröse, Rafael Sanchez, Stephan Kimmig oder Stefan Pucher zusammen. Darüber hinaus war er 2015 und 2016 in Brian Mertes und Julian Crouchs Inszenierung von Hugo Hofmannsthals Jedermann bei den Salzburger Festspielen als Teufel auf der Bühne des Domplatz zu erleben. Seit 2017 übernimmt er in Michael Sturmingers Interpretation vom Leben und Sterben des reichen Mannes die Rolle des Mammon

Neben seiner Theaterarbeit steht Christoph Franken regelmäßig für Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera und spielte unter anderem zuletzt an der Seite von Peter Lohmeyer einen Kommissar in dem ARD-Fernsehfilm Carneval- Der Clown bringt den Tod. Lohmeyer, sein Kollege bei den Salzburger Festspielen, war es auch, der den folgenden treffenden Satz über Christoph Franken in einem gemeinsamen Interview sagte: „Der kann zuhören und Zuhören ist in meinem Leben mit die wichtigste Vokabel. Nur wer zuhört, kann auch antworten“. Diese Aussage kann ich nur unterschreiben: Selten habe einen Schauspieler erlebt, der so viel Empathie und echtes Interesse für die Menschen um sich herum aufbringt. Es ist noch nicht lange her, seit ich im Dezember 2019 zum ersten Mal persönlich nach einer Vorstellung mit Christoph gesprochen habe. Als wir Ende Februar beschlossen, unseren Interviewtermin auf die Zeit nach der geplanten Premiere von „Der Drang“ zu verlegen, ahnte keiner von uns beiden, wie sich die Situation in den kommenden Wochen zuspitzen würde.

Christoph war der erste Gesprächspartner, den ich nach den Wochen der Kontaktbeschränkungen wieder im analogen Raum traf. Es war ein besonderes, sehr herzliches Wiedersehen und eine willkommene Abwechslung zu den vielen Videocalls und Telefonaten, die man derzeit führt. Christoph erzählte mir von seinen Erfahrungen in den Wochen der Kontaktsperre und von dem Zusammenhalt innerhalb seiner Hausgemeinschaft, die durch das Coronavirus noch einmal gestärkt wurde. Und er berichtet mir davon, wie sein Sohn und er bei einer kurzen Wipp-Stippvisite auf dem Spielplatz von der Polizei ermahnt wurden – einen Tag, bevor die Spielplätze ihre Tore wieder für die Allgemeinheit öffneten. Ein bisschen Rebellion muss sein, wenn man seine wilde Seite als Schauspieler derzeit nicht auf der Bühne ausleben kann.

Christoph Franken vermisst das Theater, sein Kollegen, das Publikum des Residenztheaters. Wir sprechen über die vielen digitalen Theaterformate, die in den vergangenen Wochen entwickelt wurden – so wie ENCORE, eine dezentrale Theaterserie des Regisseurs Calle Fuhr. Täglich schrieb er einen Text, der über Videocall geprobt und mit dem Handy des jeweiligen Schauspielers oder der Schauspielerin aufgenommen wurde. So kam Christoph Franken dazu, endlich einmal den wahr gewordenen Traum eines Lehrers zu spielen:

In dieser Woche kehrten seine Ensemblekollegen und er übrigens auf die Probebühne des Residenztheaters zurück, nachdem wochenlang nur Lese- und Konzeptionsproben für Dantons Tod, Christophs nächste Produktion, über Zoom stattfinden konnten. Ein Stück über Notwendigkeit und Legitimität von Gewalt zur Verfolgung politischer Ziele von Georg Büchner, das gerade nicht aktueller sein könnte.

Wir begannen unser Interview Anfang Mai nahe des Rotkreuzplatzes in einem Park – mit Abstand und Kaffee auf einer großen Parkbank.

Zu Beginn des Corona-Lockdowns bist du wie kaum ein anderer Schauspieler, den ich kenne, von 100 auf 0 ausgebremst worden. Ende Februar musstest du kurzfristig eine der Hauptrollen in der Inszenierung „Der Drang“ von Lydia Steier übernehmen, deren geplante Premiere am 12.03. gewesen wäre.

Das war tatsächlich eine absolute Ausnahmesituation für mich. Ich hatte bereits drei Premieren in dieser Spielzeit hinter mir und der Probenbeginn von Dantons Tod stand kurz bevor. Da Lydia Steier zu diesem Zeitpunkt hochschwanger war, kam eine Verschiebung der Drang-Premiere nicht in Frage. Ehe ich mich versah, saß ich mit meinen Kollegen in den Proben, die trotz der Unmengen an Text, die ich in diesen drei Wochen lernen musste, sehr viel Spaß gemacht haben.

Am 11.03. verkündete die Bayerische Staatsregierung, dass bis mindestens 19.04. keine Vorstellungen mehr an den bayerischen Staatstheatern stattfinden dürfen.

Nach dem ersten Schock entschieden wir uns dazu, wenigstens eine hausinterne Premiere zu machen. Wie es der Teufel wollte, verletzte ich mich dann aber in der Generalprobe am Fuß. Damit war auch keine hausinterne Premiere von „Der Drang“ mehr möglich.

Vielleicht war das ein theatrales, wenn auch sehr schmerzhaftes Zeichen, dass diese Produktion lieber irgendwann in der Zukunft vor Publikum stattfinden soll.

Absolut. Irgendwie schwebte von Anfang ein kleiner Fluch über dieser Produktion. Nach dem ganzen Stress der vergangenen Wochen wollten wir alle unbedingt raus mit dieser Inszenierung – und blieben letztendlich so unerfüllt zurück.

Wie hart ist es, inmitten dieses wochenlangen Theaterdauerlaufs plötzlich komplett ausgebremst zu werden?

Ich konnte es ehrlich gesagt auch genießen, nach so vielen Premieren in den letzten Monaten mal eine Phase zu haben, in der ich zum Durchatmen kam. Aber wir befinden uns eben nicht in den Theaterfreien, sondern in einem unsicheren Schwebezustand ohne Perspektive auf eine vollständige Rückkehr zur Normalität.

Wie gut, dass es derzeit die vielen digitalen Angebote des Residenztheaters wie das „Tagebuch eines geschlossenen Theaters“ gibt. Ihr Schauspieler könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Trost und Zuversicht ihr uns damit jeden Tag spendet.

Wir profitieren in derselben Art und Weise von euch, wie ihr von uns. Für mich war es etwas ganz Besonderes, drei meiner bisherigen vier Tagebuch-Einträge mit Camill Jammal und Pia Händler im menschenleeren Cuvilliés-Theater zu drehen.

Wie kam es zu dieser Idee?

An Ostern schrieb ich Thom Luz, weil ich aus einem Text in seiner Olympiapark in the DarkInszenierung einen Tagebuch-Eintrag machen wollte. Dieselbe Idee hatte auch Camill – am selben Tag! Thom schrieb schließlich drei Texte für uns, die eine Mischung aus seiner Olympiapark in the Dark-Inszenierung im Marstall und seiner Alte Meister-Inszenierung am Deutschen Theater Berlin darstellen – darin waren Camill und ich ebenfalls gemeinsam auf der Bühne zu erleben. In unseren „Tagebuch“-Videos sind nun wie zwei Theatergeister, die ihr Haus trotz der schwierigen Situation nicht verlassen wollen, weil sie irgendetwas an diesem Ort festhält.

Deine letzte Aufführung am Residenztheater vor dem Lockdown war passenderweise „Der eingebildete Kranke“.

Das war irre, weil die immer größer werdende Bedrohung durch das Coronavirus damals schon über allem schwebte. Vor einigen Wochen haben wir übrigens einen sehr schönen „Tagebucheintrag“-Eintrag des Eingebildeten Kranken-Ensembles über Zoom gedreht.

Braucht es lange, um als Schauspieler auf einer Plattform wie Zoom in eine Art von Theaterstimmung zu kommen?

Das, was man dort als Schauspieler zum besten gibt, hat weniger etwas mit Theater an sich, als etwas mit dem Spielen allgemein zu tun.

Das heißt, all die digitalen Experimentierformen rund um das Theater sind vor allem ein Mittel zum Zweck, damit ihr Schauspieler momentan euren Beruf ausüben könnt?

Für mich kommt es ganz darauf an, wie diese Spielform vor der Kamera aussieht. Das, was meine Kollegin Lisa Stiegler in 50 MAL LENZ – EIN VERSUCH nach «Lenz» von Georg Büchner auf die Zoom-Bühne bringt, hat für mich sehr viel mit Theater zu tun. Sie lädt jeweils fünf Menschen zur Vorstellung in die Theatergarderobe des Residenztheaters ein und spielt an jedem Abend live für ihr ausgewähltes Publikum vor den Bildschirmen. Unsere „Tagebuch“-Einträge hingegen werden vorproduziert und nachher von Jonas Alsleben bearbeitet. Dieser Zugang zum Theater ist nicht minder spannend, hat aber für mich eher etwas mit Filmproduktion zu tun.

Auf eine sehr virtuose Art und Weise ist Alsleben gelungen, das analoge Medium Theater für den digitalen Raum zu öffnen. Solch kreative Ideen in Bezug auf den Einsatz neuer Medien würde ich mir auch mehr auf der Bühne wünschen: Die Gefahr, dass Videos und Kameras in einer Inszenierung zum Allzweckmittel werden, ist ansonsten groß.

Ich finde es grundsätzlich schön, dass es viele verschiedene Formen gibt, Theater zu denken und zu machen. Ich habe genauso gerne in der Inszenierung Die Möwe von Jürgen Gosch gespielt, wo der ganze Fokus auf unserer schauspielerischen Ausdrucksfähigkeit lag, als auch in den Inszenierungen von Nuran David Calis, wo sehr viel mit neuen Medien experimentiert wurde.

Jürgen Gosch hatte dieses ganz besondere Talent zur Schauspielführung, durch das seine Inszenierungen bis heute unvergessen für mich bleiben.

Es war ein großes Geschenk für mich, direkt nach der Schauspielschule mit so einem Regisseur arbeiten zu dürfen. Meine erste Arbeit mit Jürgen Gosch war Die drei Schwestern am Schauspiel Hannover, wo ich Andrej gespielt habe. Ich werde diese eine Probe nie vergessen: Anfang 2. Akt, Szene zwischen Natascha und Andrej. Ich habe geschwitzt, gespuckt, auf den Boden gestampft und mit mir selbst gekämpft, weil ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte. „Herr Gosch, jetzt helfen sie mir doch mal, ich schwimme gerade total!“, meinte ich zu ihn, worauf er erwiderte: „Ja, toll, bitte schwimmen Sie weiter. Es ist eine Freude, Ihnen beim Schwimmen zuzusehen.“ Das war ein entscheidender Moment in meiner noch jungen Schauspielkarriere, an dem ich verstanden habe, dass über das Mensch-Sein auf der Bühne, das Sich-Ausprobieren und den Willen, Widerstände überwinden, ein authentischer Moment entsteht. Die reine Reproduktion des einmal Erlernten und Einstudierten interessierte Gosch nicht: Er wollte, dass wir uns in jeder Probe und in jeder Aufführung immer von neuem herausfordern.

Musste man als Spieler mit einer bestimmten Betriebstemperatur in seine Inszenierungen starten?

Definitiv. Bei der Generalprobe zu Die Möwe kam Gosch mit Meike Droste und mir ins Gespräch, weil er es langweilig fand, dass wir zu Beginn des Abends einfach auf die Bühne kommen und loslegen. Er uns also nach draußen geschickt und uns 10 Minuten lang den Gang rauf- und runterjoggen lassen. Ich kam danach immer schwitzend und ein wenig außer Atem auf die Bühne, als die Inszenierung begann.

Wie entsteht aus so viel Wagemut, erlernte Szenen auch in der letzten Sekunde noch einmal vollkommen neu zu interpretieren, letztendlich eine ganze Inszenierung?

Indem es natürlich einige feste Verabredungen zwischen den Spielern geben muss. Uns war aber immer bewusst, dass wir an einem Gosch-Theaterabend nicht einfach etwas abspulen können, sondern uns immer etwas vornehmen müssen.

Das Joggen vor der „Möwe“-Inszenierung hast du tatsächlich die gesamten 75 Vorstellungen über durchgehalten?

Ja, auch wenn die Trägheit des eigenen Körpers an manchen Abend sehr spürt (lacht). Ich hatte aber immer das Gefühl, dass Jürgen Gosch mich auf der Bühne beobachtet und dass er es nicht gut finden würde, wenn ich auf meine Jogging-Runde verzichte.

Kann man diese unglaubliche Bühnenenergie an jedem Abend herstellen und vor allem aufrechterhalten?

Ich versuche es zumindest. Man sollte als Schauspieler zumindest Antrieb verspüren, jeden Theaterabend immer wieder neu zu erzählen.

Wann spürst du für dich, dass eine Vorstellung gelungen war? An deiner eigenen Grundstimmung, an der Reaktion des Publikums oder deiner Schauspielkollegen?

An einem guten Abend kommen wahrscheinlich alle drei Dinge zusammen. Diejenigen Vorstellungen, in denen man aus welchem Grund auch immer sehr mit sich kämpfen muss, sind nachher aber oft genauso wichtig wie diejenigen Abende, in denen man das Gefühl hat, abzuheben.

Bleibt der Regisseur bei den Aufführungen immer als eine Art stiller Beobachter immer im Kopf der Spieler – gerade wenn die Probenzeit sehr intensiv war?

Der Geist des Regisseurs oder der Regisseurin ist im Idealfall immer im Theaterraum zu spüren. Aber ich finde es wichtig, dass man sich als Schauspieler irgendwann davon frei macht, damit die Inszenierung ein Stück weit zu seinem eigenen Werk wird. Ich schätze es andererseits aber auch sehr, wenn ein Regisseur wie Thom Luz nach einiger Zeit wieder zu Gast im Theater ist und uns nach der Vorstellung kritisiert, weil er nicht mit dem zufrieden ist, was er gerade gesehen hat.

Seine Arbeiten sind schließlich auch sehr persönlich…

Absolut. Sie funktionieren noch einmal auf einer ganz anderen Ebene, daher muss das Ensemble vor einem Thom Luz-Abend auch noch einmal ganz anders als Gemeinschaft zusammenfinden. Vor „Olympiapark in the Dark“ gibt es beispielsweise ein gemeinsames Einsingen und Einspielen sowie ein Klatschspiel. Das hilft uns sehr, um inmitten der spielerischen Vereinzelung einen gemeinsamen Atem auf der Bühne zu finden.

Wie fühlt es sich für dich an, gerade über so einen langen Zeitraum hinweg nicht auf einer Bühne stehen zu dürfen?

Von der Anzahl der Wochen her ist diese Pause noch nicht länger als eine Sommerpause am Theater. Es ist ein komischer Zustand, in dem man sich gerade befindet. Denn man weiß einfach nicht, wie lange diese Krise noch andauert. Wir waren doch gerade erst dabei, uns selbst, die Stadt, das Residenztheater und unser Publikum kennenzulernen.

Wie gelingt es einem als Ensemble, in so einer Zeit den Kontakt untereinander zu halten?

Wir treffen uns tatsächlich jeden Freitag auf Zoom – die einen nennen es den „Traurigen Freitag“, ich würde eher „Freaky Friday“ dazu sagen (lacht)! Freaky Friday in freaky times. Es ist manchmal anstrengend, aber auch unglaublich schön, sich regelmäßig mit den Kollegen auszutauschen.

Du hast vor fast 20 Jahren an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule Schauspiel studiert und zuletzt zehn Jahre in Berlin gelebt. Wie erlebst du München seit deiner Rückkehr?

Ich fand und finde München sehr schön. Trotzdem fehlt mir Berlin immer mal wieder – ich verbinde viele persönliche Erinnerungen wie das Kennenlernen meiner Frau oder die Geburt meines Sohnes mit dieser Stadt. Die zehn Jahre am Deutschen Theater waren eine wichtige Zeit für mich. Ich habe das Haus nicht verlassen, weil ich mich dort nicht mehr wohl gefühlt habe, sondern weil es eben dieses Angebot aus München gab.

Was fehlt dir derzeit an Berlin?

Vor allem viele Freunde, die ich jetzt wesentlich seltener sehe. Und die Weite der Stadt – nicht nur im räumlichen Sinne. Berlin hat so viele unterschiedliche Stadtteile, dass du manchmal den Eindruck hast, dich in Reinickendorf und in Neukölln in zwei völlig verschiedenen Städten zu befinden.

Inwiefern nimmst du München heute anders wahr als zu deinen Schauspielschulzeiten?

Lustigerweise bin ich wieder ganz in der Nähe des Leonrodplatz, an dem die Otto-Falckenberg-Schule damals untergebracht war, gelandet. Ich stehe heute natürlich an einem ganz anderen Punkt im Leben, als Anfang der 2000er Jahre. Heute sehe ich eher die Spielplätze, Parks und Wiesen, als die Kneipen und Bars.

Warst du damals eigentlich oft als Zuschauer im Residenztheater zu Gast?

Eher selten, da die Otto-Falckenberg-Schule schon immer an die Kammerspiel angegliedert war. An Jens Harzer in „Hekabe“ kann ich mich aber noch erinnern! Und Thomas Holtzmann und Robert Boysen habe ich auch einmal in einer „Beckett“-Inszenierung auf der Bühne erlebt. Ansonsten durften wir uns als Studenten der Otto-Falckenberg-Schule den Abenddienst in den Kammerspielen übernehmen und uns auf diese Weise etwas dazuverdienen. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, uns viele Inszenierungen am Haus anzusehen. Irgendwann haben Christian Friedl und ich auch damit angefangen, bei den Premierenfeiern der Kammerspiele als DJs aufzulegen!

Ihr wart quasi die Lars Eidingers der 2000er Jahre.

Definitiv – wir haben uns leider nur nicht so gut vermarktet (lacht).

Was hat den Ausschlag für deine Rückkehr nach München 2019 gegeben?

Vor allem die Aussicht auf die Zusammenarbeit mit einigen Regisseuren, die ich bereits aus anderen Produktionen kannte. Nora Schlöcker inszenierte mit uns die sehr schöne Inszenierung Auerhaus am Deutschen Theater Berlin, Thom Luz Alte Meister. Nora brachte letztendlich den Stein für meine Rückkehr nach München ins Rollen. Einen tollen Zusammenhalt innerhalb des Ensembles hatten wir in Berlin auch – ich fand es einfach spannend, nach so einer langen Zeit noch einmal etwas komplett Neues zu wagen.

Braucht es diese großen Veränderungen, die mit einem Ortswechsel einhergehen, deiner Meinung nach als Schauspieler immer wieder im Leben?

Das kommt ganz auf den jeweiligen Menschen an. Ich kenne auch Kollegen, die seit der Zeit vor der Wende am Deutschen Theater engagiert sind. Die Herausforderung für sie bestand darin, sich immer wieder auf andere Regisseure und Spielpraktiken einzustellen und sich auf die neue Theaterästhetik einzulassen, die im Zuge jedes Intendantenwechsels ans Haus kam.

Welche Chance siehst du trotz aller Schwierigkeiten, die mit der Coronakrise einhergehen, für ein Haus wie das Residenztheater?

Wir bekommen dadurch so etwas wie einen zweiten Neustart geschenkt. Ich bin gespannt, wie es sich für uns als Schauspieler und für euch als Publikum anfühlen wird, wenn wir wieder unter ganz normalen Bedingungen spielen dürfen. Wahrscheinlich braucht jeder von uns ein Taschentuch nach der ersten Vorstellung im vollbesetzten Theatersaal.

Lieber Christoph! Ich danke dir für diese wunderbare Interview-Begegnung am Rotkreuzplatz und für deine vielen lustigen und unterstützenden Nachrichten in den vergangenen Wochen! Wir sehen uns hoffentlich ganz bald im Resi: Ich freue mich sehr darauf, dich wieder auf der Bühne erleben zu dürfen!


Mehr Informationen über Christoph Franken: 

https://www.residenztheater.de/ensemble/detail/franken-christoph

http://www.agenturvogel.de/vita.php?uid=6

Instagram @christophfrankenberlin

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